Jahrestagung 2003

Natur, Ökologie und Umwelt in Japan – Nachhaltige Entwicklung und Regionalisierung

Die 16. Jahrestagung der VSJF fand vom 21. bis 23. November 2003 in der Evangelischen Akademie Tutzing statt.

Der folgende Tagungsbericht wurde von Klaus Vollmer (Universität München) verfaßt, der auch zusammen mit Herrn Martin Held von der Evangelischen Akademie Tutzing für die Organisation der Tagung verantwortlich zeichnete.

Bemerkungen zur Themenstellung

Unter dem Titel „Natur, Ökologie und Umwelt in Japan – nachhaltige Entwicklung und Regionalisierung“ fand vom 21. bis zum 23. November 2003 die 16. Jahrestagung der Vereinigung als Kooperationsveranstaltung mit der Evangelischen Akademie in Tutzing (Starnberger See) statt. Für die VSJF wurde die Konferenz im Wesentlichen von Klaus Vollmer (Universität München) inhaltlich vorbereitet und organisiert; von Seiten der Akademie stand Dr. Martin Held als Ansprechpartner zur Verfügung. Mit Erfolg konnte während des Vorlaufs und der Durchführung an die guten Erfahrungen angeknüpft werden, die die Vereinigung bereits vor genau acht Jahren mit der Akademie im Zusammenhang mit der Jahrestagung „Geld in Japan“ (21.-23.11.1995) gemacht hatte. Das sehr komplexe Thema wurde während einer anderthalbjährigen Vorbereitungsphase immer wieder fokussiert und Einzelaspekte in Gesprächen und Diskussionen konkretisiert. In diesem Zusammenhang möchte ich Verena Blechinger für vielfältige Anregungen und insbesondere für die Vermittlung von Kontakten zu Wis-senschaftlerInnen im nordamerikanischen Raum danken.
Es lassen sich zunächst drei Perspektiven benennen, die Hinweise zu den Fragen nach dem „Warum?“ und dem „Warum jetzt?“ dieses Themas geben: Zum einen sollte eine Bestandsaufnahme versucht werden, denn es war u.a. die Umweltpolitik japanischer Regierungen, die in den frühen 1980er Jahren den in den Sozialwissenschaften diskutierten Topos von der „Vorreiterrolle“ Japans unter den Industrienationen etablieren half. Zugleich spielte auch im zeitgenössischen kulturwissenschaftlichen Diskurs das (angeblich) besondere Verhältnis der Menschen zur Natur in Japan eine nicht geringe Rolle, Themen wie „Naturliebe“ und „Harmonie mit der Natur“ wurden nicht selten als „typisch japanisch“ präsentiert.

Zum zweiten war allerdings zu konstatieren, dass Fragen von Ökologie und Umwelt in den die 1990er Jahre bewegenden Reformdebatten – diesen war die Jahrestagung 2002 in Wittenberg gewidmet gewesen – zumindest deutlich hinter anderen Themen (Stichworte: Reform des politischen Systems, der Finanzmärkte, der sozialen Sicherungssysteme usw.) zurückstanden oder ganz von der sichtbaren bzw. außerhalb Japans wahrgenommenen Agenda verschwanden. In welchen Bereichen und von wem wurden Fragen von Ökologie und Umwelt im vergangenen Jahrzehnt diskutiert und weiterentwickelt? Hier empfahl es sich, einen Blick in die Regionen und auf die lokale Politik zu werfen, die für dieses Themenfeld besonders ergiebig zu sein versprachen.

Der im Untertitel genannte Begriff der „Regionalisierung“ sollte dann aber zum dritten nicht nur auf einen innerjapanischen Prozess verweisen. Vielmehr bot sich das Tagungsthema als gutes Beispiel an, um einmal mehr zu zeigen, dass eine ganze Reihe von Fragen der sozialwissenschaftlichen Japanfor-schung produktiv nurmehr in einem transnationalen Kontext, d.h. im größeren Zusammenhang der Entwicklung der Region Ostasien diskutiert werden können. Aus diesem Grund wurden sowohl in den Plenumsvorträgen wie auch in den Referaten der Arbeitsgruppen Gesichtspunkte von Ökologie und Umwelt in Japan immer wieder auch regional und global vergleichend behandeln.

