Gender Workshop 2002

Zur Reproduktion von Geschlechterverhältnissen und Japan/Ostasien

Vom 21. bis 22. November 2002 fand im Rahmen der Jahrestagung der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung der 11. Workshop „Geschlechterforschung zu Japan“ statt, der diesmal unter dem Motto „Zur Reproduktion von Geschlechterverhältnissen in Japan/ Ostasien stand. Mit der expliziten Verankerung von Ostasien schon in der Formulierung des Rahmenthemas wurde eine Entwicklung bestärkt, die sich spätestens seit dem Jahr 2000, als „Globalisierung“ im Mittelpunkt des Interesses stand, abzuzeichnen begonnen hatte.

Es scheint in der Tat einfacher zu sein, Brücken zum asiatischen Festland zu schlagen und Vortragende zu gewinnen, die zur Situation (vor allem) koreanischer und chinesischer Frauen forschen, als Referenten, die Geschlechterforschung aus der Perspektive der japanischen Männer betreiben. Nach elf sehr erfolgreichen Jahren des Austausches über Frauen- und Geschlechterforschung in Japan konnte man sich heuer des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Plattform die Funktion eines formidablen Feigenblatts zukam, das die mangelnde Berücksichtigung von Geschlechteraspekten in den Referaten der Haupttagung verhüllte. Vielleicht sollte man sich in den kommenden Jahren verstärkt zur Aufgabe machen, auf diesen blinden Fleck hinzuweisen.

Stellvertretend für die Organisatorinnen konstatierte Ilse Lenz eingangs einen grundlegenden Wandel der Geschlechterverhältnisse in Japan. Das patriarchale Haus (ie) ist erschüttert, was sich besonders markant an der Diskussion um eine weibliche Nachfolge im Kaiserhaus zeigt. Dennoch werden Geschlechterverhältnisse reproduziert, und zwar scheinbar „natürlich“. Der Frage, wie es trotz aller Veränderungen zu einer Stabilität des Geschlechterverhaltens kommt und welche Veränderungen stattfinden, sollte in den folgenden sechs Vorträgen nachgegangen werden. (Der Vortrag von Mikiko Eswein über „Wandel der Personalentwicklung japanischer Großunternehmen im Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung“ musste aus Krankheitsgründen leider entfallen.)

HIMEOKA Toshiko (Ritsumeikan Universität) sprach in „Arbeit und Geschlecht im 19. und 20. Jhd. – Japanische Beispiele aus einer vergleichenden Perspektive“ über die Trennlinie der Geschlechter und den Stellenwert des Geschlechts für die Arbeit japanischer und deutscher Weberinnen in der Modernisierungsphase, also des Übergangs von der Hausindustrie zur mechanisierten Fabrikproduktion. Markantester Unterschied war das Geschlecht der ArbeiterInnen: während die deutsche Weberei von Männern dominiert wurde, stellten in Japan Frauen 95 Prozent der ArbeiterInnen. Eine Ausnahme stellte lediglich die angesehene „nishijin“-Weberei in Kyoto dar, in der mehr als die Hälfte der Beschäftigten männlich waren: hier dominierten bei komplizierten Webarbeiten die als professionell qualifiziert geltenden Männer in einer „naturgegebenen“ Arbeitsteilung. Die meisten Weberinnen kamen aus landwirtschaftlichen Familien, in denen die Webtechnik von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurde. Auch wenn die Mädchen eine drei- bis sechsjährige Ausbildung in einer Manufaktur gegen Kost und Quartier absolvierten und bei guter Arbeit Stoffe oder einfache Webgeräte als Mitgift erhielten, wurden sie nicht wie Männer als Lehrlinge, sondern als Dienerinnen bezeichnet. Auch ihrem Selbstverständnis nach waren sie keine Handwerkerinnen, sondern Hausfrauen mit besonderer Qualifikation. In Gebieten mit viel Weberei wurde Weben als Hauptqualifikation für die Ehe angesehen und die Frauen waren stolz auf ihre Fähigkeiten. Im Gegensatz dazu nannten sich viele männliche Weber in Deutschland Webmeister, auch wenn sie keiner Zunft angehörten. Himeoka zog daraus den Schluss, dass unabhängig von der Qualifikation Geschlecht den entscheidenden Faktor darstellte, ob Arbeit als Handwerk galt oder nicht. Weberinnen galten in Japan nicht als professionelle Arbeiterinnen, sondern lediglich als Arbeiterinnen mit bestimmten Qualifikationen.

