Fachgruppensitzung Kultur und Medien 2008
Auf der Sitzung der Fachgruppe „Kultur und Medien“ wurden sechs teils noch in Arbeit befindliche teils bereits abgeschlossene Dissertationen und Magisterarbeiten zu den folgenden Themen vorgestellt und diskutiert: „Die Mutation der japanischen Zeitungen zu Seniorenmedien – Eine Analyse gestalterisch-formaler und thematisch-struktureller Faktoren der allgemeinen Tagespresse“ (Marc Löhr, Yamaguchi Universität), „Die Mär vom schönen Land – zur Verquickung von Nationaldenken und Ästhetik in der japanischen Automobilwerbung“ (Andreas Riessland, Nanzan Universität, Nagoya), „Dreams or Nightmares? Representations of the People’s Republic of China, Taiwan and Hong Kong in Japanese Cinema and TV Drama“ (Griseldis Kirsch, SOAS London), „Diskurse über Konsum und Luxus im Japan der Nachkriegsdekade, 1945-59“ (Katrin Gengenbach, Japanologie, Universität Leipzig), „Die Anti-Korean Wave im Kontext der aktuellen japanischen Debatte um Jugendnationalismus“ (Raffael Raddatz, Japanologie, J.W. Goethe-Universität Frankfurt), „Kunstprojekte in Japan – Motor zivilgesellschaftlichen Engagements auf regionaler Ebene?“ (Irene Piepenbrock, Japanologie, FU-Berlin).
Marc Löhr befasste sich im Rahmen des Tagungsthemas in seinem Vortrag mit der japanischen Tagespresse und deren von ihm konstatierten „Mutation zu Seniorenmedien“. Er präsentierte dabei einige zentrale Ergebnisse seiner 2007 fertig gestellten Dissertation „Allgemeine Tageszeitungen in Japan. Eine Momentaufnahme der Grundmuster und des Spektrums ihrer Formen und Themen“ auf der Grundlage einer Stichtagssammlung aus dem Jahr 2003. Ziel seiner Forschung war eine Bestandsaufnahme der gestalterischen und thematischen Charakteristika allgemeiner japanischer Tageszeitungen zu einem bestimmten Zeitpunkt und die Ausarbeitung verschiedener Grundmuster. Er stellte dabei vor allem die zum Verständnis der Problematik unablässigen aber bisher kaum analysierten Charakteristika des japanischen Zeitungslayouts in Theorie und Praxis heraus. Mit ihrem verwobenen „Fließumbruch“ zeigten sich die japanischen Tageszeitungen dabei in einer Jahrzehnte alten Tradition verhaftet. Wie in der Gestaltung wiesen die Zeitungen des Samples auch große Kongruenz bezüglich der thematischen Selektion und Ausrichtung auf. Zusammengefasst konstatierte Löhr, dass Japans allgemeine Tageszeitungen auffällig ein – noch – erfolgreiches Businessmodell kopierten, das nur wenig Variationen erkennen lasse. Gestalterische Innovation konnte so nur ansatzweise entdeckt werden, traditionelle Muster überwogen bei weitem.
Diese vorherrschende Statik von Form und Inhalt, vor allem das konservative Layout und die perpetuierten thematischen Muster, wie auch alle erkennbaren Veränderungen, bezeichnete er als Indikatoren für die Mutation der japanischen Tagespresse zu Seniorenmedien. In Zeiten, in denen die westliche Tagespresse unter Einbezug modularer Umbruchtechniken Inhalte und Gestaltung kontinuierlich aufpeppt, um die Produkte leichter lesbar zu machen und damit eine möglichst breite Leserschicht anzusprechen, haben sich die japanischen Zeitungsmacher offensichtlich auf die ihnen noch wohl gesonnene ältere Leserschaft fixiert. Alle geringen Änderungen in Agenda und Gestaltung, wie vor allem die Zunahme auf Senioren zielender Mischthemenseiten zu Gesundheit und (Kranken-)Pflege sowie die Vergrößerungen der Schrift, wiesen in diese Richtung.
