Fachgruppensitzung Stadt- und Regionalforschung 2010

Die Jahrestagung 2010 der Vereinigung für Sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF) zum Thema „Cultural Power Japan“ fand vom 26. bis 28. November an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main statt. Im Rahmen dieser Tagung begrüßte Thomas Feldhoff (Frankfurt) am Samstag, den 27. November 2010, die Teilnehmer der Fachgruppensitzung „Stadt- und Regionalforschung”. Die Fachgruppe ist im Bereich der Humangeographie angesiedelt (Wirtschafts-, Sozial-, Stadt-, Regionale Geographie), interdisziplinär jedoch offen. Willkommen sind daher stets auch Experten aus den Nachbarwissenschaften, unter anderem der Stadt- und Regionalplanung, der Ökonomie, der Politologie und der Soziologie, der Umweltwissenschaften, des Verkehrs und der Logistik, der Architektur, des Bauwesens oder der Rechtswissenschaft.

Der Vortrag des Raum- und Umweltplaners Christian Dimmer (Tokyo) zum Thema „Wie der öffentliche Raum wieder zu einem Problem wurde: Eine Kartierung umstrittener städtischer Räume im post-industriellen Tokyo” knüpfte gut an den Vorjahresbeitrag von Ralph Lützeler (Tokyo) über die Auswirkungen einer zunehmend neoliberal geprägten Stadtpolitik auf die sozialräumliche Struktur japanischer Großstädte an. Lützeler hatte gezeigt, dass sich der von David Harvey bereits 1989 postulierte Übergang von einer verwaltenden zu einer unternehmerischen, das wirtschaftliche Wachstum einer Metropole in den Vordergrund rückenden Stadtpolitik („From Managerialism to Entrepreneurialism“) auch in Japan vollzogen und unter anderem zu einer Verstärkung kleinräumiger Segregationstendenzen geführt hat – aber auch zu einer zunehmenden Konkurrenz verschiedener Akteure um die Bedeutung und Nutzung des öffentlichen Raumes.

Kein einzelner Ort und Tag wäre besser dazu geeignet gewesen, die steigenden Spannungen in Tokyos öffentlichen Räumen zu verdeutlichen als Shibuya am 4. Mai 2010, wo – gesponsert von der örtlichen Einzelhandelsstandortgemeinschaft und kontrolliert von privaten Sicherheitsdiensten – die Verkehrsarterie Koen-dori von einem Kunstevent mit dem trügerischen Namen „Art Re-PublicShibuya“ vorübergehend vereinnahmt wurde. Obwohl die Veranstalter offensichtlich für die Form und Vermarktung der Veranstaltung starke Anleihen bei der Britischen „Reclaim the Street“-Bewegung machten, fehlte doch deren politischer und emanzipatorischer Inhalt gänzlich. Stattdessen handelte es sich eher um eines der hinlänglich erprobten, ubiquitären und austauschbaren globalen Events, wie sie schon Guy Debord (1967) in seiner „Gesellschaft des Spektakels” kritisierte.

Lediglich einen Block vom geschäftigen Treiben dieses Kunstevents entfernt spielte sich derweil eine völlig andere Szene ab: Eine Gruppe von Kunstaktivisten hielt den städtischen Miyashita Park besetzt, um dadurch Widerstand gegen dessen bevorstehende Sanierung und Umbenennung in „Nike Park“ zu leisten, und durch politische Kunst Aufmerksamkeit auf die Vertreibung der bisher im Park lebenden Obdachlosen zu lenken. Genau wie bei vielen weiteren gegenwärtigen Kontroversen in Japans öffentlichen Räumen, wie etwa der Schließung der temporären Fußgängerzone in Akihabara, dem Straßenbauprojekt in Shimokitazawa, der Einzäunung von Shinjukus Okubo Park, oder dem Bau eines Aquariums in Kyotos Umekoji Park, so kollidieren auch im Miyashita Park verschiedene Vorstellungen, oder, nach Henri Lefebvre, „Repräsentationen“ von öffentlichem Raum.

Das Ziel des Vortrages war daher zunächst eine systematische Bestandsaufnahme aller Konflikte in und um den öffentlichen Raum großer japanischer Städte, der erstmals seit den großen Protesten der 1960er Jahre wieder als Bühne politischen Protests fungiert. Gleichzeitig wird der öffentliche Raum aber auch immer mehr zum Austragungsort großer Events, durch welche die zunehmend unternehmerisch agierenden Städte ihre Konkurrenzfähigkeit im lokalen und globalen Standortwettbewerb zu verbessern suchen. Das Beispiel Miyashita Park ist vor diesem Hintergrund besonders gut geeignet, dieses Spannungsverhältnis aufzuzeigen und zu demonstrieren, wie die Bedeutung des Begriffs „öffentlicher Raum“ kontinuierlich zwischen den konkurrierenden Interessen der verschiedenen Akteure und Institutionen neu verhandelt wird und wie dabei soziale Konflikte immer offener und massiver zu Tage treten.

Christian Dimmer (Tokyo)
Thomas Feldhoff (Frankfurt)