Fachgruppensitzung Technik 2017
Bei der Sitzung der Fachgruppe „Technik“ anlässlich der VSJF-Jahrestagung 2017 am 1. November 2017 an der Universität Wien gab es zwei Vorträge aus den Bereichen STS und kulturwissenschaftliche Technikforschung, zu denen sich eine rege Diskussion entwickelte.
Anschließend stellten die TeilnehmerInnen eigene Projekte im Bereich der japanbezogenen Technikstudien vor.
Dr. Cosima Wagner führte in ihrer Funktion als gemeinsame Leiterin der Fachgruppe einleitend zu nachfolgenden Vortrag aus, dass die Verwendung von Suchalgorithmen und ihre Auswirkung auf das wissenschaftliche Forschen und Lehren ein Desiderat der japanologisch-informationswissenschaftlichen Auseinandersetzung sei. Als solche werde diese derzeit insbesondere in Infrastruktureinrichtungen wie Bibliotheken erörtert. Dort kämen zunehmend sogenannte „Discovery-Systeme“ von privaten Unternehmen zum Einsatz, bei denen die Basis, auf der die Suchergebnisse von Katalogrecherchen angezeigt würden, nicht mehr nachvollziehbar sei – insbesondere was Katalogdaten in nicht-lateinischen Schriften beträfe. Bei dem Aufbau neuer Forschungsinfrastrukturen wie z.B. Repositorien oder virtuellen Forschungsplattformen seien die Anforderungen von Fächern wie der Japanologie, deren Quellenbasis Daten in japanischer Schrift sind, kaum bekannt und insbesondere bei der für die Auffindbarkeit zentralen Suchfunktion zu wenig berücksichtigt. Der Beitrag von Dr. Astrid Mager biete daher die Möglichkeit, einen Impuls für eine Japanbezogene Algorithmenforschung zu erhalten.
Im ersten Vortrag zu „Algorithmischen Imaginationen. Visionen und Werte in der Ko-Produktion von Suchtechnologie und Europa“ untersuchte Dr. Astrid Mager vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Ko-Produktion von Suchtechnologie und europäischer Identität im Kontext der EU Datenschutzreform.
Zu Beginn des Beitrags führte Mager aus, dass die Verhandlungen der EU Datenschutzreform von 2012 bis 2015 gedauert hätten und in einen Gesetzestext geflossen seien, der für alle europäischen Mitgliedsländer direkt bindend sei. Ihr Vortrag präsentiere Ergebnisse aus ihrer Forschung, in der sie eine Diskursanalyse von EU Politik-Dokumenten und österreichischen Medienartikeln zum Reformprozess durchführte. Unter Anwendung des Konzepts der „sozio-technischen Imaginationen“ analysierte sie, wie sich eine europäische Imagination von Suchmaschinen im EU Policy Kontext formiert, wie europäische Identität in der imaginierten Politik der Kontrolle konstruiert wird, und wie nationale Spezifika zur Konstruktion und Dekonstruktion von europäischer Identität beitragen. Um zu zeigen welche Rolle nationale technopolitische Identitäten in der Ko-Produktion von Suchtechnologie und Europa spielen, führte sie das Fallbeispiel Österreich an. Österreich sei ein kleines Land mit einer langen Datenschutzgeschichte und einer Tradition zurückhaltender Technologiepolitik, die sich auch in einer kritischen Haltung gegenüber Internettechnologien widerspiegele.
Anschließend stellte sie ihr laufendes Forschungsprojekt zu alternativen Suchmaschinen im europäischen Kontext vor. Ziel dieses Projekts ist es, politische Imaginationen mit tatsächlichen Praktiken der Suchmaschinengestaltung zu kontrastieren. Konkret sind dazu drei Fallbeispiele geplant, die anhand von qualitativen Interviews, Workshops und ethnographischen Kurzbeobachtungen untersuchen sollen, wie sich die Entwicklung von Suchmaschinen im europäischen Kontext gestaltet und welche Rolle gemeinschaftliche Werte und kollektive Visionen darin spielen.