Eine neuerliche Stichtagssammlung vom Oktober 2008 unterstrich diese Erkenntnisse. Es zeigte sich bei der Autopsie des Samples, dass nun schon 29 von 83 Titeln vom traditionellen 15-spaltigen auf ein zwölfspaltiges Layout umgestellt haben, allerdings bei Beibehaltung der traditionellen Layoutmuster. Diese Entwicklung sei aber als unumgängliche Anpassung im Zuge einer neuerlichen Welle von Schriftvergrößerungen, die Ende 2007 eingesetzt hat und explizit auf Senioren zielt, voraussehbar gewesen. Noch größere Schriftzeichen waren in den kurzen Zeilen der 15-spaltigen Zeitungsseiten nicht mehr umsetzbar. Dies sei das beste Beispiel, wie sehr Änderungen in den Zeitungen jeweils in den Dienst des Wandels zu Seniorenmedien gestellt werden und somit eher defensiven als offensiven Charakter haben. Abschließend wies der Referent darauf hin, dass die Überalterung der japanischen Gesellschaft nicht nur Auswirkungen auf die Tagespresse habe, sondern auch in anderen japanischen Medien – vor allem dem Zeitschriftenmarkt – ihre Reflektion finde, und so zu medienübergreifenden Forschungen geradezu einlade.
Auch der anschließende Beitrag von Andreas Riessland blieb beim Medium Zeitung, mit dem Fokus auf die Werbung in den japanischen überregionalen Zeitungen. In dem Vortrag über sein in Arbeit befindliches Dissertationsprojekt ging Riessland der Frage nach, wie sich in der Zeit von 1960 bis 2000 Ideen von Nation und nationaler Identität in der Werbung für den automobilen Premium-Markt in Japan niedergeschlagen haben. Im Mittelpunkt der Präsentation standen dabei Werbekampagnen der Firmen Toyota und Daimler-Benz aus dieser Zeit, in denen die Firmen ihr Produkt in einen Kontext einbetten, der sich stark am Postulat der Existenz einer spezifisch japanischen Ästhetik und einer spezifisch japanischen Hochkultur orientiert. Abschließend stellte der Referent seine Theorie zum Zusammenspiel von Marktdenken und Ideologie zur Diskussion, mit der Frage, inwieweit die ideologische Dimension solcher Kontexte zwar für die Werbetreibenden (von der Absatzförderung abgesehen) ohne jede Relevanz ist, beim angesprochenen Zielpublikum aber durch ihre massenweise Reproduktion im Alltag zu einer Affirmation und Konsolidierung dieser Ideologien führt.
Die Repräsentation von China, Taiwan und Hong Kong in japanischen Fernsehdramen und Kinofilmen war das Thema des Vortrags von Griseldis Kirsch. Hierin stellte sie die Ergebnisse der Dissertation ‚Dreams or Nightmares? Representations of the People’s Republic of China, Taiwan and Hong Kong’ vor, die im Juni 2008 an der Universität Trier abgeschlossen wurde. Laut Kirsch kam es in den 1990er Jahren zu einem spürbaren Anstieg der Thematisierung Asiens in den visuellen japanischen Medien. Eine Vorreiterfunktion erfüllte hierbei der Kinofilm: Regisseure und Produzenten wandten sich vermehrt Themen mit Asienbezug zu und die Anzahl asiatischer Charaktere stieg. Einige Zeit später wiederholte sich dieses Phänomen im Genre Fernsehdrama, das durch seine gesamte Geschichte hinweg eher als ‚japanzentriert‘ gegolten hatte. Somit sei es in beiden Bereichen zu einer Art ‚Asienboom‘ gekommen. Eine wichtige Rolle innerhalb dieses Asienbooms hätten dabei die Volksrepublik China, Taiwan und Hongkong gespielt, so dass es von besonderer Bedeutung sei, die Konstruktionen Chinas in den beiden Genres genauer zu betrachten. Hinzu komme, dass die Beziehungen zwischen Japan und der Region keineswegs als ungetrübt zu bezeichnen seien, was die Repräsentationen der Begegnung mit China an politischer Brisanz gewinnen lasse.
Bei der Analyse von 30 Fallbeispielen aus den Jahren 1989 bis 2005 arbeitete Kirsch drei Pattern der Repräsentation heraus: China als ‚Horrorvision‘ für Japan, China als Projektion von ‚Heilung‘ für japanische Figuren bzw. China als ‚international‘. Im ersten Pattern würden China, Taiwan und Hongkong durch das Aufgreifen der Thematik des gaikokujin hanzai (Verbrechen, die von Ausländer/innen in Japan begangen werden) als bedrohlich für Japan konstruiert, während im zweiten die Begegnung mit China zu einer Neudefinition des Lebenswegs der oftmals als lethargisch und ziellos gezeichneten japanischen Charaktere führe. Im letzten Pattern jedoch werde China als international gezeichnet – während in den ersten beiden Pattern chinesische Charaktere oft auf den ersten Blick als solche zu erkennen waren, komme es nun innerhalb dieses Patterns zu einer häufigeren Verwendung der englischen Sprache und das Setting sei nicht mehr ausschließlich auf China, bzw. Japan beschränkt. Es werde vor allem eine jüngere Generation dargestellt, die sich somit nicht nur jenseits nationaler Zuschreibungen im ‚internationalen Raum‘ begegne, sondern auch jenseits eventueller durch Japans Kriegsvergangenheit auftretender Probleme.
