Fachgruppensitzung Kultur und Medien 2002
Aufgrund der vielfältigen inhaltlichen Überschneidungen hat es sich angeboten, die beiden Fachgruppen „Kultur“ und „Medien und Populärkultur“ zukünftig zusammenzulegen. Die neue Fachgruppe „Kultur und Medien“ versteht sich wie die bisherigen Fachgruppen „Kultur“ und „Medien und Populärkultur“ als ein Forum für kultur- und medienwissenschaftliche Fragestellungen sowohl in inhaltlicher als auch methodologischer Hinsicht. Auf der bereits gemeinsam durchgeführten Fachgruppensitzung wurden insgesamt sechs Projekte vorgestellt:
Nadja Brinker, Doktorandin an der Universität München, referierte über „Üble Orte am Rande der Stadt – zur Bedeutung der Freuden- und Theaterviertel für die urbane Gesellschaft der Tokugawa-Zeit“. Nadja Brinker zufolge nutzten weite Teile der Bevölkerung in der Tokugawa-Zeit ausgiebig die Feste des reichen Jahresbrauchtums und Pilgerreisen als Gelegenheit, für eine Weile die Welt des Alltags hinter sich zu lassen. Doch neben diesen primär durch eine zeitliche Begrenzung bestimmten Möglichkeiten existierten, bislang weniger beachtet, permanente räumliche, wie sie in den Metropolen des Landes zu finden waren. In diesem Zusammenhang sei besonders auf die gesellschaftliche Relevanz der Freuden- und Theaterviertel der Tokugawa-Zeit zu verweisen, in deren freiheitlicher Atmosphäre Künste eine Bühne, Künstler Inspiration und Besucher eben ein kurzzeitiges Entkommen aus der sozialen Realität der Feudalzeit finden konnten. Die Referentin zeigte in ihrem Beitrag auf, dass diese Viertel als geographische Zentren der bürgerlichen Unterhaltungskultur einen Kontrapunkt – oder vielmehr „Kontraraum“ – zur offiziellen Kultur und zu den Werten des Tokugawa-Regimes darstellten. Dieser Sachverhalt drücke sich auch in der extremen Polarität ihrer Bewertung, aus –Idealisierung einerseits und Marginalisierung als wortwörtlich „Orte des Bösen“ (akusho 悪所) andererseits. Unter Berücksichtigung des Konzeptes der „Heterotopien“ nach Michel Foucault („Des espaces autres. Une conférence inédite de Michel Foucualt“, in: AMC. Architecture – mouvement – continuité, Oktober 1984, S. 46–49) wurde die Funktion der Freuden- und Theaterviertel als „andere Räume“ in dem oben skizzierten Sinne diskutiert. Zu diesem Zweck stellte Nadja Brinker stellvertretend anhand der offiziell sanktionierten Vergnügungsviertel Edos die Bedingungen dar, unter denen diese Funktion erfüllt werden konnte (und durfte).
Im Anschluss sprach Dr. Christoph Brumann, Universität zu Köln, in seinem Vortrag „Das Neue im Alten: Kyotos machiya-Bewegung und die Erfindung japanischer Traditionen“ über Aspekte seines Habilitationsprojektes. Ausgangspunkt war die These, daß sich entgegen dem, was man angesichts der üppigen Literatur zu invention of tradition, gerade auch in Japan (z.B. Vlastos, Stephen (Hg.) (1998). Mirror of Modernity. Invented Traditions of Modern Japan. Berkeley et al.: University of California Press.), erwarten könnte, die Kyotoer „machiya“-Bewegung nicht einfach darunter abhandeln lasse. Die sozialfunktionale, d. h. kollektive Identität stiftende Komponente sei nämlich nur am Rand (Touristen, Gelegenheitskunden, Stadtverwaltung etc.) zu finden, dort werde tatsächlich das alte Kyoto/das alte Japan in den Häusern beschworen. Weiter im Kern (Eigentümer, Mieter, Aktivisten, Handwerker und Architekten) seien andere Aspekte jedoch belegbar wichtiger. Dazu zählten Ästhetik, Naturnähe, der mit „ochitsukeru“ beschriebene psychische Effekt und eine geradezu animistisch anmutende und als solche wahrgenommene „Lebendigkeit“ der Häuser. Zudem würden, anders als in älteren Ansätzen der japanischen Stadterhaltung, die sich auf Fassaden und das Stadtbild beschränkten, Zugang zu und Aktivitäten in den „machiya“ in den Vordergrund gestellt. Sozial gründe sich dies auf den privaten Charakter der Bewegung: Individuen und Kleinfirmen trügen sie, während sich große Organisationen immer noch fast vollständig heraushielten. Entsprechend mannigfaltig und durchaus popkulturell – da nicht zentral kontrolliert – stelle sich der machiya-Boom dar. Brumann zufolge scheint daher die Vorstellung von der „Inventiveness of tradition“ (Marshall Sahlins) hier eher zuzutreffen.
