Jahrestagung 2007

Security and Insecurity: New Challenges for Japan in the Beginning of the 21st Century

Berlin 22.-25.11.2007

Im Zentrum der Jahrestagung 2007 stand das in Japan diskutierte Konzept von Sicherheit. Der Begriff „Sicherheit“ wird im politischen Diskurs oft gleichbedeutend mit „nationaler Sicherheit“ benutzt und als eine klassische hoheitsstaatliche Aufgabe angesehen. Im Zentrum aller Sicherheitsanstrengungen steht die Bewahrung von staatlicher Souveränität. Nach dem Ende des Kalten Krieges und dem oft diagnostizierten Wandel hin zu einer post-nationalen Epoche wurde diese enge Definition von Sicherheit in der sozialwissenschaftlichen Diskussion zunehmend in Frage gestellt. Gegenwärtige Diskurse zum Thema Sicherheit beziehen neue, nicht traditionelle Aspekte von Sicherheit zunehmend ein und erweitern den Sicherheitsbegriff über die rein militärische Dimension hinaus auf nicht-traditionelle Aspekte von Sicherheit wie Umwelt und Ressourcen. Neben der Sicherheit staatlicher Souveränität geht es nun auch um den Schutz des Individuums sowie um die Frage, wie eine Gesellschaft Sicherheit definiert, was sie als Bedrohung wahrnimmt, und mit welchem Aufwand und in welcher Weise darauf zu reagieren ist.

Die von Verena Blechinger-Talcott (Tokio), Reinhard Drifte (Newcastle University/London School of Economics) und Wilhelm Vosse (International Christian University, Tokyo) gemeinsam organisierte, 20. Jahrestagung fand vom 22.-25. November 2007 am Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin statt. 13 Referentinnen und Referenten und vier Diskutanten aus Deutschland, den USA, Japan, Großbritannien und Norwegen untersuchten japanische Diskurse zum Thema Sicherheit und Unsicherheit in vier Panels, die die Perspektive von „traditionellen“ Sicherheitsaspekten wie militärischer Sicherheit und Verteidigung über Fragen regionaler Sicherheit in Asien erweiterten auf innerhalb Japans diskutierte, „neue“ Bedrohungsszenarien und gesellschaftliche Diskurse zur Sicherung des japanischen Lebensstils in Zeiten von Globalisierung und demographischem Wandel. Dabei standen folgende Leitfragen im Zentrum der Diskussion: Auf welche Weise diskutieren Japans politische und gesellschaftliche Eliten Fragen von Sicherheit und Unsicherheit? Welche Aspekte von Sicherheit stehen im Zentrum der Diskussion? Welche Rolle kommt den japanischen Selbstverteidigungsstreitkräften im politischen Diskurs Japans heute zu? Wie stark wirken die in der wissenschaftlichen Literatur oft zitierten, antimilitärischen Normen heute in der japanischen Gesellschaft? Inwieweit hat sich Japan sicherheitspolitisch zu einem „normalen“ Land entwickelt? Welche gesellschaftlichen Bereiche stehen in der innerjapanischen Diskussion um Sicherheit und Unsicherheit heute im Zentrum und warum? Welche Bedeutung hat es für den japanischen politischen Prozess, wenn Fragen des demographischen Wandels im Rahmen nationaler Bedrohungsszenarien diskutiert werden?

Mehr als 120 Personen aus dem In- und Ausland nahmen an der gemeinsam mit dem Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin organisierten und von der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Ernst-Poensgen-Stiftung und der Freien Universität Berlin geförderten Konferenz teil.

Nach Grußworten durch die Generalsekretärin des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin, Friederike Bosse, und den Vorsitzenden der VSJF, Wolfram Manzenreiter, leitete Verena Blechinger-Talcott im Namen der Organisatoren in die Fragestellung der Konferenz ein. Sie wies dabei besonders auf das Bestreben der Organisatoren hin, Fragen militärischer Sicherheit mit innerjapanischen Diskursen um nicht traditionelle Aspekte von Sicherheit, etwa im Hinblick auf die Sicherung von Energie und Ressourcen oder die Sicherheit des Individuums durch Aufrechterhaltung der sozialen Sicherungssysteme zu verbinden und auf diese Weise nicht nur fruchtbare Querverbindungen zwischen unterschiedlichen Bereichen der sozialwissenschaftlichen Japanforschung herbeizuführen, sondern auch Schlussfolgerungen hinsichtlich neuer, mit der „Versicherheitlichung“ zusammenhängender Entwicklungen im politischen Prozess Japans möglich zu machen.