Ingrid Getreuer-Kargl (Universität Wien) und Anemone PLATZ (Universität Aarhus) gingen der Frage nach, wie sich Geschlecht über den Körper reproduziert („Habituierte Körper oder die Leibhaftigkeit des Geschlechterverhältnisses“). Getreuer-Kargl analysierte Photographien von Männern und Frauen in Alltagssituationen im (semi-) öffentlichen Raum auf Körperhaltungen beim Sitzen, Gehen und Stehen. Auf einem Kontinuum von wenig raumbeanspruchenden bis zu ausladenden Haltungen überwiegen Männer auf dem „raumbeanspruchenden“ Ende und Frauen komplementär auf der Gegenseite. Neben dem unterschiedlichen Platzanspruch zeigte sich eine weitere Differenz in der Körperanspannung: während Männer meist lockere Haltungen bevorzugen, sofern sie nicht zielstrebig ausschreiten, sind Frauen um aufrechte „Haltung“ bemüht. Beide Merkmale der männlichen Körpersprache, Raumanspruch und Entspannung, korrelieren mit Dominanz und scheinen sich wie die komplementäre weibliche Körpersprache in den ersten beiden Grundschuljahren zu verfestigen. Als männliche und weibliche Hexis wird so über Körpersprache nicht nur Geschlecht un(ter)bewusst reproduziert, sondern gleichzeitig und unvermeidbar auch Machtverhältnisse.

Ergänzend dazu ging Anemone Platz in ihrem Referat den Veränderungen in der Körpersprache nach, die sich bei japanischen Jugendlichen heute feststellen lassen. Am Beispiel verschiedener Sitzhaltungen wurde aufgezeigt, wie Akteure von der Freiheit zu Variationen Gebrauch machen und wie sich diese Variationen verfestigen, ohne jedoch die überlieferten zu ersetzen. Unter anderem wurde deutlich, dass für die Wahl einer bestimmten Körperhaltung sowohl der Raum als auch die Kleidung maßgeblich sind, wobei die Grenzen zwischen öffentlich und privat immer öfter ineinander überzugehen scheinen. Obwohl beispielsweise das Phänomen des Sitzens auf dem Boden oder auf dem Schreibtisch im öffentlichen Raum heute von Jugendlichen beiderlei Geschlechts praktiziert wird und als schlechtes Benehmen gilt, werden weibliche Jugendliche schärfer dafür kritisiert und als „onnarashikunai“ (unfeminin) beschimpft. Die Jugendlichen sind sich darüber im klaren, dass sich „abweichende“ Sitzformen auf den Freizeitbereich beschränken müssen und sie sind bereit, sich jederzeit der tradierten Sitzformen zu bedienen, wenn die Umstände es erfordern, wie beispielsweise bei der Arbeit im Büro. Trotz einer de facto Vielfalt von Körperhaltungen bei Jugendlichen wurde deutlich, dass auf der von Getreuer-Kargl festgestellten Reproduktion männlicher und weiblicher Hexis beharrt wird.