Jan Ruppert, Student der Physik und der Japanologie an der Freien Universität Berlin und „Leiter – manganimedo“ im Vorstand der Deutsch-japanischen Gesellschaft (DJG) Potsdam stellte mit „Japanische Rockmusik & Visual-Kei“einen hierzulande wenig bekannten Aspekt japanischer Unterhaltungskultur vor. Visual-Kei (kurz: VK) heißt übersetzt visuelle Gruppe/System und ist größtenteils auf das äußere Erscheinungsbild bezogen. Erste Verwendung fand der Begriff beim Visual Rock (Musikrichtung), der Anfang der 1980er Jahre unter dem Einfluss von Glam-Rock-, NewWave-Rock-Musik, sowie der europäischen Punk-, Metal- und Gothic-Szene entstand. Er drücke eine eigene Art und Lebenseinstellung aus. Daher bezeichne der VK mittlerweile Musiker wie Fans gleichermaßen.
Jan Ruppert zufolge gehen die Ursprünge des Visual Rock bis auf das Kabuki-Theater zurück. Heute stelle er eine Mischung aus starkem Technologiebezug, westlicher Moderne und Elementen traditioneller japanischer Musik vereint im Rahmen theatralischer Darstellung dar. Die wesentliche Grundbedeutung des VK liege zum einen in der Abgrenzung von der Masse bzw. der Gruppe hin zu einer neuen Selbstfindung und Individualität. Zum anderen biete er einen Ausweg und eine Alternative zur Popmusik der Massenkultur und Massenmedien an. Thematisiert werden Basisemotionen wie Liebe, Hass und Trauer bei stetem Selbstbezug. „Visual-Rock, das heißt Männer im Anzug oder auch Kleid bei gothic-industrieller Szenerie, gestylt bis zum Exzess, Frisuren und Kostüme in ungewohnter überdrehter Art, mit betont weiblichem Make-up und androgyn bis zum Schluss“ – so laute der wichtigste Grundsatz im VK. „Everything for the show“, also alles zu geben für die Show/den Auftritt. Aufgrund des weitreichenden Einflusses auf die japanische Jugend, die diese Musikrichtung im Laufe der Entwicklung mitprägte und weiterentwickelte, könne der VK als integraler Bestandteil der japanischen Jugendkultur aufgefasst werden, da er ein durchaus ernstzunehmender Weg für die Suche nach dem „Eigenen Ich“ sei. Dabei würden gezielt Individualismus und Extreme des Einzelnen betont, wobei diese sich aber durchaus (z.B. in den Bands) mit denen Anderer vereinbaren ließen. Der J-Rock (kurz für: japanese rock-music) und mit ihm der VK seien aufgrund des Japan-Booms der letzten Jahre zunehmend im Blickfeld der USA und Europas sowie insbesondere Deutschlands präsent und hätten somit auch hier, in „Übersee“, ihre Fans und Anhänger gefunden.
Anschließend stellte Barbara Geilhorn, Doktorandin an der Universität Trier, unter dem Titel „Performing Gender aus neuer Perspektive“ ihr Dissertationsprojekt zum Nô- und Kyôgen-Theater vor. Ausgangspunkt ihres Projektes ist die Tatsache, dass das japanische Nô- und Kyôgen-Theater bis heute als exklusiv männliche Welt rezipiert werde, obwohl am Prozess der historischen Entwicklung der Gattung Frauen direkten Anteil gehabt hätten. Beispielsweise seien bereits aus der Muromachi-Zeit weibliche Nô- (onna-sarugaku) und Kyôgen-Truppen (nyôbo-kyôgen) bekannt. Allerdings sei die Präsenz von Frauen auf der Nô-Bühne erst gegen Ende der Meiji-Zeit kontrovers diskutiert worden. In dieser Zeit des radikalen Wandels, als der Kontakt mit westlichen Staaten neben anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens auch die Rolle der Frau neu zur Disposition stellte, schien der Bruch eines Tabus möglich geworden zu sein. Als beispielhaft für diesen Zeitraum wurde das Wirken von Tsumura Kimiko (1902-1974), Pionierin unter den Nô-Spielerinnen der ersten Generation, vorgestellt. Im Gegensatz zum Nô, für das bis heute eine Trennung in eine jeweils exklusiv weibliche bzw. männliche Ästhetik gültig ist, treten die Schwestern Izumi Junko (*1969) und Izumi Shôko (*1969) der gleichnamigen Izumi-Schule gemeinsam mit ihrem Bruder Izumi Motoya (*1974) auf und wurden seit ihrer Kindheit gleichberechtigt zu professionellen Kyôgen-Spielerinnen ausgebildet, eine Tendenz, die sich auch in anderen Kyôgen-Familien abzeichnet. Die Materialität des weiblichen Körpers könne jedoch nicht ohne Auswirkung auf die performative Praxis bleiben. Um einen Einblick in die Problematik zu vermitteln, stellte Barbara Geilhorn anhand von Nikyoku santai ningyôzu (Illustrationen zu den zwei Weisen, d.h. Musik und Tanz und den drei Rollentypen; ca. 1430), Zeamis System der drei Rollentypen – „rôtai“ (der Alte), „nyotai“ (die Frau) und „guntai“ (der Krieger) – vor, das die Grundlage für die Mechanismen des performing gender innerhalb des Nô-Theaters bilde.