Keynote Speaker war Richard Samuels vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, USA. In seinem Vortrag mit dem Titel „Securing Japan“ stellte Samuels die heutige grundlegende Debatte über Japans nationale Sicherheit und die zur Sicherung Japans notwendiger Strategien und Politiken in den Kontext nationaler Diskurse im 19. und 20. Jahrhundert. Samuels machte deutlich, dass in der japanischen politischen Elite seit dem Aufbruch Japans in die Moderne eine lebhafte und kontroverse Debatte über Sicherheitspolitik und relevante politische Instrumente geführt wurde und wird. Die Hauptstränge der heutigen sicherheitspolitischen Diskussion, etwa zur Frage, ob Japans Sicherheit eher mit wirtschaftspolitischen oder militärischen Instrumenten besser zu gewährleisten sei oder zur Abwägung zwischen der engen Anlehnung an einen Bündnispartner im Vergleich zu regionalen sicherheitspolitischen Regimen, lassen sich bis in Diskurse der Vorkriegszeit zurückverfolgen. Während in der Nachkriegszeit die Yoshida-Doktrin, die durch ein Primat der Wirtschaftspolitik bei gleichzeitiger sicherheitspolitischer Zurückhaltung und enger Anlehnung an die USA gekennzeichnet ist, dominierte, zeichnet sich seit 2000 eine Neuorientierung der japanischen Außen- und Sicherheitspolitik ab. Zwischen 1991 und 2003 seien mehr als 15 neue sicherheitsbezogene Gesetze verabschiedet worden, und innerhalb der japanischen politischen Eliten wird die enge Bindung an den Bündnispartner USA kritisch diskutiert. Kennzeichnend für die gegenwärtige Debatte sei das Streben japanischer Politiker nach mehr Souveränität und größerer Bewegungsfreiheit im sicherheitspolitischen Handeln, auch wenn eine Abkehr von der Sicherheitspartnerschaft mit den USA kaum wahrscheinlich ist. Einigkeit besteht innerhalb der japanischen politischen Elite darin, dass ein nicht demokratisch regiertes China eine Bedrohung japanischer Interessen darstellt. Die Schaffung eines stabilen demokratischen Umfelds in der Region und damit verbundener wirtschaftlicher Kooperationsstrukturen scheint für Japan eine Möglichkeit zu eröffnen, die eigenen Interessen sowohl gegenüber dem chinesischen Machtanspruch als auch gegenüber dem amerikanischen Partner abzusichern. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn die aus der Kriegsvergangenheit resultierenden Probleme gelöst sind und Japan in der Region „moralische Autorität“ für sich beanspruchen kann. In jüngster Zeit zeichnen sich, etwa durch die Annäherung Premierminister Abes an China, Entwicklungen ab, an deren Ende Japan mehr Handlungsfreiheit und mehr Gewicht in den internationalen Beziehungen gewinnen könnte.

