Fachgruppensitzung Politik 1999

Die Fachgruppe Politik fand mit 17 TeilnehmerInnen recht regen Zuspruch und reflektierte auch in diesem Jahr wieder ein breites Spektrum von Forschungs-themen, die bearbeitet worden sind oder sich in der Bearbeitung befinden. Erfreulich war unter anderem, dass doch eine beachtliche Anzahl von Mitgliedern in der Vereinigung an Themen arbeitet, die man nicht unmittelbar der Politikwissenschaft als Disziplin zuschlagen würde, die aber auf verschiedenste Weise interessante Bezüge zur politikwissenschaftlichen Japanforschung herzustellen erlauben. Zu nennen wären beispielsweise der Bereich „Wahlgeographie“ oder der Untersuchungsgegenstand „neue Religionen“ – Bereiche also, die bislang wenig Eingang in das Feld Politik gefunden haben, deshalb aber um so spannender zu werden versprechen. Die primär mit politikwissenschaftlichen Ansätzen bearbeiteten Themen können in drei mehr oder minder klassische Kategorien gefaßt werden: Arbeiten im Gebiet Internationale Politik/ Internationale Beziehungen, Arbeiten im Gebiet Vergleichende Regierungslehre/comparative politics und Arbeiten mit ausschließlichem, innenpolitischen Japanbezug. Proportional überwog das Gebiet Internationale Beziehungen leicht, doch sollte dies keine Rückschlüsse auf die politikwissenschaftliche Japanforschung in Deutschland generell hervorlocken, denn der bis hin zum Internationalen ist wohl eher den Vortragsthemen der diesjährigen ReferentInnen zu schulden.

Beiden Vorträge in der diesjährigen Runde liegen Dissertationsprojekte zugrunde, wobei im einen Falle das opus magnum noch aussteht, im anderen Falle in Bälde mit dem publizierten Buch gerechnet werden darf. Im folgenden seien die Inhalte der Vorträge nur äußerst knapp skizziert, denn jeglicher Versuch, eine gebührende Zusammenfassung zu liefern, würde mehrere Seiten des newsletter in Anspruch nehmen.

Vortrag Nr. 1 von Ben Warkentin (Universität Duisburg, Institut für Entwicklung und Frieden) behandelte die Frage nach Reformen in der japanischen Außenpolitik, d.h. konkret die Frage danach, ob „Reformen“ wie die vor nicht allzu langer Zeit verabschiedeten US-amerikanisch – japanischen Guidelines oder die neuen Beschlüsse zur Teilnahme Japans an Peace Keeping Operations auf eine angestrebte Führungsrolle (leadership) hindeuten. Zur Analyse stellte Warkentin zwei Thesen vor, die die leadership-Problematik sehr präzise in den Kontext des Spannungfeldes Innenpolitik-Außenpolitik stellte. Warkentin vertrat in seiner Analyse verschiedener wegweisender Entscheidungen in der japanischen Außen-/ Sicherheitspolitik der Nachkriegszeit die These, dass das Ziel der Reformpolitik der 1990er Jahre darin liege, in zentralen Bereichen der internationalen Beziehungen den Status quo zu erhalten. In Japan selbst solle, so Warkentin, überdies der Status quo in der Rolle der zentralen Akteure in der Außenpolitik – Außenministerium, MITI, … – aufrecht erhalten werden. Die von John C. Campbell betonte Vokabel „baransu“ (Balance) schien bei diesem Referat wieder im Raum zu stehen, allerdings in anderem Sinnzusammenhang als bei Campbell. Warkentin charakterisierte nämlich die außenpolitischen Entscheidungen und Reformen der 1990er Jahre als Prozesse, die auf die auf die Wiederherstelllung eines verletzten Gleichgewichtes zwischen der Friedensverfassung einerseits und der Bündnispartnerschaft mit den USA andererseits ausgerichtet sind. Als interessant erwies sich in diesem Zusammenhang vor allem die Haltung des US-amerikanischen Pentagon, das in jüngster Zeit betont, dass die Guidelines den AMPO-Vertrag von 1961 (d.h. der Sicherheitsvertrag nach der ersten Revision) nicht unterlaufen können. Dies sind freilich ganz andere Töne als die der Vergangenheit, in denen immer wieder lautstark der Einsatz Japans gefordert wurde bis hin zur Abschaffung des Friedensartikels (Art. 9) der Verfassung. Wie die veränderte Haltung des Pentagon zu bewerten ist, konnte aus Zeitgründen im Plenum nicht mehr ausgiebig diskutiert werden.

Dr. Martina Timmermann widmete sich in ihrem Vortrag den in der Politikwissenschaft sehr strapazierten und besonders in bezug auf die Konzeption von Gabriel Almond, Sidney Verba und Lucian Pye stark kritisierten Forschungsansätzen zur politischen Kultur. Timmermann legte in ihren Ausführungen dar, dass der Almond/Verba-Ansatz der politischen Kulturforschung, auf dem letztlich auch die Inglehartschen Langzeitstudien basieren, in der Kombination mit anderen Ansätzen durchaus zu fruchtbaren Ergebnissen führt. Viele der Almond/Verba-kritischen Argumente entspringen der Leichtfertigkeit, mit der politische Kulturforschung und Umfrageforschung gleichgesetzt werden. Löst man sich von dieser Gleichsetzung und nimmt zudem noch Ansätze in das Forschungsdesign auf, die es erlauben, langlebige Denkmuster und Denktypen in Gesellschaften zu erfassen, können gegenwartsbezogene Bewertungen zur politischen Kultur historisch angebunden und damit auch auf ihre Dauerhaftigkeit hin überprüft werden. Als theoretischer Bezugrahmen dienten Timmermann neben der politischen Kulturforschung die Kulturanthropologie und die Symbolforschung. Die Erfassung von Denkmustern und Symbolbegriffen in Japan und den USA wurde angereichert durch Umfragen in beiden Ländern. Zwischen den Umfrageergebnissen und den Ergebnissen der Denkmusteruntersuchung konnte so ein cross-check stattfinden, oder, in der Diktion Timmermanns, konnten „aktuelle Bewertungen mit historischen Aussagen in kausalen Zusammenhang gebracht werden“. Als Gesamtergebnis „läßt sich in den japanischen und amerikanischen Denkmustern zu Wandel eine grundsätzlich divergierende Einstellung zu Politik, zu politischen Gestaltungsmöglichkeiten, zu Macht und Ohnmacht des/der einzelnen und schließlich auch ganz grundsätzlich zu den antizipierten Chancen auf soziopolitische Veränderung feststellen.“ Die Frage, ob die politische Kultur Japans das Ergebnis der Macht kollektiver Denkmuster ist, konnte in der Diskussion nicht mehr eindeutig geklärt werden. Für den diesjährigen Arbeitskreis der Fachgruppe Politik standen mit den beiden Vorträgen zwei Beispiele zur Verfügung, die veranschaulichen, wie politikwissenschaftliche Theorien und Methoden auf Japan als Fallbeispiel angewandt werden können. Wenn, wie im Falle der Untersuchung Warkentins, die Theorien der internationalen Beziehungen kein zufriedenstellendes Instrumentarium bieten, erscheint die Untersuchung Japans um so wichtiger, um die bestehende Theoriediskussion zu beflügeln und vermeintliche universale Wirkmächtigkeit immer wieder auf’s neue in Frage zu stellen.