Fachgruppensitzung Politik 2009

Das Treffen der Fachgruppe Politik war mit ca. 30 Teilnehmern sehr gut besucht. Auf dem Programm standen zunächst drei Vorträge, in denen eine kurz vor dem Abschluss stehende Magisterarbeit sowie zwei laufende Promotionsprojekte vorgestellt und intensiv diskutiert wurden. Ebenso wurden die japanischen Unterhauswahlen vom September 2009 diskutiert, in denen die langjährige Regierungspartei LDP eine dramatische Niederlage erlitten hatte und von der Demokratischen Partei Japans abgelöst wurde. Die Fachgruppensitzung wurde geleitet von Gabriele Vogt (Universität Hamburg) und Verena Blechinger-Talcott (Freie Universität Berlin).

Im ersten Vortrag stellte Heiko Lang (Ludwig-Maximilians-Universität München) seine Vorüberlegungen für sein Dissertationsprojekt „Das Erbe der Großostasiatischen Wohlstandsphäre: Ideologische Kontinuitäten im außenpolitischen Diskurs Japans“ vor. Er ging dabei der Frage nach, inwieweit Konzepte und Ideen aus der Vorkriegs- und Kriegszeit, insbesondere im Kontext des Konzepts einer Großostasiatischen Wohlstandssphäre, für den heutigen konservativen außenpolitischen Diskurs in Japan und damit auch für die intraregionalen Beziehungen in Asien noch relevant sind. Seine Arbeitsthese lautete, dass die ideologischen Bausteine, die in den 1930er/1940er Jahren in Japan zu dem Projekt der „Großostasiatischen Wohlstandssphäre“ führten, im gegenwärtigen regionalpolitischen Diskurs noch immer eine Rolle spielen. In der Vorkriegs‐ und Kriegszeit dienten Normen des Asianismus, aber auch bestimmte Rollenbilder, die Japan als Modernisierer, Befreier oder ökonomischer Integrator sahen, zur ideologischen Rechtfertigung für den regionalen Führungsanspruch Japans in Südostasien. Lang argumentierte, dass Begründungsmuster für einen regionalen Führungsanspruch Japans heute – wenn auch mit einer anderen Zielsetzung – auf ähnliche Argumente zurückgreifen wie in den 1930er und 1940er Jahren. Er verwies dabei auf Denkstrukturen, die die ökonomische Integration in Asien in den Kontext des bereits in den 1930er Jahren entwickelten „Fluggänse-Modells“ stellten sowie auf die Bemühungen Japans, sich als „Anwalt“ oder „Sprecher“ Asiens auf internationaler Ebene darzustellen.

Im zweiten Vortrag präsentierte Ruth Achenbach (Universität Hamburg) die Ergebnisse ihrer eben fertiggestellten Magisterarbeit mit dem Titel „Die japanische Taiwanpolitik von Satō bis Fukuda: Erste Schritte hin zu einer eigenständigen Außenpolitik?“. Ihr ging es darum, die Rolle und den Einfluss der USA auf die japanische Sicherheitspolitik zu hinterfragen. Dabei untersuchte sie Japans Verhalten in der China-Taiwan Frage mit dem methodischen Ansatz der „two-level games“, bei dem es darum geht, dass die Entscheidungsträger und ihre Verpflichtung im Mittelpunkt stehen, internationale und nationale Forderungen zu vereinbaren. Beginnend mit Japans Dilemma, welches China es als legitime Vertreterin Gesamtchinas anerkennen sollte, spitzte sich die Frage der Ausrichtung der japanischen Chinapolitik in den 1970er Jahren zu. Japan hatte sich erst 1969 mit den USA auf die Anerkennung der Bedeutung Taiwans für die japanische Sicherheit und auf eine enge Absprache in der Chinapolitik geeinigt, als U.S.-Präsident Richard Nixon am 15. Juli 1971 überraschend einen Besuch in der VR China ankündigte. Japan war also gezwungen, sein Verhältnis zur VR China wie auch zu Taiwan zu überdenken, gleichzeitig verdeutlichte dieser sogenannte Nixon-Schock die außenpolitische Abhängigkeit Japans von den USA. Die Beziehungen Japans zu Taiwan wurden 1972 abgebrochen, 1978 schloss Japan einen Friedens- und Freundschaftsvertrag mit der Volksrepublik. Der Vortrag stellte zunächst die Rahmenbedingungen japanischer Außenpolitik gegenüber den USA wie auch gegenüber China und Taiwan vor und beleuchtet dann die jeweiligen innen- und außenpolitischen Diskussionen zur Chinafrage und ihre Rezeption in den Amtszeiten der Premierminister Satō, Tanaka, Miki und Fukuda. Es wurde deutlich, dass auch die diplomatischen Schritte Japans, die früher als entsprechende Entscheidungen in der amerikanischen Chinapolitik erfolgten, in Abstimmung mit den USA eingeleitet wurden, so dass letztlich von einer von den USA unabhängigen Außenpolitik Japans (noch) keine Rede sein konnte.