Im daran anschließenden ersten Panel „New Approaches to Japanese Security Policy“ stand die Frage nach der Entwicklung Japans hin zu einem militärisch „normalen“ Staat im Vordergrund. Chris Hughes (University of Warwick) knüpfte in seinem Vortrag an die in Samuels Keynote Speech dargestellten Diskurse über Japans zukünftige sicherheitspolitische Strategie an und untersuchte die innenpolitischen Zwänge, denen diese unterworfen ist. Hughes zeigte, dass in jüngster Zeit wichtige innenpolitische Tabus, die einer aktiveren sicherheitspolitischen Rolle Japans entgegenstanden, gefallen sind. Dies gilt insbesondere für die Begrenzung der Militärausgaben und die zivile Kontrolle über die japanische Armee. Zwar seien die Militärausgaben nach wie vor auf 1% des Bruttonationalprodukts begrenzt. Verändert hat sich jedoch der Einsatz der vorhandenen Mittel, der auf eine qualitative Aufwertung der Ausstattung der japanischen Armee, insbesondere im Bereich der Militärtechnologie, schließen lässt. Ebenso sind zwar die Ausgaben für die Selbstverteidigungsstreitkräfte konstant geblieben, gleichzeitig wurden Budget und technische Ausstattung der Küstenwache jedoch deutlich aufgestockt, so dass die Küstenwache in die Lage versetzt wurde, militärische Aufgaben zu übernehmen. Ein weiterer wichtiger Faktor sei die enge Anbindung Japans an die USA auch im Bereich der militärischen Planung, die Japan zunehmend eine nicht nur regionale, sondern auch globale militärische Rolle zukommen lasse. Die internationale Rolle der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte war auch Thema des Vortrags von Garren Mulloy (Daitō Bunka Universität, Tokyo). Mulloy untersuchte die Blauhelm-Einsätze japanischer Soldaten im Rahmen von UNO-Missionen und fragte nach ihrem Erfolg und der innen- wie außenpolitischen Wirkung. Mulloy machte deutlich, dass die Selbstverteidigungsstreitkräfte (SDF, Self Defense Forces) insgesamt eine sehr positive Bilanz aufweisen. Zwar seien die durch das PKO-Gesetz festgeschriebenen rechtlichen Schranken für Blauhelm-Einsätze der japanischen SDF sehr restriktiv und ließen wenig Spielraum, aber die Missionen, zu denen japanische Truppen entsandt wurden, seien jeweils sehr effektiv und erfolgreich umgesetzt worden und hätten daher maßgeblich zu einem nationalen wie internationalen Prestigegewinn der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte beigetragen. Mulloy zeichnete eine „Lernkurve“ der japanischen PKO-Missionen vom Einsatz in Kambodscha bis hin zur Entsendung in den Irak nach und machte deutlich, wie die SDF ihre Kompetenzen sowohl im Bereich der friedenserhaltenden Maßnahmen als auch im Bereich humanitärer Hilfe und Katastrophenhilfe ausgeweitet haben. Der Erfolg der PKO-Missionen erlaube es der japanischen Regierung, mit relativ niedrigen Kosten erfolgreich internationale Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig ebne der Erfolg und das damit verbundene Prestige der PKO-Missionen im Inland den Weg zu einer höheren Bereitschaft der japanischen Bevölkerung, eine aktivere Rolle des japanischen Militärs in Zukunft zu akzeptieren. Der Vortrag von Markus Tidten (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) knüpfte an diese Ergebnisse an und fragte nach der Möglichkeit einer stärkeren und aktiven Beteiligung Japans an kollektiven Verteidigungsaufgaben auch über UN-Blauhelmeinsätze hinaus. Dieses Thema ist vor allem im Kontext der Diskussionen um eine mögliche Schaffung kollektiver Sicherheitsinstitutionen in Asien von Interesse. Tidten machte deutlich, dass seit 2000 zwar eine stärkere Bereitschaft in der japanischen politischen Elite zur Teilnahme an internationalen Einsätzen im Bereich der kollektiven Verteidigung wahrnehmbar sei. Dennoch seien die innen- und außenpolitischen Zwänge durch die japanische Verfassung und die enge Anbindung an die USA derzeit noch zu hoch.