In seinem Vortrag über „Ono Hideo und die Institutionalisierung des Fachs Shinbungaku (Zeitungswissenschaft) in Japan“ stellte Fabian Schäfer von der Universität Leipzig das Thema seiner in der Entstehung begriffenen Magisterarbeit vor. Er beschreibt darin die Entstehung des Fachs „shinbungaku“ als akademische Disziplin an der Universität Tôkyô seit dem Jahr 1929 und die besondere Rolle des Germanisten und Journalisten Ono Hideo bei dem Aufbau dieser Forschungseinrichtung (shinbun kenkyûshitsu) in Japan. Während seiner Anstellung bei einer der größten japanischen Tageszeitungen, Yorozu Chôhô, beschäftigte sich Ono mit der Übersetzung von deutschen Theaterstücken, gab diese Arbeit 1917 mit seinem Wechsel zur Tôkyô Nichi-Nichi-Shinbun jedoch auf. Kurze Zeit nach der Aufnahme eines Graduiertenstudiums an der Universität Tôkyô publizierte er 1922 seine bedeutendste Monografie, Nihon Shinbun Hattatsu-shi (Die Entstehungsgeschichte des japanischen Zeitungswesens), die einen wichtigen Meilenstein in der japanischen Zeitungswissenschaft darstellte.
In den folgenden Jahren trat Ono mehrere Forschungsreisen nach Europa und Amerika an, um sich ein Bild vom Stand der internationalen Zeitungswissenschaft zu machen. Nach seiner Rückkehr nach Japan gründete er 1926 eine Gesellschaft für Zeitungsforschung und eine Fachzeitschrift für Zeitungskunde, die in Anlehnung an die deutsche Fachzeitschrift „Zeitungswissenschaft“ den Titel Shinbungakukenkyû (Zeitschrift für zeitungswissenschaftliche Forschung) trägt. Daneben setzte er sich (zunächst erfolglos) für die Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls für Zeitungswissenschaften ein. Neben diesem medien-historischen Abriss der japanischen Zeitungswissenschaft soll in dieser Magisterarbeit herausgearbeitet werden, dass deren Entwicklung in Japan und Deutschland nahezu gleichzeitig stattgefunden hat. Hier könne man keinesfalls von einem einseitigen deutsch-japanischen Wissenstransfer zwischen ungleichen Partnern reden. Um diesen bilateralen Austauschprozess fassbar zu machen, erscheint Fabian Schäfer daher eine Strategie sinnvoll, die sich an die Vorstellung anlehnt, dass die japanische Moderne die Flexion eines größeren und sich global gleichzeitig ereignenden Modernisierungsprozesses ist (vgl. Harootunian, Harry D. (2000): Overcome by modernity. History, culture and community in interwar Japan. Princeton, N.J. Princeton University Press). Folglich müsse auch das Forschungsobjekt „Zeitung“ – als ein typisches Massenphänomen der Moderne – und ebenso der daran gekoppelte akademische Diskurs weniger in seiner zeitlichen als in der räumlichen und globalen Ausdehnung betrachtet werden.
Im letzten Vortrag berichtete Dr. Miriam Rohde, Universität Hamburg, über das Symposium „Film als Spiegel politischer Kultur in Japan“, das vom 15. bis 17. November 2002 an der Abteilung für Sprache und Kultur Japans, Universität Hamburg, mit Unterstützung der Chikô Komatsu Schenkung stattfand. Im Mittelpunkt des Symposiums stand die Frage, ob ein Wandel der politischen Kultur anhand von Filmen als Symbolen politischer Orientierung nachgewiesen werden könne.
Der erste Teil beschäftigte sich mit den sechziger und frühen siebziger Jahren anhand der politisch-künstlerischen Konzepte der Regisseure Adachi Masao (Roland Domenig, Universität Wien) und Ogawa Shinsuke (Mark Nornes, Universität Michigan). Der zweite Teil widmete sich dem Kino seit den neunziger Jahren. Dabei wurden spezifische Finanzierungs- und Rezeptionsmuster linker und rechter Filme herausgearbeitet (Luk Van Haute, Hoogeschool Gent), politische Zukunftsvisionen und Gegenwartskritik hinter erfolgreichen SF-Animationsfilmen analysiert (Thomas Schnellbächer, FU Berlin) und der Frage von Gewaltdarstellung und Zensurdebatte anhand des Films „Battle Royale“ (Miriam Rohde, Universität Hamburg) nachgegangen. Die Vorträge und Ergebnisse des Symposiums werden voraussichtlich Ende des Jahres in der MOAG-Reihe veröffentlicht.