Fachgruppensitzung 2013

Beim diesjährigen Treffen der Fachgruppe „Politik“, das im Rahmen der Jahrestagung der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung am 23. November 2013 in Berlin stattfand, wurden sechs laufende Forschungsprojekte auf Promotions- bzw. Postdoc-Ebene präsentiert. Jeweils drei der vorgestellten Projekte behandelten Fragen von internationaler Migration nach Japan bzw. die politische Dimension des Themenbereichs Essen und Ernährung in Japan. Die Vorträge wurden entsprechend in Panels gruppiert und in ihren gemeinsamen Kontexten lebhaft diskutiert. Die Fachgruppensitzung fand in englischer Sprache statt.

Ayako KOMINE (FU Berlin, Postdoctoral Fellow) eröffnete den Block von Migrationsstudien mit ihrem Vortrag unter dem Titel „Becoming a Non-Immigration Country with Denizens“. Komine definitere dabei denizens allgemein als Siedler mit einem ausländischen Pass, die sich dauerhaft in einem Land niederlassen. In ihrem Vortrag argumentierte sie, dass Japan, obgleich die offizielle Rhetorik noch immer von einem Nicht-Immigrationsland spricht, in der Zwischenzeit von einer wachsenden Zahl an Ausländern als Zielland ihrer persönlichen Migrationsgeschichte ausgewählt worden ist. In vielerlei Hinsicht sei Japan zwar in der Tat kein Immigrationsland – so z.B. im historischen, demografischen oder auch wirtschaftlichen Sinne – doch stünden dem einige neuere Entwicklungen entgegen, die es erlaubten, die Rhetorik des Nicht-Immigrationslandes, wie sie insbesondere von Japans Justizministerium hochgehalten wird, zumindest anzuzweifeln. Dazu zählten etwa das neu eingeführte Punktesystem bei der Visumsvergabe für Hochqualifizierte, welches mittelfristig zu einer Daueraufenthaltserlaubnis führt, ebenso wie Initiativen zur sozialen Integration auch von niedrig-qualifizierten Arbeitskräften und die generelle Neuregelung der Administration von Belangen der ausländischen Bevölkerung, die von der Meldung des Wohnorts bis zum Zugang zu den Sozialsystemen reicht. Nach Komine steht damit das Konzept von denizenship im Zentrum einer japanischen Zuwanderungspolitik – die es zwar als solche offiziell nicht gibt, die aber dennoch sehr konkrete realpolitische Ergebnisse hervorbringt.

Daniel KREMERS (Universität Halle-Wittenberg, Doktorand) schloss an mit einem Referat unter dem Titel „The Impact of NGOs on Immigration Policy Making Process and Reforms – Tipping the Scales through Advocacy“. Im Zentrum des Forschungsinteresses steht der Einfluss, den Gruppen, die als Interessenvertreter für Migranten aktiv werden, im politischen Prozess ausüben können. Vordergründig ging es um die Frage, wie es diesen Gruppen gelingt, einen Gesinnungswandel bei den entscheidenden Akteuren des Politikfeldes – allen voran den Ministerien für Justiz, Arbeit und Wirtschaft – hervorzurufen. Exemplarisch wurden die Reformen an Japans internationalem Praktikantenprogramm (Industrial Training and Technical Internship Program, IT-TIP) von 2009 herausgegriffen. So sind seit dem Inkrafttreten der neuen Regelungen 2010 internationale Praktikanten unter dem IT-TIP z.B. bereits vom ersten Jahr an (und nicht wie bisher erst ab dem zweiten Jahr) arbeitsrechtlich geschützt. Damit wurde eine der zentralen Forderungen der zivilgesellschaftlichen Gruppen umgesetzt. Kremers zeichnete in seiner Präsentation über den Zeitraum von einer Dekade nach, welche konkreten Forderungen der advokatorischen Gruppen – z.B. Mindestlohn, Überstundenvergütung etc. – sich ab wann in den Positionen der zentralen Ministerien wiederfinden. Kremers schloss mit dem Argument, dass zivilgesellschaftliche Gruppen wie z.B. Ijūren den politischen Prozess in der Tat beeinflussten. Darüber hinaus argumentierte er, dass die oft besungene duale Struktur der japanischen Zivilgesellschaft (Pekkanen, 2006) lediglich eine pragmatische Arbeitsteilung der Aktivistengruppen widerspiegele, nicht aber von einer Schwäche der japanischen Zivilgesellschaft zeuge.