Das zweite Panel erweiterte die Perspektive und bezog Aspekte regionaler Sicherheit mit ein. Reinhard Drifte (Newcastle University/London School of Economics) analysierte in seinem Vortrag das japanisch-chinesische Verhältnis und fragte nach Möglichkeiten einer Vertiefung der Beziehungen. Drifte zeichnete in seinem Vortrag die Entwicklung der japanisch-chinesischen Beziehungen seit der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen im Jahr 1972 nach. Unter Einbeziehung zweier Fallstudien, der Diskussion um die Beendigung japanischer Programme zur Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2008 und der Territorialkonflikte um die Senkaku-Inseln zeigte Drifte auf, dass sich das Verhältnis zwischen Japan und China zwar „normalisiert“ habe, einer engen oder gar „besonderen“ Beziehung jedoch nach wie vor zahlreiche innen- und außenpolitische Zwänge entgegenstehen. Gerade in jüngster Zeit habe sich innerhalb der japanischen außenpolitischen Elite und auch in der öffentlichen Meinung ein China-kritischer Ton durchgesetzt, der eine weitere Annäherung zwischen beiden Ländern erschwere. Das japanisch-chinesische Verhältnis sei mithin auch eine gute Fallstudie um zu zeigen, dass allein über gemeinsame wirtschaftliche Interessen und diesbezügliche Zusammenarbeit, etwa im Rahmen gemeinsamer Erschließung von Energiequellen im ostchinesischen Meer, nicht notwendigerweise eine grundlegende Verbesserung von Beziehungen zu erreichen ist. Reinhard Seifert (Universität Heidelberg) thematisierte in seinem Vortrag die Rolle der Aufarbeitung gemeinsamer Geschichte für die Sicherheit in der Region. Am Beispiel der japanisch-koreanischen Beziehungen zeigte er auf, dass Sicherheit und Sicherheitsperzeption nicht nur ein Ergebnis von Sicherheitspolitik sind, sondern auch durch die jeweilige öffentliche Meinung beeinflusst werden. Die öffentliche Meinung wiederum werde zu großen Teilen auch durch die Darstellung der jeweiligen nationalen und internationalen Geschichte geprägt, so dass Historikern und Lehrern, aber auch Kommentatoren und den Massenmedien hier eine prägende Rolle zukomme. Um die Erfahrung von Kriegen und Kriegsverbrechen überwinden zu können, sei es notwendig, Geschichte nicht allein als nationale, sondern als gemeinsame Geschichte zu begreifen und dies auch so zu vermitteln. Seifert zeigte auf, wo im japanisch-koreanischen Verhältnis die Hindernisse für die Herausbildung eines solchen gemeinsamen Geschichtsbegriffs liegen und nannte dabei vor allem Aspekte wie die unterschiedliche sozio-ökonomische Entwicklung, Fragen staatlicher Souveränität, nationale Einheit und die Einbindung in Bündnissysteme. Seiferts Vortrag zeigte dabei insbesondere auf, dass eine Annäherung und Verständigung über eine „gemeinsame Geschichte“ zwischen Japan und Korea nicht unbedingt im Interesse des gemeinsamen Bündnispartners USA war und ist. Der dritte Vortrag in diesem Panel von Frank Umbach (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin) stellte das Thema Energiesicherheit ins Zentrum und thematisierte Japans Wettbewerb mit den aufstrebenden regionalen Volkswirtschaften China und Indien um knapper werdende Ressourcen. Umbach führte aus, dass die Globalisierung des Marktes für Rohöl zwar zu stärkerer Energiesicherheit geführt habe, dass jedoch Marktkräfte allein immer dann keine Gewähr für den Zugang zu Energie bieten können, wenn die Rohstoffquellen in instabilen Regionen, wie etwa dem Mittleren Osten, liegen. Er wies weiter auf zunehmende Tendenzen Erdöl produzierender Staaten hin, ihre Rohstoffe zu nationalisieren. Umbach stellte den Energiebedarf Japans, Chinas und Indiens dar und zeigte auf, dass insbesondere die chinesische Außenpolitik in den letzten Jahren, etwa im Hinblick auf den Umgang mit dem iranischen Atomprogramm, deutlich vom Interesse der chinesischen Regierung und Wirtschaft an der Erschließung von Energieressourcen geprägt war und ist. Der „Energiehunger“ Chinas und die daraus abgeleitete Politik stelle ein mögliches Konfliktpotential im Verhältnis mit Japan dar, das nicht nur die die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, sondern auch – nach den USA – der weltweit zweitgrößte Erdölimporteur und – nach China – der drittgrößte Importeur von Energie. Für die japanische politische Elite wird trotz der nach wie vor hohen Nutzung von Atomkraft und trotz hoher Energieeffizienz die Sicherung von Energieressourcen zu einer zentralen Frage der japanischen Außen- und Sicherheitspolitik in der Region werden.

