Fachgruppensitzung Erziehung 2001

Die Fachgruppe Erziehung tagte im Rahmen der Jahrestagung der Vereinigung für Sozialwissenschaftliche Japanforschung dieses Jahr im JDZB in Berlin. Schwerpunktmäßig wurden Fragen behandelt, die im Zusammenhang mit den japanischen Bildungsreformen und deren aktueller Umsetzung stehen; insofern wurde die Thematik der VSJF-Tagung 2000 aufgegriffen und fortgesetzt.

Der inhaltlich wichtigste Beitrag war der Vortrag von Annette Erbe zu „Reform der Fremdsprachenerziehung in Japan: Durchbruch zur Kommunikation?“ Annette Erbe hatte sich im Rahmen eines Japan Foundation-Stipendiums als Gastwissenschaftlerin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Kyôto ausführlich mit entsprechenden Fragen beschäftigt. In zahlreichen Experteninterviews untersuchte sie die Umsetzung neuerer Curriculumsvorgaben auf dem Weg vom Kultusministerium (Monbukagakushô) in die Schule. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfolglosigkeit kommunikationsorientierter Reformversuche zeigte sie strukturelle Probleme auf und setzte sie in Beziehung zu übergreifenden Reformzielen wie Dezentralisierung und größere Autonomie für Schulen und Kommunen.

Fremdsprachenerziehung heißt, so Erbe, in Japan weiterhin in erster Linie Englischunterricht. Denn obwohl jeder Studienplatzbewerber im „National Center Test“, der das an Oberschulen erworbene Niveau akademischer Fähigkeiten misst und dessen Ergebnisse grundlegend für die Aufnahme eines Hochschulstudiums sind, auch Französisch, Deutsch, Chinesisch oder ab dem Jahr 2002 Koreanisch wählen kann, ließen sich 2001 über 99 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Englisch prüfen. Die hohe Bedeutung, die dem National Center Test zukommt, leitet sich daraus ab, dass die meisten nationalen, alle öffentlichen sowie zwei Drittel aller privaten Universitäten an diesem national koordinierten Test teilnehmen. Zusätzlich führen die meisten Hochschulen noch eigene Leistungstests durch, deren Gewichtung jedoch in den jeweiligen Universitäten und einzelnen Fakultäten sehr unterschiedlich ausfällt.

Aus dem weiterhin hohen Stellenwert der Aufnahmeprüfungen folgt, dass den Reformen im Unterricht ganz klare Grenzen gesetzt sind. Denn auch wenn – z.B. unter Einsatz von Muttersprachlern – mehr Wert auf gesprochene Sprache gelegt wird oder selbst wenn die Fremdsprachenerziehung zukünftig deutlich früher, nämlich schon im dritten Schuljahr beginnen soll, können diese Maßnahmen nur ein zusätzliches Angebot bleiben, solange in den Prüfungen nicht einmal Hörverständnis abverlangt wird. Dies soll nämlich im „National Center Test“ frühestens im Jahr 2006 eingeführt werden, wenngleich andere in Japan verbreitete Englischtests, wie der „Test of English as a Foreign Language“ (TOEFL), der „Test of English for International Communication“ (TOEIC) oder der „Jitsuyô Eigo Kentei“ (Eiken) schon längst Prüfungen zum Hörverständnis integrieren.

Ein weiterer Vortrag war zum Thema „Musik in der Lebenswelt japanischer Grundschüler – Musikunterricht, Musikpräferenzen und Hörgewohnheiten von Kindern aus fünften und sechsten Klassen“ geplant. Dieser Bericht über ein erziehungswissenschaftliches Dissertationsprojekt an der Universität Hamburg musste leider ausfallen, da Antje Mordhorst aus Krankheitsgründen ihre Teilnahme an der Tagung absagen musste. Frau Mordhorst hat den Musikunterricht an verschiedenen Grundschulen in Japan beobachtet und unterrichtet gegenwärtig an der Japanischen Internationalen Schule in Düsseldorf.

Die verbleibende Zeit konnte für gegenseitigen Berichten zur Forschung der Mitglieder der Fachgruppe im Bereich Bildung und Erziehung genutzt werden. Bei Studierenden stand die Fragen der Motivation für die Auseinandersetzung mit entsprechenden Themen im Vordergrund. Zusätzliches Input lieferte Professor IMAI Yasuo, der als diesjähriger Gast der Vereinigung über aktuelle Forschungstrends in der japanischen Erziehungswissenschaft berichtete. Bildungspolitisch relevant ist z.B. die Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Zusammenbruch der Klasse“ (gakkyû hôkai), der von einzelnen Autoren nicht nur als Indiz für zunehmende Schulprobleme im Rahmen gesellschaftlichen Wandels gewertet wird, sondern durchaus auch als kritisches Argument in Bezug auf die Bildungsreformen seit den 80er Jahren in die Diskussion geführt wird.

Aus aktuellem Anlass standen auch die Ergebnisse der Pisa-Studien zur Debatte. Denn Gründe für das schlecht Abschneiden der deutschen 15-Jährigen werden nun allerorts gesucht. Dies kann für uns ein guter Anlass sein, die Diskussion zur „Lernkultur Japan“ (Schubert) neu zu beleben. Denn Japan schnitt, wie verschiedene andere ostasiatische Staaten und auch skandinavische Länder, wieder einmal gut in dieser internationalen Vergleichsstudien ab, wenn man sich auch im Lande selbst, viele Gedanken um das sinkende Niveau der Schülerleistungen macht. Ob es nun die stärkere Orientierung an gruppenorientiertem Lernen, die effizientere Vermittlung von Wissen oder andere stukturelle Mechanismen japanischer Bildungsprozesse sind, ist sicherlich noch immer nicht abschließend erforscht. Weitere vertiefende Untersuchungen, die Bildung und Erziehung in Japan und gegebenenfalls noch anderen Ländern vergleichen, gewinnen somit erneut an Relevanz. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, uns der Erziehungswissenschaft als Japanexperten noch stärker für den Dialog anzubieten.

Im Hinblick auf die Anbindung unseres Diskussionsforums, das aus der Fachgruppe Erziehung vor etwa zwei Jahren entstand, eruieren wir momentan die Möglichkeit, diese Liste über die Vereinigung laufen zu lassen und frühere Beiträge, wie z.B. Tagungsberichte etc. über die Homepage der VSJF elektronisch verfügbar zu machen. Falls diesbezüglich weiterführende Ideen oder Bedenken von Mitgliedern bestehen – insbesondere von denen, die nicht an der diesjährigen Tagung bzw. der Fachgruppensitzung in Berlin teilnehmen konnten – bitten wir, Rücksprache mit Annette Erbe (annette.erbe@berlin.de) oder Susanne Kreitz-Sandberg (kreitz-sandberg@telia.com ) zu nehmen.