Fachgruppensitzung Politik 2001
Die Fachgruppensitzung war in diesem Jahr mit über 20 Personen aus verschiedenen Fachrichtungen sehr gut besucht; erfreulich war vor allem auch, dass sich neue interessierte Mitglieder einfanden, die auch in Zukunft herzlich willkommen seien.
Das Programm umfasste vier Vorträge aus den Sparten Innen- und Außenpolitik Japans sowie einen Beitrag zu einem Online-Textbook-Projekt an der Universität Dresden.
1) Dissertationsvorhaben „Spillover des akademischen Diskurses auf die Reformdebatte unter Politikern“ von Karin Adelsberger
Den Beginn gestaltete Karin Adelsberger (Uni Duisburg) mit einer Darstellung ihres Dissertationsvorhabens zur politischen Reformdebatte in Japan. Die Arbeit befindet sich in einem Stadium, in dem noch einige Weichen gestellt werden können, so dass K. Adelsberger vor allem das Problem darlegte, einen geeigneten theoretischen Rahmen und methodische Wege zur Beantwortung ihrer zentralen Frage zu finden: Wie vollzieht sich die Diffusion von politischen Reformideen aus der Wissenschaft in die Politikformulierung und politische Entscheidungsfindung? Diese „blackbox“ der Beeinflussung ist in bisherigen Arbeiten noch nicht behandelt worden. Als konkrete Fallbeispiele zur Untersuchung dieser Frage sind die Wahlreform von 1994 und die administrative Reform von 1998 ausgewählt worden. Die Diskussion zeigte, dass das Thema eine Reihe von Fragen aufwirft, die weit über den zunächst naheliegenden Gedanken an shingikai, think tanks und ähnliche Gremien und Einrichtungen hinaus gehen. Da es eine Schnittstelle von öffentlichem bzw. akademischem Diskurs und policy-bezogener politischer Entscheidung betrifft, lässt die theoretische Einbettung viele Anknüpfungspunkte an bestehende Untersuchungsansätze zu. Allerdings existiert kein theoretischer Ansatz, der problemlos im eins-zu-eins-Format auf die Fragestellung der Arbeit anwendbar wäre.
2) Abgeschlossene Dissertation „Sozialstrukturelle Cleavages, Parteien und Wähler in Japan“ von Carmen Schmidt
Die ab sofort im Buchhandel erhältliche Dissertation (Sozialstruktur und politisches System in Japan, Marburg: Tectum, 2001. ISBN 3-8288-8326-5. DM 49,90 = ca. 25 Euro) von Carmen Schmidt (Uni Heidelberg) befasst sich mit dem Zusammenhang von Parteienentwicklung und Wahlverhalten unter Zuhilfenahme des cleavage-Ansatzes von Lipset und Rokkan. Die Arbeit thematisiert den Problemzusammenhang zwischen der Sozialstruktur der japanischen Gesellschaft und dem politischen System des Landes. Die von der Referentin durchgeführte Untersuchung ergab eine deutliche Tendenz zur Abkopplung des politischen Systems von den gesamtgesellschaftlichen Strukturen, womit eine demokratische Repräsentation zunehmend weniger gewährleistet zu sein scheint. C. Schmidt stellte heraus, dass sie den in den westlichen Sozialwissenschaften so gängigen cleavage-Ansatz als ein dynamisches Untersuchungsmodell auffasst. Dadurch wird es möglich, auch in Bezug auf die in vielerlei Hinsicht besonderen Verhältnisse der japanischen Politik mit diesem Ansatz zu arbeiten. Bemerkenswert ist in diesem Kontext, dass die Arbeit dazu beiträgt, einige „alte Zöpfe“ der japanbezogenen Politikwissenschaft abzuschneiden, so beispielsweise die in den 1980er Jahren sehr populär gewordene Designation der Liberaldemokratischen Partei (LDP) als einer „catch all“-Partei. C. Schmidt legte die Ergebnisse ihrer detaillierten Studie für alle sehr überzeugend dar und stellte mit ihrer Dissertation ein Werk vor, das eine Lücke in der politikwissenschaftlichen Japanforschung füllt.