Die vorgestellten Suchmaschinen-Projekte umfassten die Initiative „Open Web Index“, die einen öffentlichen, unabhängigen Webindex schaffen möchte, die Peer-to-Peer Suchmaschine „YaCy“, die das Ziel hat eine dezentrale, nicht-kommerzielle Suchmaschine zu entwickeln, sowie die privatsphäre-freundliche Suchmaschine „StartPage“, die den Google Index verwendet, seinen NutzerInnen aber Anonymität zusichert. Als spannendes interdisziplinäres Austauschformat zwischen InformatikerInnen und STS-ForscherInnen stellte sie „Mind Scripting Workshops“ vor, in denen (nach Doris Althutter) Sofware-IngenieurInnen und STS-ForscherInnen über die Werte und Vorannahmen, die in die Programmierung z.B. von Suchalgorithmen geflossen sind, reflektieren. Weitere Informationen unter http://www.astridmager.net.
Der zweite Vortrag zu „Mit Toten kommunizieren: Technik und Trauer in Japan“ von Dorothea Mladenova, M.A., Doktorandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Japanologie der Universität Leipzig, thematisierte Aspekte der Technisierung des Todes und der Trauerarbeit in Japan.
Mladenova präsentierte dabei ihr Promotionsvorhabens zur Organisation des Ablebens (shūkatsu 終活), bei dem sie in Japan auf neue Bestattungs- und Trauermodelle gestoßen war. Diese nutzten neue technische Möglichkeiten, um konventionelle Rituale in die digitale Sphäre (und zurück) zu übersetzen und somit neue Wege des Umgangs mit dem Tod von Nahestehenden zu eröffnen. Diese technischen Aspekte wurden im Vortrag näher erläutert: von digitalen Friedhöfen (ネット墓) und Kolumbarien mit Fließband-Mechanik (搬送式納骨堂), über 3D-Puppen Verstorbener (遺人形) bis hin zum Einsatz künstlicher Intelligenz, um letzte Worte mit den Verstorbenen „zu wechseln“ (デジタルシャーマン). Technik könne Trauerarbeit erleichtern, aber – wie mit zahlreichen Bild und Videomaterialien anschaulich illustriert – im Bereich des Todes auch ungewohnte oder sogar befremdliche Wirkung hervorrufen.
Um sich des Themas analytisch anzunähern, ging sie zunächst der Frage nach, welche individuellen und sozialen Funktionen Trauer habe und wie Rituale wie die Bestattung diese Funktionen erfüllten. Über eine (kursorische) Inventur der Medien, die traditionell dazu genutzt würden, mit dem Tod umzugehen – Grabsteine (墓石), Totentafeln (位牌), Fotografien (遺影) – wurden die Funktionen und Wirkungen dieser allgemein üblichen und formalisierten Medien in Bezug auf Trauerbewältigung beleuchtet. Daraufbasierend ging Mladenova im Anschluss auf die Wirkungsweise neuerer und alternativer Medien wie z. B. netto haka (www.i-can.jp/sousou/nathakamairi) nach. Hierbei stand die Frage im Mittelpunkt, inwiefern eine Kontinuität zwischen den bisher üblichen und den neuen Medien bestehe oder ob diese eine neue Sicht auf den Tod und den Umgang mit der eigenen Sterblichkeit eröffneten – etwa, wenn die Verstorbenen selbst plötzlich auch „antworten“ könnten. Dies und inwiefern man die bei ihren Feldforschungen erhobenen empirischen Daten hinsichtlich der Einbeziehung einer STS-Perspektive sinnvoll theoretisieren könne, wurde hernach mit den TeilnehmerInnen der Fachgruppe diskutiert. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte dorothea.mladenova@uni-leipzig.de.