Ruth ACHENBACH (Universität Hamburg, Doktorandin) beschloss das erste Panel mit ihrer Präsentation unter dem Titel „Shifting Priorities: Migration Decisions of Highly Skilled Chinese in Japan in the Life Course“. Achenbach stellte die Frage, welche Faktoren die Migrationsentscheidung von hochqualifizierten Chinesen in Japan beeinflussen. Die Studie basiert auf mehr als einhundert qualitativen Interviews (aus 2011 und 2012) mit hochqualifizierten Chinesen in Japan bzw. auch mit Rückkehrern in China. Zur Beantwortung der Frage stützt sich Achenbach auf Ansätze aus den Migrationsstudien ebenso wie aus der Lebenslaufforschung. Ein allgemein anwendbares Analysemodell, das die besonderen Umstände der vorliegenden Fallstudie – die Remigration innerhalb der Migrationsregion Asien einerseits sowie China und damit eine aufstrebende Industriemacht als Zielland andererseits – abbilden könnte, existiert bislang nicht und soll im Zuge dieses Promotionsprojekts erarbeitet werden. Achenbach definierte bislang die Bereiche Familie, Karriere und Lebensstil als zentrale Themen bei der Abwägung von Migrationsentscheidungen; in der zeitlichen Dimension der Lebenslage wurde unterschieden zwischen tatsächlichen Ereignissen und antizipierten Entwicklungen. Als erste Hypothesen kristallisierte sich heraus, dass sich die Hierarchie der genannten Themenbereiche im Lebenslauf zwar verändert, dass aber generell Aspekte des Familienlebens einflussreicher als die Bereiche Karriere und Lebensstil sind. Zudem wurde deutlich, dass eine Rückkehr nach China unwahrscheinlicher wurde, je länger die Migrationserfahrung in Japan andauerte.

Das zweite Panel zum Themenbereich Essen und Ernährung eröffnete Stefanie ASSMANN (Universität Akita, Associate Professor) mit ihrem Vortrag zu „Political Purpose and National Identity: The Food Education Campaign in Japan“. Dabei stellte Assmann insbesondere die Frage, welche politischen Ziele die Regierung mit ihrer shokuiku-Kampagne verfolgt und demonstrierte anhand verschiedener Beispiele, dass diese nicht ausschließlich darauf abzielt, ernährungsphysiologisch „schlechten“ Essgewohnheiten wie dem Weglassen des Frühstücks durch Aufklärung entgegenzuwirken und so den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern. Im Rahmen der Kampagne wird vielmehr japanisches Essen basierend auf einheimischen Zutaten (Reis etc.) als wichtiger Bestandteil einer gesunden Ernährung visualisiert und so die japanische Ernährungsweise als besonders hochwertig dargestellt. Diese Erkenntnis setzte Assmann zu Bemühungen der Regierung in Bezug, Japans Selbstversorgungsrate im Bereich Lebensmittel und damit auch das Niveau der Ernährungssicherung deutlich zu steigern. Hierzu dienen etwa die Durchführung regionaler food fares oder auch „Food Action Nippon“, eine Initiative des Landwirtschaftsministeriums (MAFF). Die shokuiku-Kampagne stellt sich in diesem Zusammenhang als Teil einer nationalen Agenda zur Stärkung einer spezifisch japanischen Ernährungsweise auf der Basis heimischer Lebensmittel dar und nicht als schlichtes Bemühen zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit.