3) Im Abschluss begriffene Dissertation „Japans Sicherheitspolitik ‚made in Okinawa‘“ von Gabriele Vogt
Gabriele Vogt (Unis München und Hamburg) leitete mit ihrem Dissertationsthema über zum Bereich Außenpolitik/internationale Beziehungen. Am Beispiel ihrer Untersuchung über die Beziehungen zwischen Tokyo, Washington und Naha legte sie die Problematik einer nationalen Sicherheitspolitik dar, die nicht nur gemäß nationaler Interessen formuliert werden kann, sondern auch regionale Interessen, die u.U. erheblich von den zentralstaatlich-nationalen abweichen, beachten muss. Besonderes Augenmerk schenkt die Arbeit von Vogt der Friedensbewegung auf Okinawa, die anti-amerikanisch inspiriert ist und äußerst Tokyo-kritisch argumentiert. Gleichzeitig speist sich das Wir-Gefühl der Bewegung aus einer historisch hergeleiteten kulturellen Identität. Mit ihrer Untersuchung der internationalen und intranationalen Interessen und Interdependenzen, die Japans Sicherheitspolitik bestimmen, legt Vogt eine Arbeit vor, die vor allem auch für die vergleichende Politikwissenschaft ein gutes Fundament bereitet. Erfreulich ist überdies auch, das Konzept der cultural identity einmal auf eine substaatliche Region anstatt, wie so häufig geschehen, auf ganz Japan als Nationalstaat mit einer besonderen kulturellen Identität angewandt zu finden.
4) „Online-Textbook“ für eine Einführung in das politische System Japans. Ein Lehr- und Forschungsprojekt an der Universität Dresden unter Leitung von Anja Osiander
Im letzten Beitrag zur Fachgruppensitzung stellte Anja Osiander (TU Dresden) Überlegungen zu einer internetgestützten Einführung zum Thema „Politik in Japan“ vor. „Das Internet verändert die Lehre zu Politik in Japan“ – ausgehend von dieser Grundthese wurden didaktische Konsequenzen sowie technische Möglichkeiten erörtert und wurde eine erste Probeversion für den konsequenten Einsatz des Internet in einem Einführungskurs zu Politik in Japan vorgestellt. Diese sogenannte „gamma-Version“, im Sommersemester 2001 erstmals erprobt, stützte sich auf kursbegleitende Webseiten mit einem Seminarplan, kurzen einführenden Texten zu jeder Sitzung, Hinweisen auf Primär- und Sekundärliteratur sowie eine Sammlung von Fragen (der Studierenden) und Antworten (der Dozentin). Alle Sitzungen wurden per e-mail-Austausch zwischen der Dozentin und den Studierenden vorbereitet. Mit Hilfe der Webseiten und des e-mail-Austausches konnten die Sitzungen besser auf Interessenschwerpunkte wie Kenntnisstand der Studierenden abgestimmt werden. Die „gamma-Version“ soll bis zum Wintersemester 2003/4 zu einer „alpha-Version“ weiterentwickelt werden, die die technischen Möglichkeiten des Internet und entsprechende didaktische Konzepte konsequent umsetzt. Den Rahmen dafür bietet ein BMBF-gefördertes Projekt zur Entwicklung von Modellen für multimediales und vernetztes Lernen. Für diese Entwicklungsarbeit sind Kooperationen willkommen. Wer Interesse hat, setze sich bitte direkt mit Anja Osiander in Verbindung.
Alle Beiträge wurden lebhaft diskutiert und boten ausreichend Stoff, um in den nachfolgenden Kaffeepausen weiter debattiert zu werden. Der Ablauf der Fachgruppensitzung gewann vor allem durch die Tatsache Zuspruch, dass alle Referentinnen den Zeitplan exakt einhielten und ihre Vortragsinhalte in konziser und gleichwohl anregender Form präsentierten. Besonders erfreulich war das nicht zuletzt aufgrund der Qualität der Beiträge erfolgende Angebot von Frau Prof. Foljanty-Jost, die schriftlichen Versionen in einer von ihr editierten Ausgabe der Zeitschrift ASIEN zu veröffentlichen. Im Namen der Fachgruppe hierfür herzlichen Dank! – Die Fachgruppen der VSJF verstehen sich als Foren, in denen im Unterschied zu den Plenumsdiskussionen über methodische und theoretische Fragen, die in den meisten sozialwissenschaftlichen Arbeiten über Japan zu den „Knackpunkte“ gehören, diskutiert werden kann. Diese wichtige Funktion der Fachgruppe kam auch in diesem Jahr zum Zuge und wurde durch die rege Teilnahme von Studierenden und Doktoranden bestätigt. Für die Jahrestagung 2002 sei hiermit auch bereits ein call for papers und die herzliche Bitte an alle Interessierten ausgesprochen, ihr „work in progress“ oder auch ihre abgeschlossene Arbeit in der Fachgruppe vorzustellen.