Panel 3 griff die bereits in Panel 2 deutlich gewordene Bedeutung innenpolitischer Diskurse für die Perzeption von Sicherheit in der Gesellschaft noch einmal auf. Im einleitenden Vortrag stellte Wilhelm Vosse (International Christian University, Tokyo) Ergebnisse seiner Umfragestudie zur Bedrohungsperzeption in der japanischen Bevölkerung dar. Die Untersuchung, die Teil eines international und vergleichend angelegten Projekts ist, fragte danach, in welchen Bereichen Japaner Unsicherheit empfinden und wie sich diese perzipierte Unsicherheit auf die in der japanischen Bevölkerung weit verbreiteten pazifistischen Normen auswirken. Gefragt wurde nach der perzipierten Wahrscheinlichkeit eines militärischen oder terroristischen Angriffs auf Japan wie auch nach Faktoren persönlicher Unsicherheit, also etwa der Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Verbrechens zu werden. Die Ergebnisse zeigen, dass in Japan eine deutlich höhere Besorgnis auf Seiten der Bevölkerung besteht als z.B. in den USA. Die japanischen Befragten äußerten höhere Unsicherheit im Hinblick auf die Möglichkeit eines Krieges auf globaler Ebene, aber auch in Bezug auf einen möglichen Angriff auf Japan. Ebenso war die Rate derer, die angaben, sie fürchteten, Opfer eines Verbrechens zu werden, in etwa gleich mit den entsprechenden Antworten amerikanischer Befragter, obwohl die japanische Kriminalstatistik andere Ergebnisse erwarten ließe. Gleichzeitig legten die Ergebnisse – als mögliche Reaktion auf diese perzipierte Unsicherheit – eine zunehmende Akzeptanz der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte und auch einer aktiveren Sicherheitspolitik Japans nahe. Der Vortrag von Hiroko Takeda (University of Sheffield) untersuchte die Risikoperzeption und von der Regierung getroffene Maßnahmen zur Minimierung von Unsicherheit im Bereich der Ernährung. Takeda führte aus, dass japanische Verbraucher aufgrund des sich wandelnden japanischen Lebensstils mehr Fertiggerichte und in Restaurants zubereitete Mahlzeiten zu sich nehmen als noch vor wenigen Jahrzehnten. Dies bringe eine stärkere Abhängigkeit von der Lebensmittelindustrie mit sich, die vor dem Hintergrund neoliberaler Reformen und zunehmender Deregulierung Risiken für die Verbraucher in sich berge. Skandale wie etwa die BSE-Krise oder der Yukijirushi Milch-Skandal seien dazu angetan, ein Gefühl von Unsicherheit bei den Verbrauchern zu wecken. Takeda zeigte in ihrem Vortrag, auf welche Weise die japanische Regierung versucht, diese Unsicherheit zu verringern und ging dabei insbesondere auf Maßnahmen zum Verbraucherschutz, wie etwas das Gesetz zur Lebensmittelsicherheit, auf Informationskampagnen und auf Initiativen der Regierung wie die zur Esserziehung (shokuiku) ein. Aus ihrem Vortrag wurde auch deutlich, dass diese Maßnahmen auch als Symbol für eine angesichts neoliberaler Reformen schwächer werdende Regierung zu sehen sind. Der dritte Vortrag in diesem Panel befasste sich mit den sozialen Sicherungssystemen und der damit verbundenen perzipierten und realen Unsicherheit. Mari Osawa (Universität Tokyo) diskutierte das japanische Wohlfahrtsstaatskonzept im international vergleichenden Kontext und zeigte auf, dass die japanischen sozialen Sicherungssysteme mit massiven finanziellen Problemen behaftet sind, die sich durch den demographischen Wandel weiter verschärfen. Mit existentieller Unsicherheit seien dabei nicht nur jene Teile der japanischen Bevölkerung konfrontiert, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Auch die zunehmende Zahl von Teilzeitbeschäftigten und irregulär Beschäftigten zahle zum großen Teile keine oder nicht ausreichende Beiträge in die Rentenkassen und sei so mit der Gefahr von Altersarmut konfrontiert. Zudem sein in den letzten Jahren vermehrt Unregelmäßigkeiten im Bereich der mit der Einwerbung der Beiträge befassten lokalen Sozialverwaltungen aufgetreten, und auch die Regierung Koizumi habe zahlreiche Personengruppen von der Beitragspflicht befreit, was die Summe der eingezahlten Beiträge weiter verringere. Das auf einen (männlichen) Alleinverdiener ausrichtete japanische Wohlfahrtsstaatsmodell sei den Anforderungen, die der demographische und gesellschaftliche Wandel mit sich brächten, nicht mehr angemessen, und die gefühlte Unsicherheit vieler japanischer Bürger im Hinblick auf ihre Alterssicherung habe einen sehr realen Hintergrund.