Im dritten Vortrag mit dem Titel „Der Weg zum Ziel: Einflussfaktoren bei der Implementierung von Gender Equality in den Präfekturen Nagasaki und Shiga“ stellte Phoebe Holdgrün (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) ihr Dissertationsprojekt sowie die Ergebnisse ihrer Feldforschung in Japan aus dem Jahr 2008 vor. Konkret ging es um die Umsetzung des Konzepts einer „Gesellschaft der gemeinsamen Partizipation von Männern und Frauen“, die als Zielsetzung im Basic Law for a Gender-equal Society (Danjo kyôdô sankaku shakai kihonhô) 1999 rechtlich verankert worden ist. Wie dieses Ziel konkret erreicht werden soll, ist von jeder der 47 Präfekturen in Japan eigenständig zu erarbeiten und umzusetzen. Auf den ersten Blick scheint es, dass sich die Programme der Präfekturen und deren Instrumente ähneln. Holdgrün zeigte jedoch, dass in jeder Präfektur unterschiedliche Rahmenbedingungen vorherrschen, die sich vor allem in verschiedenen Merkmalen der beteiligten politischen Akteure zeigen. Ihre Untersuchung ging der Frage nach, welchen Einflussfaktoren der Implementierungsprozess in den einzelnen Präfekturen ausgesetzt ist. Als Fallbeispiele dienten die Präfekturen Nagasaki und Shiga: Nagasaki mutet als konservative Männerdomäne an, wohingegen Shiga allein schon durch eine höhere weibliche Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen andere akteurspezifische Voraussetzungen für die Umsetzung von Gender Equality mitzubringen scheint.

Im letzten Teil des Fachgruppentreffens analysierte Patrick Köllner (Institut für Asien-Studien, GIGA, Hamburg) „Die Demokratische Partei Japans: Programmatik, Personal und Perspektiven“. Verena Blechinger-Talcott (Freie Universität Berlin) kommentierte den Vortrag. Köllner arbeitete im Vortrag zunächst die Gründe für das Scheitern der LDP bei den Unterhauswahlen 2009 in Japan heraus und stellte die Strategie und das Programm der Demokratischen Partei Japans im einzelnen vor. Ebenso zeigte er erste Entwicklungslinien für die nachfolgende Regierungspolitik auf und wies auf mögliche Konfliktfelder hin. In der folgenden, lebhaften Diskussion ging es insbesondere darum, ob die Wahl 2009 als Paradigmenwechsel in der japanischen Politik zu verstehen ist oder ob sich nun, knapp 15 Jahre nach der Änderung des Wahlsystems und der stärkeren Betonung der Mehrheitswahl durch die 300 in Einerwahlkreisen vergebenen Mandate, die Effekte der Wahlsystemreform niederschlagen und Japan von nun als von zwei, alternierend regierenden politischen Parteien geprägtes System zu verstehen ist.

Verena Blechinger-Talcott (Freie Universität Berlin)