Fachgruppensitzung Kultur und Medien 2016

Bei der diesjährigen Sitzung der Fachgruppe „Kultur und Medien“ gab es je zwei Vorträge aus den Bereichen Journalismusforschung und Fan Studies, zu denen sich eine rege Diskussion entwickelte. Anschließend wurden einige aktuelle Projekte vorgestellt, an denen sich Interessierte beteiligen können.

Erich Havranek (Universität Wien) erläuterte im ersten Vortrag anknüpfend an die aktuelle Debatte um Digital Humanities, wie Zensur quantitativ erforscht werden kann. In seinem Dissertationsprojekt untersucht Havranek Zensur in der Zeitschrift Chūō Kōron zwischen 1926 und 1936 anhand der Verwendung von fuseji – Zeichen, die in Japan ab der zweiten Hälfte des 19. bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts häufig zur Verdeckung der Schriftzeichen von verbotenen Wörtern oder Passagen verwendet wurden.

Havranek hat für das Beispiel Chūō Kōron eine Tabelle von etwa 5000 Zeitschriftenartikeln erstellt, die einerseits Metadaten wie Erscheinungsjahr, -monat, Autor/in, Titel, Seiten sowie andererseits das Ausmaß der Zensureingriffe in Form von fuseji erfasst. Durch eine Untersuchung der Titel mit Textmining-Software zielt er darauf ab, Themen der Artikel auf das Zensurausmaß zu beziehen sowie weitere Verbindungen zwischen Zensur und den Autor/innen sowie den Publikationszeitpunkten aufzuzeigen. Havranek stellte abschließend fest, dass ein quantitativer Ansatz gerade im Bereich der Zensur von Massenmedien sinnvoll sei. Er ermögliche die Gegenüberstellung sowie die Herausarbeitung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten zensierter Themen und Autor/innen. Damit könnten Überblicke über die Auswirkung von Zensur in Phasen mehr oder weniger eingeschränkter Meinungsfreiheit geschaffen werden. In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Frage, was die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen eines solchen Zugangs für die Untersuchung (historischer) Medien sind.

Um Risikoperzeptionen deutscher und japanischer Journalisten im Zuge der Fukushima-Katastrophe ging es im Vortrag von Florian Meißner (Technische Universität Dortmund). Wie Meißner darstellte, ist empirisch belegt, dass deutsche und japanische Medien sehr unterschiedlich über die Katastrophe vom 11. März 2011 berichteten, vor allem im Hinblick auf die Darstellung des Atomunglücks von Fukushima. Meißner hat sich in seiner Forschung nicht nur mit den Inhalten dieser Berichterstattung beschäftigt, sondern auch mit den Rahmenbedingungen: Neben dem Umstand, dass deutsche Berichterstatter in andere Aufgabenkontexte eingebunden waren als japanische Journalisten, die für ein inländisches (z.T. selbst betroffenes) Publikum berichteten, seien noch zahlreiche weitere Faktoren bedeutsam. Dazu zähle u.a. die Frage, wie bereits vor ‚3.11’ existierende Diskurse zum Umgang mit Risiken und Katastrophen die Wahrnehmung und das Problemverständnis deutscher und japanischer Journalisten geprägt haben.

Meißner widmet sich diesen Fragen in seinem Dissertationsprojekt, basierend auf Experteninterviews mit Japanologen und Journalismusforschern sowie narrativen Interviews mit Journalisten, die selbst über die Katastrophe berichtet haben. Als theoretischer Ausgangspunkt dient ihm Becks „Weltrisikogesellschaft“ (2007). Anhand von Beispielen aus dem Interviewmaterial verdeutlichte Meißner in seinem Vortrag kulturell geprägte Risikoperzeptionen („clash of risk cultures“) im Beckschen Sinne, aber auch Divergenzen zwischen den journalistischen Kulturen in beiden Ländern.

Katharina Hülsmann (Universität Düsseldorf) stellte in ihrem Vortrag zu „Dōjinshi zwischen ausdrückender und textueller Produktivität“ Überlegungen zu einem der wichtigsten Grundlagentexte der Fanforschung an: The Cultural Economy of Fandom von John Fiske (1992). Als Stimme aus den Cultural Studies schrieb Fiske diesen Text vor allen Dingen, um der Annahme zu widersprechen, dass Fans nur unkritische Konsument/innen seien und hob hervor, dass es sich bei Fans um Individuen handele, die auf aktive Weise mit populärkulturellen Texten interagieren. Seine drei Formen der produktiven Auseinandersetzung mit populärkulturellen Texten – semiotische, ausdrückende und textuelle Produktivität – wurden zur theoretischen Grundlage für viele wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Fankultur, insbesondere in der ersten Welle der Fan Studies.

