Gender Workshop 2000

Geschlecht und Globalisierung: Vernetzung, Grenzverschiebungen und neue Arenen?

In ihrer Einführung zum 9. Geschlechterworkshop bemerkte Michiko Mae(Universität Düsseldorf), dass die Globalisierung als Veränderungsprozeß nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche, individuelle und kollektive Auswirkungen hat. Gesellschaftliche Verhältnisse werden restrukturiert, was sowohl die Gefahr birgt, dass sich Ungleichheiten verfestigen, aber auch die Chance für Neustrukturierungen, die von Frauen genutzt werden muß und wird. Der Frage, wie dies bisher bereits geschehen ist und welche neuen Strategien und Entwicklungen es in Japan gibt, wurde auf dem Workshop in fünf Einzelbeiträgen aus unterschiedlichen Perspektiven nachgegangen.

Ilse Lenz (Universität Bochum) ging in ihrem Beitrag „Grenzen überschreiten – Geschlecht und Globalisierung“ auf die enge Wechselbeziehung zwischen Globalisierung, die sie als eine Koppelung heterogener und dezentrierter Prozesse mit offenem Ausgang definierte, und nationalen Geschlechterverhältnissen ein. Mit Zunahme globaler Einflüsse verlieren nationale hegemoniale Geschlechterordnungen ihre Wirkungsmacht, in denen den Frauen im Prozeß der Vernationalstaatlichung eine gesellschaftlich anerkannte, aber untergeordnete Rolle zugewiesen wurde. Dies führt einerseits zu Verunsicherungen bei den Frauen, eröffnet ihnen aber andererseits eine Vielzahl neuer Handlungsoptionen über nationale Grenzen hinaus. Die Zunahme wirtschaftlicher Interdependenzen in der Globalisierung kommt es zu Verlagerungsprozessen und es bilden sich neue Segregationslinien in der Arbeitsorganisation heraus, gleichzeitig entstehen neue Managementkonzepte und Diversifizierungsprozesse, die neue Partizipationsmöglichkeiten für Frauen eröffnen. Ein Indiz dafür sind die, wenn auch langsam, steigenden Anteile von Frauen auf Managementebene.

Auf politischer Ebene gewinnen supranationale Organisationen an Einfluß, denen Lenz zwar ein doppeltes Demokratiedefizit hinsichtlich der demokratischen Legitimierungsprozesse und der Unterrepräsentanz von Frauen anlastete, die aber von Frauengruppen und -netzwerken bereits intensiv zur Erarbeitung neuer Regulierungen und Standards und zu ihrer Durchsetzung auf nationaler Ebene genutzt werden. Als Beispiel führte Lenz die Auseinandersetzung um die sexuelle Belästigung im internationalen Vergleich an, in der auch deutlich wurde, dass die Idee der Menschen- und Frauenrechte kein eurozentristischer Ansatz ist, sondern ein globales Anliegen aller Frauen.

