Fachgruppensitzung Geschichte 2016

Nils Dahl: Gärten als Verhandlungsräume: Die Kategorisierung von neuen Gärten in Japan zwischen 1880 und 1930 als Frage der nationalen Selbstbeschreibung

In seinem Vortrag zum gerade an der Heinrich-Heine-Universität gestarteten DFG-Projekt erklärte Nils Dahl die bestehende Forschungslücke im Bereich japanischer Gärten. Die Idee des japanischen Gartens ist nämlich erst ein Produkt der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deren Rezeption in Japan bislang noch nicht ausreichend untersucht wurde. Damals entstand die Vorstellung eines nationalen Stils durch japanische Gärten auf Weltausstellungen und einen sowohl von Europäern und Nordamerikanern als auch Japanern selbst geführten Diskurs über Gärten im Wechselspiel zwischen westlichen Fremdzuschreibungen und nationaler Selbstrepräsentation. Die Forschung der letzten zwei Jahrzehnte hat diesen Prozess der kulturellen Übersetzung zwischen dem Westen und Japan klar herausarbeiten können. Hierbei konzentrierte sie sich jedoch vor allem auf den Diskurs und japanische Gärten im Ausland, während die Entwicklung in Japan selbst in diesem Zeitraum deutlich weniger erforscht wurde. Die neu angelegten Gärten speziell zwischen 1890 und 1930 bilden aber das Gegenstück im Übersetzungsprozess. Sie sind nicht unabhängig von den bereits erforschten Prozessen entstanden. Vor allem private Gärten reicher Industrieller, Politiker oder Künstler wurden nach neuen Vorstellungen errichtet. Bemerkenswert ist hier, dass diese Gärten von Gartenwissenschaftlern in Japan lange gar nicht als japanisch anerkannt wurden, sondern bestenfalls als eklektisch galten.

In den letzten Jahren sind jedoch viele dieser Gärten zu nationalen Denkmälern erklärt worden und werden in diesem Zusammenhang inzwischen als klar japanisch kategorisiert. Das Projekt untersucht an fünf ausgewählten Beispielgärten, wie es dazu kam. Dazu sind die vier Ebenen bedeutsam: 1. Errichtungskontext; 2. frühe Rezeption der Gärten in der (Fach-)Presse; 3. Diskussionen um die Erhaltung in den 1970er Jahren mit der Folge der Aufnahme in Denkmallisten und schließlich 4. die weitere Pflege, Verwendung und Japanisierung der Gärten. So lässt sich zeigen, wann die Kategorisierung als „japanische Gärten“ aufkam und wie dieses Argument in die Diskussion eingeführt wurde sowie dort Geltung erlangte. Deutlich wird darüber hinaus die Verbindung zu anderen Diskursfeldern, die für die nationale Selbstbestimmung in Japan zentral sind. Die Fragen der Natur und der besonderen Liebe der Japaner zur Natur spielen hier eine wichtige Rolle. Über die Gärten lässt sich zeigen, dass diese den nihonjinron (Japanertheorien) entlehnte Verwendung von Natur in den Diskussionen um die Gärten erst langsam übernommen wurde und in Konkurrenz zu einem eher durch die westlichen Naturschutzdiskurse beeinflussten Argumentationsmuster steht.

Jonathan Krautter: Unternehmensstrategie und japanische Industriepolitik in der Hochwachstumsphase 1955-1973

Die Vorstellung seines Disserationsprojekts startete Jonathan Krautter mit der Frage danach, ob die japanischen Industriepolitik – wie normalerweise angenommen – der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes genützt hat, oder ob sie nicht vielleicht auch negative Effekte erzeugt hat. Als Hochwachstumsphase wird in Japan die Zeit zwischen 1955 und 1973 bezeichnet, in deren Verlauf das Land 1968 Deutschland überholte und zur drittgrößten Volkswirtschaft der Welt wurde. In der Regel führen Sozialwissenschaftler dies auf die maßgeblich vom Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI) beeinflusste Industriepolitik zurück. Volkswirtschaftler hingegen lehnen diesen Erklärungsansatz häufig ab und behaupten, dass die damalige japanische Industriepolitik das Wachstum eher behinderte. Industriepolitik wird hierbei verstanden als ein Katalog von Maßnahmen, mit denen die Regierung gezielt Industrien unterstützt. Dies können Zölle oder Subventionen sein, im japanischen Fall kommen häufig die so genannten administrativen Leitlinien dazu, die mit denen das MITI zwar rechtlich unverbindlich aber mit großem Nachdruck das Handeln der Firmen beeinflusste.