Nadine VOGEL (FU Berlin, Doktorandin) widmete sich in ihrem Vortrag dem Thema „Social Entrepreneurship in Japan – The Case of Foodbanking“. Während eine klare Definition des Begriffs social enterpreneurship nicht vorliegt, verstand ihn Vogel als soziale Aktivitäten im Markt, an denen Non-Profit Organisationen, soziale Einrichtung sowie (soziale) Unternehmen partnerschaftlich teilnehmen, wobei ihre Motive unterschiedlich sein können. Anhand ihrer explorativen Fallstudie zu Lebensmitteltafeln in Tokyo griff sie die Frage auf, wie social entrepreneurs Innovationspotential entfalten. Dabei stellte sie einerseits die Prozesskette vom Aufkommen einer innovative Ideen über die Umsetzung derselben bis hin zur Diffusion der innovativen Idee sowie andererseits die daran beteiligten Akteure in den Mittelpunkt der Untersuchung. Lebensmitteltafeln sind in Japan erst seit gut einer Dekade vorzufinden, doch lassen ihnen mittlerweile mehr als 500 Unternehmen ihre Unterstützung zukommen. Teils sind diese auch in einer „Food Donor Alliance“ organisiert, die darum bemüht ist, Lebensmitteltafeln (und ihre Verbreitung) zu fördern sowie Standards für Lebensmittelspenden zu sichern. Im Rahmen ihrer Feldforschungsphase hat Vogel ein Praktikum bei einer Lebensmitteltafel in Tokyo absolviert, mit verschiedenen Akteuren Interviews durchgeführt und eine Dokumentenanalyse vorgenommen. Letztlich möchte sie anhand ihrer Untersuchung ein Modell zur sozialen Innovation herausarbeiten. Erste Teilergebnisse deuten darauf hin, dass in Japan unterschiedliche Akteure an der Schaffung der Lebensmitteltafeln beteiligt sind und gemeinsam als social entrepreneurs fungieren. Soziale Innovation wird also nicht von einem einzigen social entrepreneur betrieben, sondern ist als kollektives Entrepreneurship zu verstehen, am dem auch Profit-orientierte Unternehmen beteiligt sind.

Cornelia REIHER (Universität Halle-Wittenberg, Postdoktorandin) schloss das zweite Panel mit ihrem Referat über „Food Safety and the Discourse against the Trans-Pacific Partnership in Japan“. Der Vortrag befasste sich mit dem innerjapanischen Diskurs über Nahrungsmittelsicherheit, der nach dem Entschluss der Regierung, Verhandlungen zur Mitgliedschaft im Trans-Pacific Partnership (TPP) aufzunehmen, auf Seiten japanischer Produzenten und Konsumenten an Intensität gewonnen hat. Der Ausgangspunkt der Ausführungen lag im Verweis auf die in Japan weit verbreitete Behauptung, dass im eigenen Land produzierte Nahrungsmittel „sicherer“ seien als importierte Ware und Japans Beitritt zum TPP die Nahrungsmittelsicherheit daher nachhaltig gefährden würde. Reiher stellte heraus, dass viele Akteure der Anti-TPP Bewegung insbesondere die USA (TPP-Beitrittskandidat) als negativen Bezugspunkt wählen, um vor einer Lockerung der Deklarationspflicht für Nahrungsmittelzusätze und einer Abschwächung des in Japan strikten Reglements für genetisch veränderte Nahrungsmittel zu warnen. Während sich aufgrund der entsprechenden Diskurse eine breite Allianz von japanischen Konsumenten und Produzenten gegen einen TPP-Beitritt formiert, wiesen Reihers Interviews und die von ihr durchgeführte Dokumentenanalyse darauf hin, dass die beteiligten Akteure dabei unterschiedliche Interessen verfolgen. So geht es dem „Japan Family Farmers Movement“ um die weitere Abschottung des japanischen Marktes für bestimmte Agrarprodukte, der „Consumers Union of Japan“ eher um Beibehaltung des in Japan angeblich hohen Levels an Nahrungsmittelsicherheit. Reiher stellte jedoch klar, dass die Beschreibung japanischer Lebensmittel als besonderes sicher keinesfalls der Realität entspricht (und hier vielmehr Vorurteile instrumentalisiert würden). Gleichzeitig arbeitete sie heraus, dass solche Fehleinschätzungen auch ein Ergebnis der undurchsichtigen TPP-Verhandlungen sind.

Verena Blechinger-Talcott (FU Berlin), Kerstin Lukner (Universität Duisburg-Essen), Gabriele Vogt (Universität Hamburg)