Für Japan setzt Lenz den Beginn einer „asiatischen Bewußtwerdung“ und der Vernetzung in der japanischen Frauenbewegung Mitte der 70er Jahre in der von der UNO deklarierten Dekade der Frau an. Es entstanden ein intensiver Austausch zwischen lokalen und nationalen Netzwerken. Die Japanerinnen bildeten auf dem NRO-Forum in Peking mit 5000 Teilnehmerinnen die größte Gruppe und gründeten im Anschluß daran ein feministisches nicht -hierarchisches Dachnetzwerk (Peking Japan Accountability Caucus = Peking JAC), um die Koordination zwischen den einzelnen Netzwerken zu verbessern und zu zentralen Themen Lobbyarbeit zu leisten. Gleichzeitig wurde der Austausch und die Zusammenarbeit mit Frauennetzwerken in Ostasien verstärkt. Ein zentrales Thema ist dabei die Zwangsprostitution im II. Weltkrieg.
Über den aktuellen Stand der Auseinandersetzung mit diesem Thema informierte anschließend Nicola Liscutin (Deutsche Institut für Japan-studien, Tokyo) in ihrem Beitrag „Transversale Politik?“ Initiativen und Projekte der japanischen Frauenbewegung zur ‚Vergangenheitsbewältigung‘. Am 13. und 14. April 2000 fand in Tokyo die von ihr organisierte Konferenz „Contestet Historiography – Feminist Perspectives on World War II“ mit einem international besetzten Referentinnenfeld statt. In der als einen offenen Dialog konzipierten Veranstaltung wurden verschiedene Ansätze zu der Frage, warum die Problematik der jûgun ianfu (wörtlich „Trostfrauen“) so lange nicht thematisiert wurde, zum Teil sehr kontrovers diskutiert. Während Chizuko Ueno den Standpunkt vertrat, dass erst ein Paradigmenwechsel die Erfahrungen der jûgun ianfu als Vergewaltigung erfahrbar gemacht hat, sehen andere Wissenschaftlerinnen wie Yûko Suzuki und Aiko Ôgoshi eine klare Verbindung zwischen dem Tennô-System und den jûgun ianfu. Als Konsequenz haben sie durchgesetzt, dass auf einem vom 8.-12. Dezember in Tokyo stattfindenden „Women’s International War Crimes Tribunal“ auch der Shôwa-Tennô (Kaiser Hirohito, Regierungszeit 1926-1989) posthum angeklagt werden wird.

Liscutin berichtete zum Abschluß über die Vorbereitungen zu diesem Tribunal, an denen eine Reihe von Teilnehmerinnen ihrer Konferenz maßgeblich beteiligt sind. Bisherige Bemühungen der japanischen Regierung, Entschädigungsforderungen durch die Einrichtung eines „Asian Women’s Fond“ auf die privatrechtliche Ebene zu verlagern und eine direkte staatliche Verantwortung für die ianfu-Problematik zu leugnen, stießen überwiegend auf starke Ablehnung. Auf dem Tribunal, in dessen Vorbereitung und Durchführung ein breites Spektrum asiatischer Frauengruppen und Vetreter transnationaler Organisationen eingebunden ist, soll nun den betroffenen Frauen ein Forum für die Geschichtsschreibung aus ihrer Sicht gegeben werden, indem sie die Möglichkeit haben, die Verantwortlichen zumindest symbolisch anzuklagen und durch ein internationales Richtergremium verurteilen zu lassen.

In einen ganz anderen Bereich der Geschlechterforschung führte Lisette Gebhardtam zweiten Tag des Workshops mit ihrem Beitrag „‚Frauenfolklore‘ – Konstruktionen eines ‚anderen Weiblichen‘ in den Zeiten des globalen Ethnodiskurses“ ein. Die feministische spirituelle Bewegung propagiert eine Rückbesinnung auf die besondere weibliche Spiritualität als ein Modell der Selbstidentifikation und schreibt Frauen einen spezifischen Zugang zur Natur zu. Die in vielen westlichen Ländern geführten Ethnodiskurse nehmen zwar in oft exotisierender Weise auf die östliche Spiritualität Bezug, haben sich aber nur unzureichend mit den dortigen Bewegungen auseinandergesetzt. Dabei lieferte gerade auch Japan Beiträge zur internationalen Strömung der „Frauenfolklore“ als einem Teil des globalen Ethnodiskurses. Während die japanische feministische spirituelle Bewegung lange Zeit kaum bekannt war, fand in den 90er Jahren eine Öffnung und eine breite Rezeption westlicher Diskurse statt. Schlüsselwerke der westlichen Bewegung wurden ins Japanische übersetzt. In kritischer Reaktion auf die Orientalisierung in der westlichen Wahrnehmung, die den Orient schon immer als einen „weiblichen“ Kulturkreis definiert hat, kam es zu einer Wiederentdeckung der östlichen Spiritualität im Spiegel einer Selbstorientalisierung. In einem Schlüsselwerk der japanischen feministischen spirituellen Bewegung, „Onna no fuôkuroa“ (Frauenfolklore) von Noboru Miyata und Hiromi Itô, 1986, wurde als Gegenentwurf zu den gängigen Weiblichkeitsvorstellungen Frauen zu Schöpferinnen erklärt, die aus Chaos und Zerstörung Neues schaffen. Als Fazit ihrer Ausführungen stellte Gebhardt fest, dass der japanische feministisch-spirituelle Diskurs ein Teil des globalen Diskurses ist.

