Fachgruppensitzung 1999

Im Mittelpunkt des Treffens stand zunächst der Bericht über die „Jiyû Nomori Gakuen“, eine Art „Alternativschule“. Johanna Schilling wies einleitend auf die gestiegene Zahl von „Schulverweigerern“ an japanischen Mittelschulen und verschiedene offizielle Maßnahmen zur Lösung dieses Problems hin und stellte die Frage, inwieweit die Existenz „freier“ Einrichtungen das Kultusministerium bei der Bewältigung solcher Probleme in Zugzwang setzen.

Sowohl äußerlich als auch von der Organisationsstruktur her ähnelt die „Jiyu Nomori Gakuen“ den Regelschulen. Das Curriculum ist um einige Elemente – Handwerkliches und Umwelterziehung z. B. – erweitert. Der Hauptunterschied scheint allerdings darin zu liegen, dass geradezu peinlich alles vermieden wird, was irgendwie an „Zwang“ erinnern könnte: Es gibt keine Uniformen oder andere Kleidungs- und Körper-Design-Vorschriften, keine Aufnahme- und Abschlußzeremonien, keine Prüfungen und keine Noten oder Zeugnisse. Auch ein „Recht auf Unterrichtsverweigerung“ wird den Schülerinnen und Schülern eingeräumt; wer es in Anspruch nimmt sollte sich gleichwohl in der Schule aufhalten, die entsprechend auch Möglichkeiten einer nicht-unterrichtlichen Tagesgestaltung bietet. Selbst eine organisierte Schüler- und Elternvertretung wird im Namen von „Individualität“ und ihrer freien Entwicklung als „äußerliches“ Zwangssystem aus dem Schulleben verbannt.

Die Schülerschaft scheint recht heterogen zu sein: Einerseits gibt es ausgeprägte „Individualisten“, die gut mit der Regellosigkeit zurechtkommen, andererseits finden sich aber auch überforderte „Problemkinder“ mit z.T. sogar ernsthaften psychischen Störungen. Auch wenn man die Schule als (vorübergehenden) Ausstieg aus der „Bildungsganggesellschaft“ interpretiert, bleibt natürlich das Problem des „Wiedereinstiegs“. Ein Teil der Schülerinnen und Schüler scheint auf „unkonventionelle“, z. B. künstlerische Karrieren oder ins Ausland auszuweichen; einem Teil gelingt, meist mit Hilfe einer „yubiko“, aber auch der Übergang zu einer Hochschule.

Der Eindruck, den das Schulprojekt hinterließ, war eher zwiespältig: Bei aller Anerkennung der Bemühung um Innovation blieb doch die Frage, ob das pädagogische Konzept über eine bloß abstrakte Negation der Karikatur einer japanischen Schule hinausgeht.

Der zweite Teil des Treffens war – im Rahmen der „Agenda“-Diskussion – der Reflexion unserer bisherigen und künftigen Arbeit in der Fachgruppe gewidmet. Einige wichtige Ergebnisse und Anregungen:

Aufgrund der Interessenlage der Mitglieder sollte in Zukunft enger mit anderen Fachgruppen zusammengearbeitet werden und sollten u.U. auch gemeinsame Fachgruppentreffen durchgeführt werden. Für den wichtigen fachlichen Austausch im engeren Sinne könnte daneben noch eine Stunde reserviert werden (also etwa: 3 Stunden gemeinsames Plenum mit einer anderen Gruppe; 1 Stunde „interner“ Austausch).

Die einzelnen Programmpunkte der Fachgruppentreffen sollten rechtzeitiger festgelegt und im Programm der Jahrestagung mit bekannt gegeben werden.

Da vermutet wird, dass mehr japanologische Abschlußarbeiten mit erziehungs- und bildungsrelevanten Themen entstehen als uns bekannt wird, sollte auf die Möglichkeit, solche Arbeiten im Rahmen unserer Fachgruppe vorzustellen und zu diskutieren, verstärkt hingewiesen werden. Angeregt wurde in diesem Zusammenhang, auf der homepage unserer Vereinigung einen entsprechenden Verweis zu installieren. Aber auch die Mundpropaganda kann vielleicht noch intensiviert werden: Alle Lehrenden seien hiermit aufgefordert, ihre Studierenden auf diese Möglichkeit hinzuweisen.