Fachgruppensitzung Kultur und Medien 2011

Zu Beginn der Sitzung wurde ein Wechsel in der Fachgruppenleitung bekannt gegeben. Hilaria Gössmann (Japanologie, Universität Trier) und Annette Schad-Seifert (Modernes Japan, Universität Düsseldorf), die beide über viele Jahre hinweg an der Fachgruppenleitung beteiligt waren, sind von ihrem Amt zurückgetreten. Evelyn Schulz (Japan-Zentrum, Universität München) und Cosima Wagner (Japanologie, Universität Frankfurt) bedankten sich bei beiden für ihre langjährige und konstruktive Mitarbeit als Fachgruppenleiterinnen und begrüßten Urs Matthias Zachmann (Asian Studies, University of Edinburgh) und (in Abwesenheit) Fabian Schäfer (Japanologie, Universität Leipzig) als neue Mitglieder in der Fachgruppenleitung.
Die anschließende Sitzung der Fachgruppe bestand aus drei größeren Programmpunkten. Zunächst fand eine einstündige, sehr ausführliche Vorstellungsrunde der etwa 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Fachgruppe statt. Neben dem wissenschaftlichen Werdegang wurden laufende Projekte aus dem Bereich der japanbezogenen Kultur- und Medienwissenschaften vorgestellt. Aufgrund des großzügigen Zeitrahmens gab es ausreichend Gelegenheit für eine vertiefte Diskussion der angesprochenen Projekte und weiterführender Fragen.

Im Anschluss daran stellte Carolin Fleischer, Doktorandin am Japan-Zentrum der Universität München, in ihrem Vortrag „Terayama Shūjis ‚Werft die Bücher weg, geht auf die Straßen‘ als ethisches Plädoyer“ Ergebnisse aus ihrer unter dem Titel „‚Empört euch‘ – Semiologische Annäherung an Terayama Shūjis ‚Werft die Bücher weg, geht auf die Straßen’“ vorgelegten Magisterarbeit vor. Das Leitthema „Ethics“ der Tagung berücksichtigend, konzentrierte sich die Referentin bei ihren Ausführungen auf ethische Fragen. Fleischer begreift den multimedial operierenden Künstler Terayama Shūji (1935-83) als Schlüsselfigur einer intellektuellen, gegenkulturellen Kunstszene im Japan der Nachkriegszeit und zeigt an „Werft die Bücher weg geht auf die Straßen“ (Sho o suteyo, machi e deyō) – erschienen als Essay (1967), Drama (1968) und Film (1971) –, dass der Werkkorpus Terayamas vor der Folie der im höchsten Maße politisierten 1960er Jahre als ethische Positionierung gelesen werden darf. Dabei deutet Fleischer die anhaltend artikulierte Anti-Haltung des Künstlers als Rebellion gegen als absolut empfundene Macht- und Autoritätsstrukturen sowie gegen aus der (Vor-)Kriegszeit fortbestehende ungebrochene Kontinuitäten u.a. in Politik, Wirtschaft oder Bildungswesen. Provokativ ergreift Terayama in dem Essay „Werft die Bücher weg, …“ Partei für einzelne jugendliche Mörder mit dem Argument, dass die Gesellschaft Verbrechen und Verbrecher forme, und stilisiert die der Generation der Väter Zugehörigen zu den wahren Tätern. Er kodiert die Heldenfiguren – insbesondere Gekkō Kamen, den maskierten Fernsehsuperhelden US-amerikanischer Prägung – zu Stabilisatoren einer reformbedürftigen hierarchisch-gerontokratischen Gesellschaft um und erklärt Gerechtigkeit zum politisch vereinnahmten Terminus. Betonend, dass es weder Recht und Gerechtigkeit noch Autoritäten gäbe, die darüber zu entscheiden vermögen, plädiert er stattdessen für Selbstbestimmung, Freiheit und Individualität. Auch in dem gleichnamigen Film, einer Geschichte vom konfliktreichen Coming of Age des Protagonisten Watashi, finden die Diskurse um diese elementaren ethischen Fragen ihre plurisemiotische Repräsentanz. Dabei dienen narrationsbrechende, intermediale Einschübe – seien es Fotos, Plakate, Happening-Sequenzen in Tokyoter Straßen oder Rockmusik – als Metaebene für eine abstrahierte Auseinandersetzung. Parenthetisch wird hier politisches Handeln als performative Täuschung diskutiert: Einerseits ist die Realpolitik, symbolisiert durch Masken mit dem Gesicht des Politikers Satō Eisaku (1901-75), als Identität und Interessen verbergender Bluff perspektiviert; andererseits sind die Angehörigen der Protestbewegung als unmaskierte Maskenspieler gezeichnet, da diese politisches Engagement vorgeben, um mit der freien Sexualität oder dem Marihuana-Konsum eigene Bedürfnisse verwirklichen zu können. Beide Formen des politischen Handelns sind mittels Affektion und (Stereo-)Typisierung als unaufrichtiges, egoistisches Agieren gezeigt. Politik erscheint als eine menschliche Interaktionsplattform (neben zahlreichen weiteren), in der Fehlverhalten möglich und zu welcher eine kritische Reflektion geboten ist. Terayama legt mit Essay und Film „Werft die Bücher weg, …“ nicht alleinig Gattungs- und Mediengrenzen transzendierende formale Experimente vor, sondern positioniert sich zugleich inhaltlich für ein dezidiert individualistisches Konzept von Ethik, das den Einzelnen stärkt, zugleich aber auch fordert.

