Fachgruppensitzung Soziologie und Sozialanthropologie 2008

In Anschluss an die Begrüßung durch die Sprecher der Fachgruppe und einer kurzen Vorstellungsrunde wurden drei Forschungsprojekte präsentiert und diskutiert. In ihrem Vortrag „Identitätsdiskurse im ländlichen Japan: Aritas Keramikindustrie in globalen Kontexten“ berichtete Cornelia Reiher (Universität Leipzig) von ihrem Promotionsprojekt, das sich mit einer der Hochburgen japanischer Keramik, der Kleinstadt Arita in Kyûshû, beschäftigt. Seit den 1990er Jahren geraten hier vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen immer mehr unter Druck, und entsprechend groß ist die Motivation, mit Verweisen auf die eigene Vergangenheit und Distanzierungen von z. B. chinesischen Billigimporten eine Sonderposition als „Heimat des japanischen Porzellans“ zu kreieren, deren Produkte schon im 17. Jahrhundert bis nach Europa exportiert wurden und sich später auch auf den Weltausstellungen wiederfanden. Reiher untersucht hierbei auf der Grundlage der Diskurstheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, welche Identitätspositionen eingenommen bzw. geschaffen werden, wogegen sich positioniert wird und welche Rolle die Globalisierung spielt, und bezieht sich sowohl auf qualitative Interviews und teilnehmende Beobachtung in eigener Feldforschung 2004-06 und 2008 als auch auf Schrift- und Bildquellen aller Art. Die lokalen Diskurse changieren zwischen der Konstruktion einer Opferrolle gegenüber der Nationalregierung und ihren Dezentralisierungs- und Fusionsstrategien, der Klage über die Wirtschaftslage, dem stolzen Traditionsbezug und der Betonung globaler Verbindungen, etwa durch den häufigen Bezug auf Meißen. Sowohl Homogenisierungs- als auch Fragmentierungsannahmen werden dabei wirksam.

Im zweiten Beitrag stellte David Georgi (Universität Duisburg-Essen) sein Promotionsprojekt über die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Fertilitätsentscheidung aus der Wahrnehmung deutscher und japanischer junger Paare vor. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage, wie staatliche Maßnahmen, die ökonomische Lage und das Verhältnis von Arbeit und Privatleben von jungen Paaren in Deutschland und Japan wahrgenommen werden und sich auf deren Entscheidung für oder gegen Kinder auswirken. Hierbei wird ein qualitativer Vergleich der beiden Gesellschaften angestrebt, welche beide im internationalen Vergleich auch für Industriegesellschaften sehr niedrige Geburtenraten aufweisen. Als Ausgangpunkt wurden im Vortrag nach einigen basalen Daten zur Fertilität in Deutschland und Japan die theoretischen Grundbausteine des Projektes (Individualisierung, Lebenslaufkonzepte und Institutionen) vorgestellt und die Ausgangsüberlegungen zu den beiden Ländern erörtert. Im Falle von Deutschland wurde hierbei die Problematik in der Diskrepanz zwischen den einerseits zunehmend destandardisierten Lebensläufen und den andererseits weiterhin sehr starren institutionellen Rahmenbedingungen angesprochen, wodurch der Kinderwunsch junger Paare nicht mehr genügend institutionell abgesichert und unterstützt wird. In Japan wird hingegen eine Diskrepanz zwischen den nach wie vor als Norm betrachteten hochstandardisierten Lebensläufen und den institutionellen Rahmenbedingungen identifiziert, da unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen Standardlebensläufe für junge japanische Paare nicht mehr in demselben Ausmaß realisierbar sind. In der anschließenden Diskussion wurden die Differenzen und Gemeinsamkeiten von Deutschland und Japan und andere mögliche Ansätze bzgl. junger Paare und Fertilität diskutiert. Auch wurden einige Fragen zum methodischen Vorgehen bei der Umsetzung der Fragestellung aufgegriffen.

Akiko Oda (University of Surrey, UK) präsentierte im dritten Vortrag einen Teil ihrer Doktorarbeit über die Einstellung von alten Männern in Japan zu ihrer Gesundheit vor dem Hintergrund ihres sozialen Rollenverständnisses. In ihrem Beitrag ging es primär um die Frage, wie sich ein verschlechternder Gesundheitszustand von alten Japanern auf ihre Identität und ihr Selbstbild auswirkt. Bei ihrer Analyse stützte sich Akiko Oda auf qualitative Leitfadeninterviews mit Betagten in Japan. Hierbei konnten einige zentrale Problembereiche bei den interviewten Männern, wie die zunehmende eigene Abhängigkeit von der Ehefrau oder das Verheimlichen des eigenen Krankheitszustandes gegenüber Dritten, identifiziert werden. Auch bestand bei den Interviewten der starke Wunsch, in der Öffentlichkeit nicht als hilfsbedürftig und/oder behindert wahrgenommen zu werden. Grundlegend wurde ein Konflikt zwischen der kulturellem Norm und dem eigenen Selbstbild als Haushaltvorsteher und den damit verbundenen Vorstellungen des Ernährers und Beschützers des Haushaltes einerseits und den zunehmenden Einschränkungen aufgrund der eigenen Krankheit(en) und körperlichen Gebrechlichkeit andererseits identifiziert. Gerade auch im Vergleich zu den gesundheitlich besser dastehenden und noch rüstigen Ehefrauen fand eine Verdrehung des Rollenverständnisses des aktiven Mannes gegenüber der passiven Frau statt, was den alten Männern zu schaffen machte. In der Diskussion wurden einige Aspekte der Genderbeziehungen in Japan aufgegriffen und Problembereiche bei qualitativen Leitfadeninterviews erörtert.

Christoph Brumann (Universität zu Köln)
David Chiavacci (Freie Universität Berlin)