Der erste Nachmittag schloss mit dem Co-Referat über „‘Vormoderne’ Geschlechterkonstruktion in den modernen Gesellschaften? Ein Vergleich der Debatte über das Strafgesetz gegen außereheliche sexuelle Beziehungen in Südkorea und Taiwan“ ab. CHEN Yin-Zu und HONG Mihee (Universität Bochum) untersuchten die Positionen der Frauenbewegungen in der Diskussion, ob außerehelicher Geschlechtsverkehr bestraft werden solle. In beiden Ländern ist außerehelicher Geschlechtsverkehr von Verheirateten ein Delikt nach dem Strafgesetz, das mit bis zu einem (Taiwan) bzw. zwei Jahren (Südkorea) Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Unterschiedlich sind die Folgen einer Anzeige, die durch den Ehepartner erfolgen muss, in beiden Ländern. Während in Taiwan die Anklage entweder gegen den Ehepartner und die dritte Person oder auch nur gegen den Ehepartner zurückgezogen werden kann und nicht automatisch zur Scheidung führt, gilt in Südkorea die automatische Scheidungsklausel und die Anklage kann nur gegen beide zurückgezogen werden. In Südkorea sehen hausfrauennahe Frauengruppen ebenso wie die Frauengruppen im Umfeld der Demokratisierungsbewegung seit Mitte der achtziger Jahre in dem Gesetz ein letztes Schutzmittel für die schlechter gestellten Frauen. In den neunziger Jahren mehrten sich die Stimmen aus der neuen Frauenbewegung, die von jüngeren und berufstätigen Frauen getragen wird, die einer sexuellen Selbstbestimmung das Wort reden und das Gesetz als nicht mehr zeitgemäß ansehen. Der breiten Diskussion in Südkorea über Schutz der Familie und Ehe versus Selbstbestimmung in der Privatsphäre steht ein deutlich geringeres öffentliches Interesse in Taiwan gegenüber, das erst durch einen Skandal angefacht wurde. Im Mittelpunkt steht der Schutz der Ehe, weniger der Familie. Viele Ehefrauen betonen den Schutz der Ehe durch das Gesetz, obwohl die Anwendung zeigt, dass es vor allem Frauen zum Nachteil gereicht. Frauen erstatten Anzeige, um die dritte Person zu bestrafen, die eigene Ehe zu retten oder um bei der Scheidung höhere Unterhaltszahlungen fordern zu können. Oft ziehen sie aber die Anzeige gegen den Ehemann zurück, da sie finanziell abhängig von ihm sind, sodass nur die dritte (weibliche) Person bestraft wird. Männer ziehen im gegenteiligen Fall nur selten die Anzeige gegen ihre Ehefrau zurück. Auch in Korea werden mehr Frauen als Männer verurteilt, was den Männern den Vorteil einer automatischen Scheidung ohne Unterhaltszahlungen beschert. Die unterschiedlichen Positionen der südkoreanischen und der taiwanesischen Frauenbewegung erklärten Hong und Chen aus den unterschiedlichen Trägerschaften. Der stark klassenorientierten, nationalistischen Frauenbewegung in Südkorea, die von hochgebildeten Hausfrauen getragen wird, steht eine berufstätige Mittelschicht in Taiwan gegenüber, die ein geringeres Abgrenzungsbedürfnis gegenüber dem westlichen Feminismus mit seiner Wertschätzung von Selbstbestimmung und Freiheit, zeigt.

Maria Sachiko Baier (Universität Wien) stellte „Interne Netzwerkbeziehungen. Lokaler und globaler Aktionsradius: Das Working Women’s Network (WWN)“ vor. Ziel des WWN ist die Gleichstellung und Gleichbezahlung von berufstätigen Frauen, die vornehmlich durch Prozesse werktätiger Frauen gegen die diskriminierenden Firmen erreicht werden soll. Besonders problematisch stellt sich das Laufbahnmodell dar, das in vielen Betrieben nach Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes 1986 eingeführt wurde. Seit 1995 prozessieren neun Angestellte von Sumitomo mit Unterstützung des WWN gegen die Trennung nach Geschlecht und zwölf weitere gegen die Diskriminierung gegenüber verheirateten Frauen. Die Arbeitsweise des WWN richtet sich nach dem Motto „global verhandeln, lokal bewegen“. Dementsprechend werden die Anliegen auf internationalen Konferenzen publik gemacht und wird Lobbying bei internationalen Institutionen betrieben; ebenso sind bei Gerichtsverhandlungen ausländische Besucherinnen nachdrücklich erwünscht. Bemerkenswert ist, dass gerade bei WWN die Zusammenarbeit mit Männern zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Baier kommt zu dem Schluss, dass das WWN inzwischen die übergeordnete Rolle des „Übersetzers“ internationaler Standards für Japan geworden ist und damit auch Druck auf die Regierung ausübt.