Katrin Gengenbach stellte ihr Dissertationsprojekt zu „Diskursen über Konsum (und Luxus) im Japan der Nachkriegsdekade, 1945-1959“ vor, welches als Foucaultsche Diskursanalyse der sozialen Formationen über Konsum danach fragt, wie Distinktion, Identitäten und kultureller Konsum in den Nachkriegsjahren gebildet wurden. Materialgrundlage der Arbeit sind Zeitschriften, GHQ Records, Sozialstudien und Interviews. Ausgangsthese der Arbeit ist, dass ein hegemonialer Diskurs wie der der Mittelschicht zu einer bestimmten Zeit zwar hegemonial werden könne, aber nur dadurch, dass andere marginalisiert würden. Gengenbachs Überlegung ist, dass diese Zeit im transnationalen Komplex mit „Amerika“ eine „Identitätskrise“ sowie im Kontext von Armut und Luxus eine Formationsphase von „gutem“ und „schlechtem“ Konsum darstellt. Der Vortrag selbst beschrieb zum einen das Problem der Wahrnehmung von Armut und der Konstruktion von und Debatte um Unterschichten, zum zweiten, dass die Bemühungen zur „Überwindung der Armut“ um einen Lebensstandard sehr schnell zu Bemühungen um einen Lebensstil wurden. Drittens sei zu diesem Lebensstil eine weitere Grenze konstruiert worden, die als Ursache der Ungleichheit und als Negativfolie des Konsums eine bestimmte Rolle in dieser Logik der Differenzen (Bourdieu) einnehme: die „Neureichen“. Gengenbachs Schlussfolgerung ist, dass im Japan der „transwar-Ära“ soziale Formationen und Identitäten immer exkludierend gegen das „Andere“ gebildet worden seien. Es konnte deshalb ein kultureller Standard nur etabliert werden, wenn gewisse „Rand“schichten ausgeblendet und als Nichtidentifikationsfolien für „ungleich“, „unsozial“ bzw. „undemokratisch“ und „amerikanisiert“ erachtet wurden. Beide Negativfolien „Armut“ und „Neureich“ hätten jedoch ihre eigene Ausgrenzung mit konstruiert und veranlassen Gengenbach in der Dissertation zu der Frage, ob nicht erst mit der Entstehung der „extremen“ Schichten eine Mittelschicht überhaupt erst wahrnehmbar werden konnte. In der dem Vortrag anschließenden Diskussion kamen vor allem die für die Nachkriegszeit typischen politischen Auswirkungen und sozialen Probleme der „Ausblendung“ von Schichten, politischen Akteure sowie der Arbeiter allgemein zur Sprache, wie auch die Frage, ob und wie wichtig die Stellung der Neureichen im Gesamtdiskurs sei.
Im letzten Teil der Fachgruppensitzung wurden eine abgeschlossene und eine laufende Magisterarbeit zur Diskussion gestellt. Raffael Raddatz präsentierte die Ergebnisse seiner 2008 eingereichten Magisterarbeit mit dem Titel „Die Anti-Korean Wave im Kontext der aktuellen japanischen Debatte um Jugendnationalismus“. Die Arbeit befasst sich mit antikoreanischen Anfeindungen, die in den letzten Jahren in Teilen des japanischsprachigen Internets vermehrt zu Tage traten und auch in Form der streckenweise geschichtsrevisionistischen Bestseller-Manga-Trilogie Manga Kenkanryû von Yamano Sharin, deren erster Teil 2005 erschien, „offline“ für einiges Aufsehen sorgten.