Zur Gestaltung der Tagung

Drei der zehn Präsentationen im Plenum fanden in englischer Sprache statt (Vorträge von Miranda Schreurs, Derek Hall und Reinhard Drifte), ebenso wie die sich an diese anschließenden, zum Teil sehr lebhaften Diskussionen. Auch eine der Arbeitsgruppen am 22. November („Global Environmental Policy and the Role of NGO’s“) mit Beiträgen von Wilhelm Vosse und Hoshino Tomoko wurde auf Englisch durchgeführt. Um auch den Gästen aus den USA, Kanada und Japan eine aktive Teilnahme an der Konferenz zu ermöglichen, wurden die deutschsprachigen Teile des Plenums simultan durch persönliche Übersetzer ins Englische übertragen (sog. whispering). Für die Übernahme dieses sehr anspruchsvollen Dienstes sei der Übersetzerin der Akademie und Gabriele Vogt (Cornell University, NY) an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich gedankt.

Die etwa 100 Teilnehmenden der Tagung hatten auch außerhalb der Plenums- und Arbeitsgruppensitzungen viel Gelegenheit, die intensive inhaltliche Diskussion bei Spaziergängen am See oder abends in den Salons des Tutzinger Schlosses fortzusetzen. Hier zeigte sich einmal mehr die Bedeutung des Tagungsortes und seines Ambientes für den „gefühlten“ Erfolg und Ertrag einer solchen Konferenz.

Erster Tag

Nach der inhaltlichen Einführung in das Tagungsthema von Martin Held und Klaus Vollmer begann die Konferenz mit zwei Grundsatzreferaten, die der Bestandsaufnahme und dem internationalen Vergleich japanischer Umweltpolitik gewidmet waren. Unter dem Titel „Aufstieg und Fall eines Modells“ unternahmGesine Foljanty-Jost (Universität Halle-Wittenberg) eine „Bestandsaufnahme japanischer Umweltpolitik in einem veränderten Kontext„. Sie betonte dabei insbesondere den Wandel Japans vom Pionier zum Normalfall im Feld der Umweltpolitik und versuchte den Verlust der Pionierrolle in den 1990er Jahren durch verschiedene Erklärungsvariablen (Problemstruktur, Akteurskonstellation, situative Bedingungen und systemische Faktoren) transparent zu machen. Ihr Fazit lautete, dass trotz des Verlustes einer Leitfunktion in diesem Zeitraum in Japan durchaus neue Kapazitäten aufgebaut wurden, die Voraussetzungen dafür bilden können, dass das Land in die Gruppe der Pionierstaaten zurückkehrt.

Miranda Schreurs (University of Maryland, College Park) untersuchte in ihrem Vortrag „The Politics of Environmental Modernization in Japan and Germany“ Strategien, Instrumente und Erfolge der Umweltpolitik dieser beiden Länder und bezog bei ihrer Analyse auch die Vereinigten Staaten ein. Basierend auf eigenen empirischen Forschungen in allen drei Ländern betonte sie die Verschiedenheit der gesellschaftlichen und politischen Ansätze im Umgang mit Umweltfragen und führte diese u.a. auf die jeweils stark differierende Rolle von NGO’s, Unterschiede des politischen Systems und verschiedene Traditionen gesellschaftlicher Partizipation zurück. Trotz einer ähnlichen Problemlage und den durch Globalisierungsprozesse auf verschiedenen Ebenen ausgelösten Trend zur Konvergenz umweltpolitischen Handelns betonte Schreurs, dass auch in Zukunft der Umgang mit umweltpolitischen Fra-gen in Deutschland, Japan und den USA vermutlich stark durch diesen Hintergrund nationaler politischer Traditionen geprägt sein werde.

Von den Organisatoren der Tagung als keynote speaker eingeladen, sprach nach dem Abendessen Ernst-Ulrich von Weizsäcker, MdB (Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Re-aktorsicherheit des Deutschen Bundestages, Berlin) zum Thema „Klimapolitik – unter besonderer Berücksichtigung der Rolle Japans„. Von Weizsäcker entwarf in seiner Präsentation nicht nur ein detail- und faktengesättigtes Bild vom dramatischen Stand der durch menschliche Aktivitäten verursachten Klimaveränderungen, sondern verwies mit drastischen Szenarien auch auf die dadurch hervorgerufenen, akuten Gefährdungen. Seine Ausführungen zeichneten dann die Genese des Kyôto-Protokolls und die Position Japans zur Klimapolitik nach. Im Anschluss entwickelte sich eine Diskussion, die Teilnehmende der Tagung und Herr von Weizsäcker in kleinerer Runde bei einem Glas Wein in den Räumen des Schlosses bis in den späten Abend fortsetzten.

Zweiter Tag

Die beiden Panelveranstaltungen des Samstagvormittags sollten die transnationale bzw. regionale Dimension des Tagungsthemas in den Vordergrund rücken. Das erste Panel versammelte unter dem Titel „Beyond National Boundaries – Ecology and Politics in East Asia“ Beiträge von Derek Hall (Trent University, Peterborough, Ontario) und Reinhard Drifte (University of Newcastle).