Susanne Kreitz-Sandberg (Universität Düsseldorf) sprach über “ ‚jendaa furii ‚: Ansätze zu geschlechtsneutraler Erziehung in der japanischen Bildungsdiskussion“. „jendaa furii“ (gender-free) ist im Laufe einer Dekade zu einem Schlüsselwort der erziehungswissenschaftlichen Debatte avanciert. Ursprünglich wurde der Begriff von Feministinnen in Abgrenzung zu Regierungsquellen, die den Begriff „danjo byôdo“ (Gleichheit von Männern und Frauen) verwendeten, gebraucht. Mittlerweile findet sich der Terminus auch auf vielen Regierungs-Homepages. Am längsten – nämlich bis 2000 – ignorierte ihn das Bildungsministerium. Geschlechterungleichheit in Schule und Hochschule wird einerseits anhand der Strukturen im Bildungssystem untersucht. Zahlenmäßige Unterschiede gibt es vor allem in den „Nachhilfeschulen“ (juku), die von mehr Jungen als Mädchen besucht werden, besonders aber im tertiären Bildungsbereich, wo noch immer erheblich mehr Oberschul-Absolventen eine vierjährige Hochschule besuchen als Absolventinnen, unter denen sich Kurzuniversitäten großer Beliebtheit erfreuen. Ein weiteres Forschungsgebiet ist der Bereich Schulkultur, der meist mit Rückgriff auf Bourdieu analysiert wird. Hier zeigt sich, dass hierarchische Strukturen mit überwiegend männlichen Direktoren ebenso verbreitet sind wie ein „verstecktes Curriculum“ in bezug auf gender in Schulbüchern. Gender-Sozialisation findet aber auch in der SchülerInnen-Kultur statt. Die Konflikte rund um geschlechtsneutrale Erziehung, die von Lehrerseite thematisiert werden, zeugen davon, dass die erfolgreiche Aufnahme des Begriffs in die mainstream-Diskussion noch lange nicht auf Erfolge in der Umsetzung deutet.

Den Horizont über Ostasien hinaus erweiterte im letzten Vortrag Claudia Derichs(Universität Duisburg) mit der Vorstellung ihres DFG-Projektantrags „Dynastien und politische Führerinnen in Asien“. Die „auffällig vielen“ Regierungs-Chefinnen, Ministerinnen und Oppositionsführerinnen in meist patriarchal oder paternalistisch organisierten Gesellschaften in Ost-, Südost- und Südasien sind der Beweggrund für das Projekt. Die Pauschalerklärung, es handle sich um Töchter und Witwen von verstorbenen Politikern greift zu kurz, da oft auch männliche Verwandte vorhanden sind. Es lässt sich eine dreistufige Entwicklung von Karrierepfaden erkennen, nämlich von einer Opferrolle und Stilisierung zur Symbolfigur über die „Anführerin“ einer (Oppositions-)Partei oder Oppositionsbewegung bis hin zur Karrierepolitikerin. Die Wahl fiel nur selten auf Frauen, weil keine männlichen „Erben“ vorhanden waren, öfter waren unfähige, unwillige oder ungeeignete männliche Verwandte der Grund. Eine Frau macht es potentiell rivalisierenden Fraktionsführern leichter, hinter ihr zu stehen, weil man erwartet, dass die tatsächliche Macht an die Männer delegiert wird. Obwohl sich Frauen oft selbst als „einfache Hausfrau“ stilisieren und auf moralische Stärke, nicht auf politische Fähigkeiten verweisen, machen sie, einmal an die Macht gelangt, meist eine Metamorphose zur Karrierepolitikerin durch. Konkret sollen folgende Forschungsfragen zu den Effekten von „female leadership“ untersucht werden: Wird eine Veränderung des Geschlechterverhältnisses bewirkt? Wird die Demokratisierung gefördert? Motiviert sie zu einer stärkeren Partizipation von Frauen? Gibt es geschlechterspezifische Ursachen für schleppende Demokratisierungsprozesse? Dynastische Faktoren jedenfalls reichen als Erklärung für das Phänomen der politischen Führerinnen in Asien keinesfalls aus.

Auch dieses Jahr wurde abschließend die Frage nach möglichen Themen für den nächsten Workshop aufgeworfen. Angesichts des eingangs erwähnten Mangels einer männlichen Perspektive sowie der positiven Resonanz auf eine vergleichende asiatische Perspektive, stieß das Thema „Globalisierung vs. Regionalisierung. Auswirkungen auf gender“ mit Fokus auf dem Vergleich von Japan und Korea für den 12. Workshop auf breite Zustimmung.