Diese Entwicklung kann laut Raddatz zum Teil als eine Art Gegenreaktion auf den Erfolg südkoreanischer Popkultur in Japan (Korean Wave) in den vergangenen Jahren aufgefaßt werden. Gleichzeitig lasse sich diese Anti-Korean Wave in den größeren Kontext einer seit geraumer Zeit schwelenden Debatte um wachsenden Nationalismus unter Japans Jugend (wakamono no ukeika) einordnen, in deren Verlauf die antikoreanischen Ressentiments sowie vergleichbare chauvinistische Auswüchse wohl auch aufgrund ihres verstärkten Auftretens in populären „Jugendmedien“ wie Manga und Internet vorwiegend jüngeren Japanern zugeschrieben worden seien. Der in diesen Medien erkennbar werdende kulturelle Nationalismus zeichne sich dabei durch seine leichte Konsumierbarkeit aus (J-Nationalism) und scheine sich trotz vorhandener Schnittmengen zunächst von einem „klassischen“ politischen Nationalismus zu unterscheiden.
Dabei wurde in dem Vortrag auf einige Probleme bei dieser Jugendnationalismusdebatte hingewiesen, die Zweifel am angeblichen „Rechtsruck“ der japanischen Jugendlichen berechtigt erscheinen lassen. In der wenig empirisch fundierten Debatte fehle es neben klaren Definitionen auch oftmals an aussagekräftigen Studien. Die vorhandenen Studien kämen so teilweise zu widersprüchlichen Ergebnissen, wiesen methodische Schwächen auf oder zeigten im Vergleich zu Vorjahren keine Veränderungen. Trotz der Häufung rechtslastiger Inhalte in Internet und Manga in letzter Zeit, sei der „Rechtsruck“ der Jugend anhand der vorhandenen Studien nicht in letzter Konsequenz nachweisbar. Es bleibe zudem fraglich, ob wirklich primär die jüngere Generation als Urheber der Auswüchse im Internet bzw. als Konsumenten besagter Manga verantwortlich gemacht werden könne.
Abschließend ging Raddatz auch auf die in der Magisterarbeit näher untersuchte Kritik an den japanischen Massenmedien ein, die bei den sogenannten „Internet-Rechten“ (netto uyoku) sowie dem Manga Kenkanryû stark im Vordergrund stehe. Den Massenmedien werde unter anderem vorgeworfen, unangenehme Fakten über Südkorea zu verschweigen und daher „antijapanisch“ zu sein. Demgegenüber werde das Internet als ein Raum der Meinungsfreiheit und „Wahrheit“ gepriesen. Am Beispiel der netto uyoku würden dabei Polarisierungs- und Abspaltungsmechanismen aufgezeigt, die für das Internet gewissermaßen typisch seien.
„Kunstprojekte in Japan – die Entstehung eines Genres und seine kulturpolitische Bedeutung“ war das Thema des Vortrags und des laufenden Magisterprojekts von Irene Piepenbrock. Seit Beginn der 1990er Jahre sei in Japan die Verbreitung von Kunstprojekten (āto purojekto) augenscheinlich. Aus der problematischen Situation der zeitgenössischen Kunstszene in Japan erwachse der positive Impuls, künstlerische Originalität zur Lösung gesellschaftlicher Probleme heranzuziehen. Soziale Interaktion solle genutzt werden, um den Betrachter zum Teilnehmer zu erziehen bzw. um kreative Prozesse anzuregen, welche wiederum gesellschaftlichen Wandel anleiten sollten. Das Ziel dieser Kunstprojekte sei eine stärkere Identifikation der Teilnehmer mit ihrer Lebensumwelt. Eine stärkere Identifikation bedeute das Bewusstmachen von Handlungsspielräumen, vor allem gegenüber der lokalen Administration. Während diese Effekte durch den experimentellen Einsatz von Kunstprojekten nach und nach deutlich würden, gelte der Anspruch der gesellschaftlichen Intervention mittlerweile als Argument, das von Organisatoren und Unterstützern gleichermaßen zur Legitimation der Praxis herangezogen werde. Was steckt hinter dem Versuch, mit Kunst die Gesellschaft zu verändern?, lautet eine der Fragen, die Irene Piepenbrock in ihrer Magisterarbeit behandelt. Kulturell bedingte Faktoren wie auch politische Motivationen, welche zur Konjunktur der Kunstprojekte in Japan beitrugen, sollen dabei untersucht werden. Neben der Entwicklung und Form der Kunstprojekte in Japan wird dabei auch ihr globaler Kontext mit einbezogen. Anhand des Vergleichs mit der Debatte zur community art vor allem in den USA und in Großbritannien soll die ‚Politik der Kunstprojekte’ in Japan herausgearbeitet werden.