Fachgruppensitzung Kultur und Medien 2012
Die diesjährige Sitzung fand unter der neuen Leitung der Fachgruppe statt (Evelyn Schulz, Cosima Wagner, Fabian Schäfer und Urs Matthias Zachmann; siehe Vorjahresbericht) und wurde vor Ort moderiert von Fabian Schäfer (Universität Zürich) und Urs Matthias Zachmann (Universität Edinburgh).
Eingeleitet wurde die Sitzung mit einer kurzen Vorstellungsrunde der 19 Teilnehmer, in der neben dem wissenschaftlichen Werdegang auch laufende Projekte aus dem Bereich der japanbezogenen Kultur- und Medienwissenschaften vorgestellt wurden.
Der Hauptteil des Fachgruppentreffens bestand aus zwei Blöcken von jeweils zwei Vorträgen, die (vorläufige) Forschungsergebnisse von Dissertationsprojekten oder von Projekten, die im Zusammenhang mit diesen entstanden, vorstellten.
In dem ersten Vortrag berichtete Nicole Keusch (Goethe-Universität Frankfurt) über Migrationsbewegungen japanischer Prostituierter nach Übersee in dem Zeitraum zwischen 1870 und 1930. Dabei folgte die Migration der in diesem Zeitraum zeitgleich erfolgenden Migration japanischer Arbeiter, Matrosen, Unternehmer und Abenteurer nach Südostasien, Nord- und Südamerika, Australien und Afrika. Während in der bisherigen Forschung die Migration und Situation in Südostasien weitgehend gut erforscht ist, blieb die Präsenz japanischer Prostituierter in afrikanischen Stützpunkten internationaler Handels- und Seefahrtsrouten wie z.B. Sansibar weitgehend unbeachtet und war bisher nur Gegenstand von populären Darstellungen wie Filmen, halb-fiktionalen Berichten sowie Zeitungen und Zeitschriften. Aus einer kulturhistorischen Perspektive widmete sich Nicole Keusch insbesondere der Situation dieser Gruppe japanischer Prostituierter.
Der zweite Vortrag von Till Weingärtner (FU Berlin/Manchester University) behandelte die besondere Rolle von Frauen im modernen Rakugo. Diese Gattung der Unterhaltungs- und Erzählkunst ist sowohl in der Ausbildung als auch Darbietung traditionell von männlichen Darstellern dominiert. Zwar sind seit den 1970er Jahren vermehrt auch Frauen in dieser Kunst aktiv, der Anteil professioneller Rakugo-Darstellerinnen ist jedoch mit gegenwärtig ca. 5% immer noch äußerst gering. Neben der allgemein skeptischen Haltung eines an männliche Darsteller gewöhnten Stammpublikums sowie der Beharrungskräfte der nationalen Rakugo-Vereinigung sehen sich weibliche Rakugo-Meister darüber hinaus auch besonderen inhaltlichen Schwierigkeiten gegenüber. So ist das Standardrepertoire von Rakugo-Episoden sowohl inhaltlich-thematisch als auch sprachlich auf einen dezidiert männlichen Sprecher zugeschnitten, so dass weibliche Darsteller sich dieses Repertoires nur mit erheblichen Einschränkungen und Modifikationen bedienen können. Anhand von ausgewählten Fallbeispielen stellte Till Weingärtner verschiedene Strategien vor, wie erfolgreiche Rakugo-Erzählerinnen wie Tsuyuno Miyako und Kawayanagi Tsukushi dennoch eine “eigene Stimme” finden konnten.
Nach einer Pause stellte Peter Mühleder (Universität Wien) sein Dissertationsprojekt zum “neuen Akademismus” (nyū akademizumu) als mediales Phänomen im Japan der 1980er anhand zweier seiner Hauptvertreter, Asada Akira und Nakazawa Shin’ichi vor. Beide veröffentlichten im Jahre 1983 Bestseller (Asada Akira, Kōzō to chikara, 1983; Nakazawa Shin’ichi, Chibetto no Mōtsaruto, 1983), die stark von westlicher, insbesondere französischer postmoderner Theorie beeinflusst waren und von der Kritik als Ausdruck einer neuen Generation von Intellektuellen gefeiert wurden. Dieser “neue Akademismus” galt als zeitgemäße Antwort auf die Anforderungen einer (von Staat, Kommerz und Kulturindustrie) propagierten “Informationsgesellschaft” und eines “Zeitalters der Kultur”. Das wissenschaftssoziologisch angelegte Dissertationsprojekt geht vermittels der von Reiner Keller entwickelten Diskursanalyse den zentralen Forschungsfragen nach, welche sozialen und kulturellen Bedingungen den postmodernen Diskurs des “neuen Akademismus” in Japan während der 1980er ermöglichten und welche veränderten Arbeits- und Verbreitungsprozesse bei der Wissensproduktion daraus hervorgingen.
In dem letzten Vortrag stellte Tobias Weiss (Universität Zürich) sein Dissertationsprojekt zum Einfluss der neuen Medien auf das Mediensystem und die Zivilgesellschaft anhand der Berichterstattung und Anti-Atomkraftbewegung nach dem Atomunfall von Fukushima vor. So hat die Berichterstattung über den Unfall selbst wie auch die darauffolgende Anti-Atomkraftbewegung einmal mehr die Schwächen und Missstände des etablierten Medienwesens in Japan mit seinen Informationskartellen, der Beherrschung durch ökonomische Interessen sowie ihrer gefährlichen Nähe zu Regierung und Verwaltung offenbart. Diese Missstände haben traditionell zu einer tendenziellen Berichterstattung über Atomenergie geführt, die die Risiken ignorierte und Gegner von Atomenergie marginalisierte. Neue Informationsforen und Medien wie Blogs, Twitter und Facebook bieten der Anti-Atomkraftbewegung jedoch Möglichkeiten, jenseits konventioneller Medien ein größeres Publikum zu erreichen. Ziel des Dissertationsprojektes ist die Beantwortung der Frage, ob die neuen Medien das Informationskartell tatsächlich öffnen und zu einer Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft in Japan beitragen können.
Die Vorträge boten Anlass für ausführliche und anregende Diskussionen. Die Sitzung der Fachgruppe “Kultur und Medien” 2012 endete mit einer Einladung an alle TeilnehmerInnen, auch zukünftig Abschlussarbeiten und Projekte im Rahmen der kommenden Fachgruppensitzungen zu präsentieren.
Urs Matthias Zachmann