Gender Workshop 2015
„Womenomics“: Risiken und Konflikte im Zusammenhang mit aktueller Gleichstellungspolitik
Zum 22. Mal fand vom 19. bis 20. November 2015 der Gender-Workshop „Geschlechterforschung zu Japan“ im Rahmen der Jahrestagung der VSJF 2015 an der Universität Leipzig statt. Zu dem in unserem Call for Papers anvisierten inhaltlichen Schwerpunkt „Geschlechterrisiken und -konflikte in Japan“ gingen zahlreiche Vorschläge zum Themenfeld „Womenomics“, der aktuellen Politik von Premierminister Abe zur Förderung von Frauen im Rahmen seiner Wirtschaftspolitik, ein. Deshalb stand der erste Workshoptag ganz im Zeichen des nun modifizierten Schwerpunktthemas „Womenomics“: Risiken und Konflikte im Zusammenhang mit aktueller Gleichstellungspolitik. Am zweiten Tag fand eine Open Session mit verschiedenen Projektvorträgen statt. Wie jedes Jahr leiteten auch diesen Workshop Prof. Dr. Ilse Lenz (Universität Bochum) und Prof Dr. Dr. h.c. Michiko Mae (Universität Düsseldorf). Die Gesamtkoordination und Moderation lagen bei Dr. Phoebe Holdgrün (DIJ Tokyo) und Katharina Hülsmann M.A. (Universität Düsseldorf).
Der erste Tag begann mit einer Vorstellungsrunde, bei der alle Teilnehmenden des Workshops ihre Forschungsinteressen und gegenwärtigen Projekte und Vorhaben kurz erläuterten. Im dann folgenden ersten Vortrag thematisierte Isabel Faßbende die Darstellung von auf die Reproduktion bezogenen Geschlechterrollen in dem politischen Diskurs, der sich um das Thema Ninkatsu in Japan entwickelt hat. Dabei zeigte sie insbesondere die Konflikte und Widersprüche auf, die im öffentlichen und medialen Diskurs über die Fertilität von Frauen in Japan auftreten.
Die zwei folgenden Vorträge beschäftigten sich mit verschiedenen Aspekten des Themas „Womenomics“ und mündeten in eine intensive Diskussion zwischen Vortragenden und Publikum. Zunächst stellte Zvjezdana Odobasic erste Ergebnisse zu dem empirischen Materialkorpus ihres Promotionsprojektes vor, bei dem es um Diskrepanzen zwischen den Zielsetzungen und Maßnahmen der Politik Abes einerseits und den Erwartungen von karriereorientierten Frauen andererseits sowie um das dadurch entstehende Konfliktpotenzial geht. Ihre empirischen Daten beruhen auf Interviews mit Frauen, die in japanischen Firmen oder Organisationen eine Karriere anstreben und/oder bereits verfolgen. Dabei fokussieren die Interviews vor allem auf die Erfahrungen der Frauen, die sie auf ihrem bisherigen Karriereweg gemacht haben, sowie ihre Einschätzungen der Gleichstellungspolitik Abes, deren Zielsetzungen und Erfolgspotenzialen. Während Odobasic vor allem die Sicht von Frauen als Adressatinnen der Womenomics-Politik in den Blick nahm, ging der anschließende Vortrag von Madeleine Poller eine grundlegende Aufarbeitung der Ziele, Inhalte und bisherigen Maßnahmen der von Ministerpräsident Abe neu aufgelegten Frauenpolitik an. Die Referentin beleuchtete zudem die in diesem Zusammenhang bestehenden Herausforderungen und Hindernisse für die Implementierung der geplanten Maßnahmen.