Johannes Krautter stellte kurz die drei großen Lager der Erklärungsansätze vor: Eine Gruppe (u.a. Michael Porter) sieht den freien Markt sowie staatliche Zurückhaltung als Grund für das Hochwachstum, während andere (u.a. Chalmers Johnson) im Gegenteil den so genannten Entwicklungsstaat als wichtiges Element der Entwicklung sehen. Die dritte Gruppe, vertreten u.a. durch Thomas Friedman, wiederum führt den japanischen Erfolg auf die Wichtigkeit von Netzwerken in der Wirtschaft zurück. Als problematisch bezeichnete Johannes Krauter bei all diesen Ansätzen, dass die Volkswirtschaftler sich vor allem mit den quantifizierbaren Aspekten der Entwicklung (z.B. Subventionen) beschäftigen und dabei die nicht-quantifizierbaren Aspekte wie die Praxis der administrativen Leitlinien außer Acht lassen. Demgegenüber beschäftigen sich die Sozialwissenschaftler vor allem mit der Politik des MITI und lassen die Firmenebene außen vor. Firmen werden dabei behandelt wie „Black Boxes“, die entweder die politischen Vorgaben umsetzen oder unterlaufen. Die genaue Umsetzung der staatlichen Industriepolitik wurde allerdings noch nicht untersucht, weshalb die geplante Dissertation diese Forschungslücke zu füllen gedenkt. Die geplante Untersuchung soll auf der Mikroebene stattfinden, z.B. durch die Auswertung von Firmenarchiven zur Frage der konkreten Umsetzung der Industriepolitik im Firmenalltag. Damit soll die Rolle der Firmen als Akteure und der Einfluss ihres Verhaltens auf die Umsetzung der Politik beleuchtet werden.

Harald Fuess: Industrieruinen als kulturelles Erbe in Japan: Das nostalgische Gedenken an das Wirtschaftswachstum in den Zeiten von Abenomics

In seinem Vortrag befasste sich Harald Fuess mit einer Entwicklung in Japan in den letzten Jahrzehnten, bei der Japan durch die seit dem Platzen der Spekulationsblase Anfang der 1990er Jahren anhaltende Schwäche seiner Wirtschaft oft nicht mehr als Land gesehen wird, das Unterhaltungselektronik und Autos exportiert, sondern sich stattdessen auf die Massenproduktion von Manga, Anime und Computerspielen verlegt hat. Während Japan sich beginnt damit abzufinden, dass großes Wirtschaftswachstum in seiner alternden Gesellschaft mit schrumpfender Bevölkerung im konventionellen Sinne nicht mehr möglich ist, beginnt eine neue Betrachtung der Industriegeschichte. Nicht mehr länger liegt dabei der Fokus auf den negativen Folgen der schnellen Industrialisierung, wie zum Beispiel den harten Arbeitsbedingungen in den Schlüsselindustrien Textil, Bergbau und Schwerindustrie sowie der von der Industrie verursachten Umweltverschmutzung. Vielmehr werden Industriedenkmäler jetzt als kulturelles Erbe des Landes erkannt, was sich am Beispiel der historischen Seidenmanufaktur in Tomioka in der Präfektur Gunma zeigen lässt, die 2014 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Während vorher vor allem traditionelles Kulturgut als schützenswert betrachtet wurde, bis hin zu der Möglichkeit Menschen wie Kabuki-Spieler zu Nationalschätzen zu machen, rücken jetzt zunehmend die Hinterlassenschaften der industriellen Entwicklung in den Fokus des Diskurses darüber, was nationale Geschichte und schützenswert ist.

Ein weiteres aktuelles Beispiel für den nostalgischen Umgang mit der Geschichte der japanischen Industrialisierung ist der Versuch, die ehemalige Bergbauinsel Gunkanjima in der Nähe von Nagasaki museal aufzubereiten. Da die auf der Insel zurückgelassenen Gebäude und Industriestrukturen einsturzgefährdet und für eine Begehung durch große Touristengruppen ungeeignet sind, hat die Stadt Nagasaki ein virtuelles Museum zum Thema Gunkanjima eingerichtet. Auch ist Gunkanjima seit 2008 ein Kandidat für die Liste des Weltkulturerbes und wird vermarktet als ein Zeugnis des wirtschaftlichen Aufstiegs des Landes. Industrie(denkmäler) werden so zu Kulturdenkmälern gemacht. Harald Fuess ordnete diese Entwicklung im Umgang mit den Zeugnissen der eigenen Geschichte ein in die von Ministerpräsident Abe verbreitete politische Vision der Abenomics und eines stärker werdenden Nationalismus. Abe zufolge soll sich das Land nicht nur wirtschaftlich erholen, sondern sich auch im Umgang mit der eigenen Geschichte stärker auf seine nationalen Stärken rückbesinnen. Die Gestaltung von Industrieruinen als Zeugnisse der japanischen Wirtschaftsstärke und als Weltkulturerbe soll dabei emotionale Bedürfnisse der japanischen Bevölkerung ansprechen und den Fokus statt auf die Dekaden der Rezension auf eine nostalgische Betrachtung wirtschaftlicher Errungenschaften richten.

Anke Scherer