Panel 4 knüpfte an die innerjapanischen Diskurse zu Sicherheit und Unsicherheit an und thematisierte die japanische Diskussion zu Fragen von Migration. Der einleitende Vortrag von Takashi Kibe (International Christian University, Tokyo) diskutierte die Frage der Integration von Migranten in der japanischen Gesellschaft aus der Perspektive der politischen Theorie. Ausgehend vom japanischen Konzept des Multikulturalismus, tabunka kyōsei, ging Kibe der Frage nach, inwieweit dieses Konzept, das auf den Prinzipien der Völkerverständigung und des kulturellen Austausches beruht und in den letzten Jahren sehr große Beliebtheit erfuhr, geeignet ist, zur Integration von Migranten beizutragen. Insbesondere auf der Ebene der Lokalverwaltungen und der Zivilgesellschaft wird das Konzept des tabunka kyōsei weitgehend implementiert. Kibe gab jedoch zu bedenken, dass in einem gesellschaftlichen Klima, in dem der politische Diskurs zum Thema Migration weitgehend von Sicherheitsfragen und dem Thema der Ausländerkriminalität beherrscht ist, eine rein auf Kulturaustausch begründete Integrationspolitik nicht auf Dauer erfolgreich sein kann. Der Vortrag von Gabriele Vogt (Deutsches Institut für Japanstudien, Tokyo) machte die unterschiedlichen Ansätze im innerjapanischen Diskurs zum Thema Migration deutlich. Ausgehend von der auch im Vortrag von Kibe deutlich gewordenen Spaltung des japanischen Migrationsdiskurses in zwei sich kontrastierend gegenüber stehende Lager, die Migration entweder im Kontext von Integration oder im Kontext von Sicherheitspolitik und Einwanderungskontrolle sehen, analysierte Vogt das Spektrum der am Diskurs beteiligten Akteure. Sie machte dabei deutlich, dass die Migrationsdebatte bislang im politischen System unvorstellbare Koalitionen und Bündnisse zwischen bis dahin nicht kooperierenden oder sogar eher gegensätzlichen Gruppen politischer Akteure möglich macht. Während derzeit die eher auf Einwanderungskontrolle abzielenden Teile des Justizministeriums mit Unterstützung des konservativen Flügels der LDP die Debatte dominieren, bilden sich auf der entgegen gesetzten Seite des Diskurses Koalitionen zwischen lokalen Regierungen, NGOs und Wirtschaftsvertretern sowie – vor dem Hintergrund des demographischen Wandels – Teilen der Wirtschafts-, Außen-, Arbeits- und Bildungsministerien. Diese neu gebildeten Bündnisse sind dazu angetan, auf lange Sicht nicht nur den japanischen Diskurs zur Migrationspolitik umzukehren, sondern auch den politischen Prozess Japans insgesamt nachhaltig zu beeinflussen. Der dritte Vortrag in diesem Panel ging der Frage nach, inwieweit das Argument der Befürworter einer aktiveren Migrationspolitik, Japan sei für seine wirtschaftliche und demographische Sicherheit in Zukunft maßgeblich auf Migranten angewiesen, zutrifft. David Chiavacci (FU Berlin) zeichnete die Entwicklung des Migrationsdiskurses auf und wies nach, dass sich die Debatte unter dem Einfluß des demographischen Wandels zunehmend von der Frage der Kontrolle (illegaler) Zuwanderung hin zu einer Schaffung einer aktiven Anwerbe- und Einwanderungspolitik entwickelt hat. In zahlreichen Wirtschaftsbereichen sei Japan heute bereits auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Migranten seien daher bereits heute strukturell in die japanische Wirtschafts- und Arbeitswelt integriert. Während Teile des Justizministeriums und der Regierungspartei LDP einer aktiven Einwanderungspolitik aus Gründen der nationalen Sicherheit oder einer perzipierten Gefährdung der nationalen Identität ablehnend gegenüberstünden, habe der demographische Wandel insbesondere auf Seiten der mit Fragen von Arbeit und Wirtschaft befassten Ministerialbürokratie einen Stimmungswandel bewirkt. Der durch den demographischen Wandel ausgelöste Druck sei daher auch dazu angetan, bisher dominierende Diskurse, wie etwa den der Ausländerkriminalität, abzulösen.

In der Abschlussdiskussion waren sich die Diskutanten, Verena Blechinger-Talcott (Tokio), Reinhard Drifte (Newcastle University/London School of Economics), Paul Midford (Norwegian University of Science and Technology, Trondheim) und Wilhelm Vosse (International Christian University, Tokyo) darin einig, dass die bisherigen Determinanten der japanischen Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin Gültigkeit besitzen, jedoch durch neue Unsicherheiten, insbesondere im Bereich der nicht-traditionellen Aspekte von Sicherheitspolitik (Terrorismus, Energiesicherheit) ergänzt werden. Auf der innenpolitischen Ebene fällt auf, dass sich die aus den Umfrageergebnissen deutlich gewordene, hohe (perzipierten) Unsicherheit auf Seiten der japanischen Bevölkerung bislang nicht wahlentscheidend ausgewirkt hat. Zwar ist laut Umfragen das Vertrauen in Politik und Verwaltung generell gesunken, dennoch haben die meisten Wähler angegeben, ihre Wahlentscheidung eher von ökonomischen denn von Fragen nationaler Sicherheit abhängig gemacht zu haben.

Die Organisatoren planen eine Publikation der Konferenzbeiträge in einem renommierten englischsprachigen Verlag.

Verena Blechinger-Talcott (Tokio)