Fachgruppensitzung Stadt- und Regionalforschung 2000

Die neue Fachgruppe „Stadt- und Regionalforschung“ konstituierte sich am 14.10.2000 anläßlich der 12. Jahrestagung der VSJF in Heidelberg.

Der ersten Sitzung voraus ging eine gemeinsame Veranstaltung mit der Fachgruppe „Kultur“ zum Thema „Keikan ronsô: Tradition, Öffentlichkeit und Stadtbild in Kyôto“, einem Forschungsprojekt von Dr. Christoph Brumann, Institut für Völkerkunde, Universität zu Köln.

Der Referent stellte nach 17monatiger ethnographischer Feldforschung (1998/99) Methoden (teilnehmende Beobachtung, Interviews, Fragebögen) und erste Ergebnisse vor. Im Stadtbild Kyôtos, Prototyp der traditionellen japanischen Stadt, ist der öffentliche, historisch bedeutsame Raum seit einiger Zeit als gefährdet erkannt und zum beliebten Diskursobjekt geworden. Städtische Beamte, Experten, Architekten, Bürgerinitiativen, Eigentümer und Normalbürger beteiligten sich in einer Vielzahl von organisierten Aktivitäten und Foren an der Debatte um das Stadtbild. Heftige Streitigkeiten entstanden um die Neubauten des in den 90er Jahren errichteten Hauptbahnhofs und des Kyôto Hotels, die beide die satzungsmäßig für Kyôto vorgegebenen Höhengrenzen (maximal 60 m) überschreiten. Der Plan, mit der Pont des Arts eine Pariser Fußgängerbrücke (über den Kamogawa) zu kopieren, scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Manshon-Hochhausprojekte riefen fast überall zumindest nachbarschaftlichen Protest hervor. Vorkriegsbauten im westlichen Stil werden wiederentdeckt, die traditionellen japanischen Stadthäuser (machiya) erleben neue Wertschätzung. Der didaktisch, methodisch und inhaltlich sehr anregende Vortrag vermittelte eine Vorstellung von den kontroversen Diskussionen darüber, welche Rolle Tradition, Demokratie, öffentlicher Raum und Privatrecht im heutigen Japan spielen.

Anschließend tagten beide Fachgruppen getrennt, wobei vor allem zu klären war, ob und wie aus der einzelnen Fachgruppe heraus ein Thema für die nächste Jahrestagung der VSJF 2001 „Medien als Gegenstand und Triebfeder des Wandels“ entwickelt werden könnte. Die neue Fachgruppe „Stadt- und Regionalforschung“ sieht sich nach dem derzeitigen Kenntnisstand noch nicht in der Lage, einen adäquaten Beitrag zu leisten. Als raumwissenschaftlich interessantes Thema bietet sich „Telearbeit“ an. Darüber wird demnächst am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Duisburg eine Diplomarbeit (Autor: cand. reg. wiss. Guido Hofmann) vergeben, deren Abschluß im Frühjahr 2001 zu erwarten ist.

An der konstituierenden Sitzung der Fachgruppe „Stadt- und Regionalforschung“ nahm nur die Hälfte von etwa einem Dutzend Interesse signalisierender Kolleg(inn)en teil. Die verbleibende Zeit bis 19 Uhr (Beginn der Sitzung des neuen Vorstands der VSJF) reichte gerade aus, sich persönlich bekanntzumachen bzw. über derzeitige Forschungsinteressen und -projekte zu berichten. Wegen der Zeitknappheit konnte Oliver Mayer (Geographisches Institut, Ruhr-Universität Bochum) sein Dissertationsvorhaben „Chancen und Risiken des öffentlichen Nahverkehrs in Japan – das Beispiel Hiroshima“ nicht mehr vorstellen. Dr. Silke Vogt (Geographisches Institut, Universität Bonn), die über ihre Promotionsschrift „Bürgerbeteiligung an machizukuri-Projekten in Japan (Fallbeispiel Tokyo)“ sprechen wollte, mußte wegen eines Krankheitsfalls absagen und schickte ein Abstract.

Wie schon beim „Call for Papers“ angekündigt, ist die neue Fachgruppe schwerpunktmäßig im Bereich der Humangeographie angesiedelt (Wirtschafts- und Sozial-, Stadt-, Regionale Geographie) und interdisziplinär offen. Da bisher fast ausschließlich Geograph(inn)en Interesse angemeldet haben, sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass Expert(inn)en auch aus den Nachbarwissenschaften – Stadt- und Regionalplanung, Soziologie, Verkehr und Logistik, Architektur und Bauwesen, Jura (Bau- und Bodenrecht) – herzlich willkommen sind. Wir wünschen uns Anregungen zu neuen Forschungsansätzen und möglichst auch theoriegeleitete Beiträge, die über Idiographisches hinaus japanische Charakteristika international vergleichend einzuordnen versuchen und, wenn möglich, stimulierend auch im Sinne einer angewandten – handlungsorientierten – Forschung wirken.

Bericht: Winfried Flüchter