Bei der Open- Session am zweiten Tag des Gender-Workshops wurden verschiedene Projekte zu Gender und Japan vorgestellt. Die Vorträge von Martin Thönes und Ronald Saladin beschäftigten sich mit der Darstellung von Gender in der Populärkultur und Literatur. Martin Thönes arbeitete in seinem Vortrag die Darstellung von sogenannten Genderbendern im japanischen Manga heraus. Genderbender erläuterte er als einen Oberbegriff, unter den eine Vielzahl von Verhaltens- und Daseinsformen gefasst werden können, die Gendergrenzen überschreiten oder auflösen. Herr Thönes zeigte auf, dass das Motiv des Genderbenders nicht nur im shōjo-Manga auftritt, wo es seine erste Blüte hatte, sondern vor allem in den letzten zehn Jahren besonders häufig in Manga für junge Männer thematisiert wird. Seine Analyse stellte heraus, dass, während in älteren Werken des shōnen-Manga konservative Strukturen vorherrschen, sich im seinen-Manga eine Tendenz zur freieren Darstellung von Gender und der Überschreitung von Gendergrenzen erkennen lässt.
Ronald Saladin beschäftigte sich mit dem Typus des sōshokukei-danshi in Yoshimoto Bananas Roman Kitchen. Der Begriff sōshoku-danshi wurde von Fukasawa Maki im Jahr 2006 in den populärwissenschaftlichen Diskurs eingeführt und bezeichnet einen Typus von jungem Mann, der sich sexuell zurückhaltend verhält, nicht karriereorientiert lebt und auch anderweitig dem japanischen Bild einer hegemonialen Männlichkeit nicht entspricht. Herr Saladin zeigte in seinem Vortrag anhand einiger Zitate aus dem Roman Kitchen, dass sich im Werk von Yoshimoto Banana bereits eine alternative Konstruktion einer Männlichkeit feststellen lässt, die in einigen Punkten mit der Konstruktion übereinstimmt, die unter dem Schlagwort sōshokukei-danshi im Diskurs über neue Männlichkeiten in Japan so viel Aufmerksamkeit erfuhr. Auch sieht Herr Saladin in den Genderbildern, die in Yoshimoto Bananas Roman kommuniziert werden, einen neuartigen Ansatz, mit Krisenmomenten umzugehen.
Im letzten Vortrag der Open Session stellte Peter Mühleder einen Teil seines Dissertationsprojekts vor, das sich medien- und wissenssoziologisch mit dem so genannten „new academism“ im Japan der 1970er und 1980er Jahre beschäftigt. Am Beispiel der Soziologin Ueno Chizuko zeigte Herr Mühleder die Formation des intellektuellen Feminismus-Diskurses in der japanischen Medienöffentlichkeit auf. Durch eine quantitativ angelegte Datenerfassung einiger ausgewählter Zeitschriften konnte Herr Mühleder über eine visuelle Darstellung die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Zeitschriften und bestimmten Autor/innen aufzeigen. Er zeigte, dass Ueno Chizuko sich als eine Diskursteilnehmerin verorten lässt, die in den zunächst männlich dominierten Diskurs des zeitgenössischen Denkens in Japan vordringen konnte, indem sie ironisierende Strategien anwandte.
In den Diskussionen, insbesondere in der gemeinsamen Abschlussdiskussion, wurden die Themen, die in den Einzelvorträgen immer wieder anklangen, herausgestellt. Dazu gehören „Individualisierung“ und „Konsum“. So tauchen in Lebensentwürfen und auch in der populärkulturellen Darstellung von Gender mehr und mehr Potenziale zur Individualisierung auf. Auf der anderen Seite gehen diese Potenziale zur Individualisierung aber Hand in Hand mit Potenzialen zum Konsum (etwa von spezifisch zielgruppenorientierten Konsumgütern). Die gesellschaftliche und politische Akzeptanz von neuen Entwürfen zu Gender und Lebenswegen muss deshalb kritisch betrachtet werden.
Im Rahmen der Abschlussdiskussion wurde für den kommenden Workshop (Duisburg 2016) tentativ das Themenfeld Genderräume und -mobilitäten in der Stadt vorgeschlagen. Ein Call for Papers wird voraussichtlich im Frühsommer 2016 verschickt.