Auch im Zeitalter des ‚web 2.0‘ bleiben Fiskes Kategorien relevant, wie Matt Hills in seiner Auseinandersetzung mit Fiskes Theorie und ihrer Anwendung im Bereich der Fan Studies verdeutlicht. Hills hinterfragt die Grenzlinien zwischen den einzelnen Formen der Produktivität in Hinblick auf die digitalen und sozialen Medien. So scheint der Unterschied zwischen ausdrückender und textueller Produktivität laut Sandvoss lediglich in der Form des Textes zu liegen. Hills widerspricht dieser Annahme und verweist auf die Wichtigkeit des sozialen, räumlichen und zeitlichen Kontexts, auch im virtuellen Raum.

Wie Hülsmann verdeutlichte, könnten Hills Überlegungen zu Fiskes Kategorien eine interessante neue Perspektive auf das Medium der dōjinshi eröffnen. Sie seien in ihrer Form und Materialität zwar der eindeutig textuellen Produktivität zuzuordnen, aber im sozialen, räumlichen und zeitlichen Kontext der Fankultur eröffne sich überdies eine hybride ausdrückend-textuelle Dimension.

Philip Lindemer (Universität Bonn) stellte sein Dissertationsprojekt vor, das sich mit der Lebenswelt von Tabletop- und Fantasy-Rollenspielern in Japan beschäftigt. Sogenannte Otaku, denen zunächst ein fragwürdiges Image anhaftete, sind seit einigen Jahren Aushängeschild der „Cool Japan“ Kampagne der japanischen Regierung zur Förderung von in Japan produzierten Anime, Manga und Videospielen im Ausland geworden. In seiner Forschung zu Otaku in Japan hat Lindemer über die Dauer eines Jahres hinweg die Gemeinschaften von Spielern von miniature wargames (in Deutschland auch Tabletop genannt) und Rollenspielen in der Region Tokyo und Yokohama untersucht. Beim Tabletop handelt es sich um eine Art Kriegssimulation, die mit vorher festgelegten Regeln mit Miniaturen von z.B. Soldaten und Panzern auf einem Tisch gespielt wird. Beim Rollenspiel übernehmen die Spieler die Rolle eines fiktiven Charakters, dessen Eigenschaften auf Papier (inzwischen auch in elektronischer Form) festgehalten werden und beschreiben, was ihr Charakter innerhalb des im Spiel kreierten, fiktiven Handlungsrahmens tut.
Lindemer präsentierte erste Ergebnisse seiner teilnehmenden Beobachtung sowie der von ihm durchgeführten Interviews, in denen die Spieler zu ihrem Einstieg ins Hobby und dem Leben mit diesem berichteten.

Ziel von Lindemers Untersuchung ist es zu erarbeiten, wie Otaku von weniger bekannten Nischenhobbys (worunter Tabletop- und Rollenspiele fallen) in Japan leben und welche Konsequenzen ihr Hobby für den Alltag hat. Angelehnt an eine wissenssoziologische Betrachtung stellt Lindemer dabei Habitus und Lebenswelt der untersuchten Personen in den Fokus und wirft einen Blick darauf, wie in den Hobbygemeinschaften soziales und kulturelles Kapital (Bourdieu 1983) ausgehandelt und getauscht wird.

Im Anschluss wurden unterschiedliche Konferenzen und Projekte vorgestellt. Peter Mühleder (Universität Wien) berichtete von der erfolgreichen Durchführung des ersten Cultural Typhoon in Europe in Wien, der europäische Ableger der gleichnamigen Veranstaltung in Japan (–> Link zur Homepage), Fabian Schäfer (Universität Erlangen-Nürnberg) über ein Projekt zur Schaffung einer neuartigen akademischen Publikationsform für das Feld der kritischen Ostasienforschung, die auf der durch das MIT Media Lab erstellten Plattform PubPub.org basiert (–> Link zur Homepage) und Ursula Flache (Staatsbibliothek zu Berlin) über das neue E-Publishing-Angebot von CrossAsia (–> Link zur Homepage)

Elisabeth Scherer