Hall untersuchte im Rahmen seines Referates zu „Stagnation and Transformation in the Political Ecology of Japan-Asia Relations“ ein in der europäischsprachigen Literatur eher wenig beachtetes Problemfeld: Unter dem Begriff der „Schattenökologie“ (shadow ecology) ging er den ökologisch relevanten Auswirkungen nach, die das Handeln von japanischen Unternehmen, KonsumentInnen und politischen Akteuren in Ost- und Südostasien hinterlassen. Ausgehend von seinem Spezialgebiet des shrimp farming in Südostasien skizzierte Hall drei Phasen japanischer „Schattenökologie“ von 1960 bis heute. Nach der kritischen Diskussion um den „Export von Umweltverschmutzung“ nach Südostasien bis in die späten 1980er Jahre hat u.a. die an Umweltgesichtspunkten orientierte Entwicklungshilfe Japans in den 1990er Jahren einen Beitrag zur Differenzierung dieser Kritik geleistet. Auch in der Gegenwart bleibt das Image Japans allerdings gespalten zwischen seiner Rolle als „regionaler Umweltsünder“ einerseits und als Produzent und Exporteur hochentwickelter Umwelttechnik andererseits.

Lag der Schwerpunkt der Analyse Halls auf Ökonomie und Ökologie Südostasiens, so ergänzte Reinhard Drifte das Bild der Region durch seinen Vortrag über „Transboundary Pollution as an Issue in Northeast Asian Politics„. Dabei standen Motivationen, Modalitäten und Hindernisse eines regionalen Ansatzes in der Umweltpolitik der Regierungen Japans, der Volksrepublik China und Südkoreas im Mittelpunkt der Untersuchung. Trotz einer Fülle von institutionellen Strukturen, die sich den Problemen transnationaler Umweltverschmutzung zugewandt haben, stellte Drifte fest, dass der Grad subre-gionaler Kooperation zwischen den drei Ländern noch sehr gering ist. Darüber hinaus bedeutet die Tatsache, dass der größte Teil der in der Region verursachten Umweltverschmutzung von der VR China ausgeht, ein erhebliches Konfliktpotenzial für die Frage der Prioritäten chinesischer Politik. Andererseits, so schlussfolgerte Drifte, kann das Beispiel des Umgangs mit grenzüberschreitender Umweltverschmutzung die positive Wirkung von Technologietransfer und der Schaffung transnatio-naler Institutionen eindrucksvoll
demonstrieren.

Das zweite Panel war einer genaueren Betrachtung von „Ökologie und Politik im Spannungsfeld von Zentrale und Region“ in Japan gewidmet. Zunächst stellte Agata Kôichirô (Waseda Universität, Tôkyô) „die Recyclinggesellschaft in Japan und die Rolle der Regionen“ vor. Dabei beleuchtete er eingangs den rechtlichen Rahmen, der seit den 1970er Jahren Abfallverwertung, Recycling und Ressourcennutzung regelt. Auf der Basis statistischen Materials zeigte Agata, dass der Recycling-Grad einzelner Materialien wie etwa Glas, Stahldosen, PET-Flaschen, Papier usw. bis zu 90% der jeweiligen Gesamtproduktion betrug, wobei in den 1990er Jahren besonders hohe Steigerungsraten zu verzeichnen waren, mit denen Japan unter den Industrieländern eine Spitzenposition einnimmt. Ferner hob er den dezentralen Charakter des Recycling in Japan hervor, der es den Kommunen überlässt, nach welchem System welche Materialien gesammelt und wiederverwertet werden sollen. Schließlich verwies Agata auf einen bedeutenden Unterschied zur deutschen Recycling-Praxis: ein ökonomischer Anreiz zur möglichst ressourcenschonenden bzw. abfallvermeidenden Produktion durch entsprechende Gebühren existiert in Japan nicht.

Thomas Feldhoff (Universität Duisburg-Essen) präsentierte im zweiten Vortrag dieses Panels den „Fall Isahaya (Präfektur Nagasaki)“ als ein Beispiel für „raumwirksame Baulobbytätigkeit und nachhaltige Regionalentwicklung in Japan„. Er skizzierte zunächst die Bedeutung und Funktion der Bauwirtschaft während der Hochwachstumsphase bis zur Mitte der 1970er Jahre, die bis heute in der besonderen Rolle der Bauindustrie im Rahmen staatlicher Infrastrukturmaßnahmen nachwirkt. Dabei rückte Feldhoff das Phänomen des sog. „Baustaats Japan“ in den Mittelpunkt und stellte detailliert die Akteurskonstellationen und Interessenverflechtungen dar, die der im Bausektor vielfach konstatierten öffentlichen Verschwendung zugrunde liegen. Diese Überlegungen wurden schließlich am Fall des seit über 50 Jahren umkämpften Landgewinnungsprojektes in der Isahaya-Bucht konkretisiert. Zum Abschluss vertrat der Referent die These, dass solche Beispiele auf die ungebrochene Bedeutung des sog. „Eisernen Dreiecks“, d.h. also die Verflechtung von Politik, Bürokratie und Unternehmen auch auf kommunaler und regionaler Ebene hinweisen.