Im Anschluß an diesen Vortrag bat Ilse Lenz die Anwesenden um eine Schweigeminute für die kürzlich verstorbene Japanologin Nelly Naumann.
In ihrem Vortrag „Japanische Frauen in Führungspositionen – Karrierechancen im Zuge der Globalisierung“ veranschaulichte Yvonne Ziegler anhand ihrer empirischen Untersuchungen, wie sich globale Öffnungen und wachsende wirtschaftliche Interdependenzen auf Lebenslaufmuster und Arbeitsplatzstrategien der japanischen Frauen auswirken. Im Zeitraum von 1993 bis 1995 führte sie im Rahmen ihres Dissertationsvorhabens 25 qualitative Interviews mit japanischen Karrierefrauen. Obwohl das Sample relativ klein war, zeigten sich eindeutige Tendenzen. Auch bei klarer Berufsorientierung und Ausrichtung auf eine Karriere sahen sich die Frauen großen Problemen bei der Suche nach qualifizierten Beschäftigungsangeboten und der vollen Integration in die Karrierelaufbahnen ihrer Betriebe gegenüber. So wurden sie z.B. lange von den für die Karriere überaus wichtigen Entsendungen ins Ausland ausgeschlossen. Darüber hinaus erfuhren sie keine Entlastung im familiären Bereich, Familienarbeit ist weiterhin Frauensache. Bessere Chancen ergaben sich für viele durch die Öffnung der japanischen Wirtschaft im Zuge der Globalisierung durch das stärkere Engagement ausländischer Firmen. Diese hatten Schwierigkeiten, männliche Arbeitskräfte zu rekrutieren und griffen daher auf das weibliche Arbeitskräftepotential zurück. 18 der 25 Interviewten gaben an, dass in Firmen mit ausländischem Management deutlich bessere Aufstiegschancen für Frauen gegeben sind. In den letzten Jahren entstanden weiterhin mehrere Netzwerke berufstätiger Frauen, so die Working Women’s Association, in der japanische und ausländische Frauen die Möglichkeit des Austauschs und der Fortbildung haben.

Auf einen historischen Vorgang, der sich auf die nationale Geschlechterordnung in Japan auswirkte, ging Anna Maria Thränhardt (Universität Düsseldorf) in dem abschließenden Beitrag „Kaiserin Haruko und das gendering der Monarchie“ ein. Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen war die Einführung des Roten Kreuzes in Japan, mit dem sich Japan nicht nur eindeutige Vorteile in der Kriegsführung versprach, sondern auch die Integration in die internationale Staatengemeinschaft anstrebte. Ehrenvorsitzende wurde Kaiserin Haruko, die damit erstmals in einer offiziellen Funktion auftrat. Dies war ein Beispiel für den Wandel in der öffentlichen Repräsentation des Kaiserhauses nach westlichem Muster im Modernisierungsprozeß. Die männliche Thronfolge wurde erstmals offiziell verankert und die Darstellung des Meiji-Tennôs (Kaiser Meiji, Regierungszeit 1868-1912) vermännlichte sich. Dem Kaiser wurde die Kaiserin, die bisher nur in seinem Gefolge in Erscheinung trat, als weiblicher Gegenpart in der Rolle der „Mutter des Volkes“ an die Seite gestellt. Als Ehrenvorsitzende des Roten Kreuzes fungierte sie nicht nur als Integrationsfigur für die Rekrutierung von Frauen aus dem Adel für den Einsatz in der Organisation, durch sie wurde auch das Berufsbild der Krankenschwester aufgewertet. Es wurden Ausbildungsstätten des Roten Kreuzes eingerichtet und Frauen, vor allem Witwen, eine neue Berufschance und Möglichkeit zur selbständigen Lebensführung eröffnet.