Fachgruppensitung Soziologie und Sozialanthropologie 2006

Die Fachgruppe Soziologie und Sozialanthropologie begann ihre Sitzung in Kooperation mit der Fachgruppe für Erziehung, da das erste Referat für beide Fachgruppen von Relevanz war. Anschließend trennten sich die beiden Fachgruppen für die weiteren Referate.

Als erste Referentin stellte Carola Hommerich, Universität Köln, Teile aus ihrem Dissertationsprojekt vor, in welchem sie die gegenwärtigen Prekarisierungstendenzen junger Erwerbstätiger in Japan und in Deutschland und deren Zusammenhang mit einem möglichen Wertewandel vergleichend untersucht. In ihrem Referat mit dem Titel Wer sind die „Freeter“? Resultat eines Wandels der Werte- oder der Arbeitsmarktstruktur? konzentrierte sie sich auf Japan und stellte vorläufige Ergebnisse aus 30 qualitativen Interviews mit Freetern – jungen japanischen Beschäftigten ohne reguläre Festanstellung – vor, welche sie in Japan durchgeführt hatte. Im Zentrum des Referates stand die Einstellung zu Arbeit und Leben der Interviewten, wobei Frau Hommerich auf eine Einteilung der Freeter in drei Typen zurückgriff, welche sie aus einer qualitativen Studie des Japan Institute for Labour Studies and Policy übernommen hatte. In der Diskussion wurde auf andere mögliche Typeneinteilungen eingegangen und die Methodik der Typenbildung erörtert. Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob die Freeter angesichts der wirtschaftlichen Erholung in den letzten Jahren und des rapiden demographischen Wandels nur ein vorübergehendes Phänomen in Japan seien oder ob Japan sich hierbei mit einem langfristigen Problem konfrontiert sehen wird.

Im zweiten Vortrag „Bitte springen Sie nicht von der Brücke in den Rhein: Interkulturelle Kommunikation und Stereotypisierung“ referierte Christian Tagsold, Universität Düsseldorf, über seine Erfahrungen als Team Liaison Officer der japanischen Fußballnationalmannschaft bei der WM 2006. Hierbei hob er die Diskrepanz zwischen der ausgeprägten interkulturellen Sensibilität einerseits und dem unreflektierten Umgang mit den sprachlichen Problemen von Übersetzungen im Medienbetrieb hervor. Christian Tagsold schilderte, wie einerseits der Umgang der deutschen Gastgeber und Massenmedien mit der japanischen Nationalmannschaft von einem ausgeprägten Bewusstsein für angenommene kulturelle Unterschiede geprägt war. Andererseits wurde jedoch ein möglicher Informationsverlust oder entstehende Bedeutungsverschiebungen durch den Übersetzungsvorgang – welcher z.B. im Falle des brasilianischen Trainers der japanischen Nationalmannschaft zweistufig, d.h. vom Brasilianischen erst ins Japanische und anschließend aus dem Japanischen ins Deutsche bzw. Englische erfolgte – im Medienbetrieb weder thematisiert noch reflektiert. In der Fachgruppe wurden im Anschluss an das Referat vor allem die möglichen Faktoren diskutiert, welche zu dieser Diskrepanz zwischen Sensibilität für interkulturelle Unterschiede und Unterschätzung der Probleme im Übersetzungsprozess führen.

Marie-Luise Legeland, Bonn, griff im dritten Vortrag in der Fachgruppe „Badekur als Lebensstrategie: Eine empirische Untersuchung zu Patienten des jikan’yu in Kusatsu-onsen“ ein Thema aus ihrer Dissertation zur Kulturgeschichte des Badereisens auf. Sie berichtete über ihre empirische Untersuchung der Kur des Zeitbadens (jikan’yu) im Kusatsu-onsen (Präfektur Gunma). Bei dieser Kur wird nach alter Tradition viermal am Tag für nur wenige Minuten im 48 Grad heißen Wasser der Quelle gebadet. Marie-Luise Legeland stellte dar, wie jedoch bei dieser Form der Badekur Widersprüche bestehen: Einerseits wird das Zeitbaden als alte Tradition in Kusatsu zwar weiter betrieben und das damit verknüpfte traditionelle Ritual des Wasserumrührens vor dem Baden in folkloristischen Aufführungen auch touristisch ausgeschlachtet; andererseits wird es jedoch nur halbherzig durch die lokalen Behörden unterstützt und eigentlich fast nur im Verborgenen weiterhin zugelassen. Auch ist das Zeitbaden weder wissenschaftlich untersucht noch offiziell medizinisch als eine Kur anerkannt, geschweige denn durch die Krankenversicherung abgedeckt, obwohl zumindest die regelmäßigen Kurgäste zum Teil erstaunliche Genesungseffekte erzielen. Die anschließende Diskussion drehte sich um die möglichen Faktoren, welche zu dieser Diskrepanz führen.

Dr. David Chiavacci