Dritter Tag

Um die nach wie vor dominante Rolle der vested interests ging es auch im Vortrag von Winfried Flüchter (Universität Duisburg-Essen), der das Plenum am Sonntagvormittag mit einem Überblick zu „Reisanbau und -markt in Japan im Spannungsfeld zwischen Globalisierung, Ideologie und Nachhaltigkeit“ eröffnete. Die Liberalisierung des japanischen Reismarktes stellt bereits seit Jahrzehnten ein immer wieder kontrovers und emotional diskutiertes Thema dar. Vor diesem Hintergrund ging Flüchter den Argumenten nach, die von japanischer Seite für oder – meistens – gegen eine Liberalisierung ins Feld geführt werden. Wie sind diese unter dem Aspekt eines globalen Agrarhandels, den Strukturproblemen der Landwirtschaft, Prinzipien der Nachhaltigkeit und schließlich hinsichtlich der Ideologie von einer angeblich besonderen, „Kultur stiftenden“ Funktion von Reis in Japan zu bewerten? Nach einer ausführlichen Diskussion verschiedener Argumentationsmuster, die zumeist die Abschließung des japanischen Reismarktes fordern, wies der Referent darauf hin, dass es aus ökologischer Sicht durchaus überzeugende Gründe dafür gibt, die gegen eine Öffnung des Reismarktes in Japan sprechen. Diese werden allerdings bei internationalen Verhandlungen durch die japanische Agrarbürokratie kaum ins Feld geführt.

Raimund Bleischwitz (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie) gab in seinem Referat zur „Erhöhung der Ressourcenproduktivität als Weg aus der japanischen Wirtschaftskrise“ Ausblicke auf Perspektiven nachhaltiger Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft Japans. Dabei stellte er zunächst sehr ausführlich das Konzept der Ressourcenproduktivität vor und zeigte, dass das heutige Produktivitätsverständnis nahezu ausschließlich den Faktor Arbeit rationalisiert und keinen geeigneten Zugang zur Produktivität des Naturhaushalts enthält. Tatsächlich, so argumentierte Bleischwitz, könne in Unternehmen häufig von einem kognitiven Wahrnehmungsproblem gegenüber den Materialkosten (im Gegensatz etwa zu den Personalkosten) gesprochen werden. Der Referent gab dann einen Überblick über aktuelle japanische Ansätze zum Umgang mit Abfall, Energie und Materialströmen auf Regierungs- bzw. Unternehmensseite. Dabei erläuterte er, inwiefern die institutionellen Voraussetzungen eines Landes zugleich die Generierung von Wissen und Innovationen beeinflussen, die sich am Markt bewähren müssen. In Japan zeigt sich, wie aus Europa übernommene Ansätze zur Steuerung der Öko-Effizienz in einheimische institutionelle Strukturen integriert werden. Nationale Unterschiede und die spezifischen Bedingungen der Generierung von Wissen werden auch in Zukunft zu ungleichen Formen der Steuerung von Öko-Effizienz in Europa und Japan beitragen.

Den Abschluss der Tagung bildete eine Podiumsdiskussion mit Winfried Flüchter, Gesine Foljanty-Jost und Werner Pascha (Universität Duisburg-Essen), die mit kurzen Statements zu „Natur, Ökologie und Umwelt als gestaltende Faktoren in der Region Ostasien“ Perspektiven für die künftige Bedeutung des während der Tutzinger Konferenz behandelten Problemfeldes aufzeigten. Die daran anknüpfende Debatte im Plenum griff einerseits einige Ergebnisse und Thesen der Tagungsbeiträge auf, verwies andererseits aber auch auf darüber hinausgehende, fundamentale Zusammenhänge (z.B. das Verhältnis von Energie- und Sicherheitspolitik, eine mögliche Spannung zwischen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit usw.), die bei einer Einschätzung der künftigen Funktion und des Stellenwerts von Ökologie und Umwelt im gesellschaftlichen und politischen Handeln in Ostasien zu beachten sein werden.

Klaus Vollmer (Universität München)