Fachgruppensitzung Kultur und Medien 2003

Im Rahmen der Fachguppensitzung wurden zwei Referate zu Forschungsvorhaben gehalten. Als erstes stellte Marc Löhr (Yamaguchi Universität) sein Dissertationsprojekt„Formen und Vielfalt allgemeiner Tageszeitungen in Japan – eine Stichtagssammlung“ vor, das von der Japanologie und der Medienwissenschaften der Universität Trier gemeinsam betreut wird. Ziel seines Forschungsvorhabens ist es, anhand einer Momentaufnahme des Marktes allgemeiner Tageszeitungen darzustellen, welche Übereinstimmungen und Unterschiede in Form und Inhalt beim Zeitungsmachen vorfindbar sind und ob sich typisierbare Pattern erkennen lassen. Dabei soll vor allem der Frage nachgegangen werden, ob das besonders in der nicht-japanischen Medienforschung gezeichnete Bild von der Einförmigkeit der japanischen Tagespresse bestätigt oder differenziert werden muss. Dem Referenten zufolge haben bisherige Zeitungsstudien den Großteil der Regionalpresse in ihren Betrachtungen vernachlässigt. Dieses Defizit soll behoben und somit eine umfassendere und facettenreicheres Analyse der japanischen Tagespresse geliefert werden.

Die im Mittelpunkt der Studie stehende Methode der Stichtagssammlung ist in der deutschen Pressestatistik als Verfahren zur Ermittlung der numerischen publizistischen Vielfalt auf dem Zeitungsmarkt seit den 50er Jahren fest etabliert. Für den Fall der japanischen Tageszeitungen ist Pressekonzentration zwar – noch – kein Thema, die Methode an sich bietet aber ein attraktives analytisches Mittel, von einem phänomenologischen Ansatz her einen Querschnitt der Presseprodukte auf dem japanischen Markt zu einem bestimmten Zeitpunkt darzustellen. Die Validität und der Erfolg der Stichtagssammlung in Bezug auf die genannte Fragestellung beruht dabei allerdings vor allem auf der Auswahl eines „repräsentativen“ Stichtages und der Definition der Auswahlkriterien der zu sammelnden Zeitungstitel und -ausgaben. Darüber hinaus müssen historische Entwicklungen des japanischen Tageszeitungswesens sowie Strukturdaten des gegenwärtigen Pressemarktes in die Betrachtungen einbezogen werden, um die Analyseergebnisse der Stichtagssammlung in einen medienwissenschaftlichen Gesamtkontext einordnen zu können.

Ein Tag, der den im Vorfeld festgelegten Kriterien für eine Sammlung entsprach, war Freitag, der 14. März 2003. Die Sammlung an diesem Tag konnte technisch erfolgreich durchgeführt werden und Löhr befindet sich zur Zeit bei der Auswertung des Samples. Einzelne konkrete Analysen liefern bereits erste Ergebnisse bezüglich der Fragestellung. Es kann tatsächlich eine große Konformität von Inhalten und deren Anordnung konstatiert werden – allerdings vornehmlich in Erstzeitungen mit globalen Inhalten. Identische Überschriften, die auf den ersten Seiten einiger Zeitungen vorzufinden sind, sieht der Referent mit Bezugnahme auf die japanische Layouttheorie als Anzeichen für die konsequente Umsetzung von Layoutregeln. Bezüglich des Layouts zeigen sich Set-Zeitungen experimentierfreudiger in den Abendausgaben – vor allem solche, bei denen die Abendauflage nur ein Bruchteil der Morgenauflage beträgt. Der politische Kommentar als wichtige journalistische Funktion tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Einige Zeitungen etikettieren sogar Agenturmaterial als Unternehmenskommentare.

Insgesamt lassen sich trotz der konstatierten partiellen Konformität auch Diversifizierungen erkennen. Ein Auslöser dieser Tendenz scheint die Konkurrenz zweier gleichstarker regionaler Tageszeitungen zu sein. Es konturieren sich bei der Analyse auch bestimmte Pattern von Erst- und Zweitzeitungen, die es durch weitere Analysen zu konkretisieren gilt.

Tom Grigull (Universität Leipzig) stellte eine geplante Forschungsarbeit zu Kitano „Beat“ Takeshi vor. In seinem Referat stellte Grigull die beiden neuestenFilmproduktionen Kitanos „Dolls“ und „Zatôichi“ vor und thematisierte sie als popularkulturellen Diskurs zwischen japanischen Theatertraditionen und der japanischen Gegenwart. Für Grigull bilden die beiden Filme „Dolls“ und „Zatôichi“, die beide im Jahr 2003 Premiere hatten, einen Zusammenhang dadurch, dass Themen der japanischen Kulturgeschichte aufgegriffen werden und in unterschiedlichen Brechungen die japanische Gegenwart der Edo-Zeit gegenüber gestellt wird. So greift „Dolls“ das bekannte Bunraku-Stück von Chikamatsu Monzaemon „Meido no hikyaku“ (etwa: „Der Höllenkurier“) auf und verknüpft diese gescheiterte Liebesgeschichte aus dem 18. Jahrhundert mit einer zeitgenössischen. Daneben figuriert er zwei weitere scheiternde Paarbeziehungen, die für Grigull einen moralischen Verfall zeigen, der als Japans wieder kehrender soziokultureller Niedergang verstanden werden kann. Grigull stellte dar, dass Kitano mit „Dolls“ einen „Takeshi“-Diskurs fortsetzt, der die Gegenwart satirisch und zynisch kommentiert. Auffällig ist die Figur des persönlichen Scheiterns, die Kitano aus der japanischen Tradition der Literatur und des Theaters nimmt und in den gegenwärtigen Alltag der japanischen Gesellschaft überführt.

„Zatôichi“, der im Gegensatz zu „Dolls“ in Venedig den silbernen Löwen für Kitanos Schaffen als Regisseur holte, spielt ebenso wie die Vorlage von „Dolls“ in der Edo-Zeit und nimmt Bezug auf eine sehr populäre Filmreihe gleichen Namens aus den 1960er und frühen 1970er Jahren. Laut Grigull geht es Kitano durch eine motivisch nur geringe Verschiebung gegenüber der Originalserie um eine Belebung dieser Zeit ohne die Konventionen der Historienfilme (jidaigeki) zu bedienen. Kitano versuche durch eine teils extreme Darstellung von Gewalt und die Zeichnung der grotesken Hauptfigur des blinden Schwertkämpfer und wandernden Masseurs Zatôichi einen Diskurs über die Edo-Zeit zu führen. Doch auch in „Zatoichi“ wird implizit die Gegenwart Japans thematisiert, indem Kitano die japanische Vormoderne realistisch schildert als eine Zeit, die durch Hungersnöte, Unterdrückung, moralischen Verfall und Phänomene wie Prostitution und sexuellen Mißbrauch von Kindern gekennzeichnet war.