Fachgruppensitzung Soziologie und Sozialanthropologie 2013
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Fachgruppenleiter, wurden in diesem Jahr fünf Projekte vorgestellt. Da die Fachgruppensitzung mit zwischen 25-30 Teilnehmern sehr gut besucht war, wurde auf die sonst übliche Vorstellungsrunde verzichtet. Das Treffen fand ausnahmsweise auf Englisch statt, da nicht alle Vortragenden sowie Teile des Publikums der deutschen Sprache mächtig waren.
Den Auftakt machte Jun KOBAYASHI von der Seikei Universität, Tokyo. Unter dem Titel „Getting a Longer Job: Roles of Human and Social Capital in Japan“ präsentierte er Resultate einer empirischen Analyse zum Einfluss von Bildungs- und Sozialkapital auf die Länge des ersten Jobs, die er gemeinsam mit Mei Kagawa (ebenfalls Seikei Universität) und Yoshimichi Sato (Tohoku University) durchgeführt hatte. Die Auswertung der Daten des Social Stratification and Social Mobility Survey von 2005 ergab, dass beide Kapitalformen sich positiv auf die Länge der ersten Anstellung auswirken: Universitätsabsolventen hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, länger in ihrem ersten Job zu verbleiben, als Befragte mit niedrigeren Bildungsniveaus. Ein starkes soziales Netzwerk hatte ebenfalls einen positiven Effekt auf die Länge des ersten Jobs, insbesondere bei Befragten mit niedrigeren Bildungsabschlüssen: Befragte blieben länger in Jobs, die sie auf Empfehlung von Verwandten oder Freunden gefunden hatten. Sozialkapital kann demnach helfen auf Bildungsunterschieden basierende Nachteile auszugleichen.
Als zweiter Vortragender berichtete Vitali HEIDT von der Universität Duisburg-Essen unter dem Titel „Social Risks of Aging: Elderly Care in Yamanote, Shitamachi and the Japanese Countryside“ über erste Ergebnisse seiner Feldforschung in Tokyo und Komagane/Nagano. Sein Vergleich von Altenpflegeinstitutionen im städtischen und ländlichen Raum zielt darauf ab, Unterschiede in der sozialen Integration älterer Menschen aufzuzeigen. Von September 2012 bis August 2013 hatte Heidt dafür in verschiedenen Pflegeinstitutionen gearbeitet, um so als teilnehmender Beobachter Daten für seine Dissertation zu sammeln. Er kam zu dem Schluss, dass ältere Menschen im ländlichen Raum besser über den lokalen Nachbarschaftsverband integriert sind, während ältere Menschen im städtischen Raum stärker auf institutionalisierte Pflege angewiesen sind. Dieser Unterschied schlug sich auch in der Atmosphäre der untersuchten Pflegeinstitutionen nieder.
Steve ENTRICH von der Universität Potsdam stellte in seinem mit „Students‘ Influence on Educational Decision-Making at the Transition to High School in Japan“ überschriebenen Vortrag Ergebnisse einer Sekundäranalyse des Hyōgo High School Students Survey (HHSS) von 2011 zu Entscheidungsstrategien beim Übergang von der Mittel- zur Oberschule vor. Besonders konzentrierte er sich dabei auf die Präferenzen der Schüler selbst, welche in der bisherigen Forschung kaum beachtet wurde. Seine Analyse ergab, dass die Entscheidung für eine bestimmte Oberschule von der akademischen Fähigkeit des Schülers, seiner eigenen Bildungsaspiration (stärker als der von den Eltern gehegten Bildungsaspiration), sowie von Erwartungen der Mutter über den weiteren Bildungsverlauf nach der Oberschule bestimmt ist. Die soziale Herkunft spielte dagegen bei der Entscheidung für eine hochrangige Oberschule keine signifikante Rolle. Die Analyse ist ein Teil von Entrichs Doktorarbeit.
Zu „Time, Money, and Infrastructure: Parents‘ Responses to Family Policies in Japan“ stellte Barbara HOLTHUS vom Deutschen Institut für Japanstudien (seit Dezember 2013 Universität Wien) einige Ergebnisse einer eigenen empirischen Umfrage von 2012 zu elterlichem Wohlbefinden vor (konzipiert und durchgeführt gemeinsam mit Hiromi Tanaka). Darin wurden 2000 Väter und Mütter kleiner Kinder zu verschiedenen Aspekten subjektiven Wohlbefindens befragt. In ihrem Vortrag konzentrierte sich Holthus auf eine Analyse der Zufriedenheit mit familienpolitischen Maßnahmen. Es zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der persönlichen Betroffenheit von Maßnahmen und Nutzung familienpolitischer Infrastruktur und dem elterlichen Wohlbefinden. Darüber hinaus ergab sich ein signifikanter Geschlechterunterschied hinsichtlich der Zufriedenheit mit politischen Maßnahmen, die sich auf eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf richten. Dass Frauen hier unzufriedener sind, sei angesichts der Schlechterstellung von Frauen im japanischen Arbeitsmarkt nicht erstaunlich, so Holthus.
Als letzte Vortragende berichtete Tabea BIENEK, FU Berlin, von ersten Ergebnissen ihres Dissertationsvorhabens „Generation Ikumen – Support Networks for Japanese Fathers“. Dafür führt sie seit Sommer 2013 in Japan Feldforschung durch. Ihr Interesse gilt dabei Vätern, die sich aktiv in den Prozess der Kindeserziehung einbringen. In ihrem Vortrag stellte sie die NPO „Fathering Japan“ vor, deren Aktivitäten sie gegenwärtig verfolgt und analysiert. Dabei untersucht sie, in welcher Form die NPO versucht, Väter zu unterstützen, und inwiefern solche Grassroot-Organisationen helfen können, das Bild des passiven japanischen Vaters zu verändern.
Alle fünf Vortragenden berichteten von eigener empirischer Forschung und zeigten neue, interessante Ergebnisse auf. Die intensive Diskussion über die zum Teil quantitativ, zum Teil ethnografisch/qualitativ angelegten Forschungsprojekte zeigte, dass ein reger Austausch zwischen den beiden methodischen „Lagern“ durchaus fruchtbar sein und konstruktiv zu weiterführenden Forschungsfragen leiten kann.
Dr. Carola Hommerich (Deutsches Institut für Japanstudien)