Im dritten Teil der Fachgruppensitzung wurde eine Diskussion zum Thema „‚Cool Japan‘ in Politik und Wissenschaft – aktuelle Entwicklungen und Diskussionsthemen“ geführt, die Cosima Wagner mit einem Impuls-Vortrag einleitete. Während sich das Japan-Fantum als Teil der Jugendkultur im deutschsprachigen Raum fest etabliert habe, worüber nicht zuletzt das Internet Zeugnis ableiste (z.B. Videos von Jugendzimmern mit Japan-Devotionalien auf You Tube, Convention-Kultur, Internetanbieter für japanische Popkulturprodukte etc.), schreite die politische Vereinahmung des globalen Japan-Booms in Japan auch nach der Dreifachkatastrophe des 11. März weiter voran. Vor allem das Ministry of Economy, Trade and Industry (METI) trete hier mit einem im Jahr 2010 etablierten „Creative Industries Promotion Office“ (Kurietibu Sangyō-ka) hervor, welches es sich zum Ziel gesetzt habe, „Cool Japan“ als Exportprodukt bzw. „Marken-Image“ Japans zu fördern und gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise sowie Bewältigung der Erdbeben- und Atomkatastrophe neue Absatzmärkte im Ausland zu erschließen. Sie führte einige Beispiele der Fördermaßnahmen der Jahre 2010 bis 2011 an und verwies für den Bereich der Wissenschaft auf die seit dem Jahr 2010 eingerichtete „Cool Japan“-Curricula, mit denen staatliche und private Universitäten in Japan ausländische Studierende für ein Studium im Land gewinnen wollten. Neben aufschlussreichen Exkursionen zu den Produktionsstätten der Populärkultur (Manga-Verlage, Anime-Produktionsstudios, Videospiele-Hersteller) würde dem Erfahrungsbericht eines Frankfurter Japanologie-Studierenden zufolge jedoch die staatliche Vorgabe der Präsentation einer „coolen Japan-Marke“ zum Teil unhinterfragt im universitären Unterricht als nationales Selbstbild dargestellt. Die anschließende Diskussion griff die Frage auf, wie eine Einflussnahme des Staates auf die Produktion „kreativer“ Ideen und Produkte zu bewerten sei und welche Akteure der japanischen Kulturindustrie von der neuerlichen Förderung profitierten. Auch die Gefahr nationalistischer Tendenzen („soft nationalism“, vgl. Iwabuchi, Kōichi (2002): „‚Soft‘ Nationalism and Narcissism: Japanese Popular Culture Goes Global“, Asian Studies Review, Vol. 26, No. 4, S. 447-469), die Stereotypisierung von Japan-Bildern im Post-Fukushima-Zeitalter und die Implikationen für die japanologische Forschung und Lehre wurden angesprochen. Das Japan-Fantum im deutschsprachigen Raum wurde vor allem vor dem Hintergrund der steigenden bzw. gleich bleibend hohen Studierendenzahlen im Fach und der Bedeutung für das japanologische Curriculum diskutiert.

Die Sitzung der Fachgruppe „Kultur und Medien“ 2011 endete mit einer Einladung an alle TeilnehmerInnen, auch zukünftig Abschlussarbeiten und Projekte im Rahmen der kommenden Fachgruppensitzungen zu präsentieren.

(Evelin Schulz)