Fachgruppensitzung Soziologie und Sozialanthropologie 2012

Nach einer kurzen Begrüßung durch die Sprecher der Fachgruppe und einer Vorstellungsrunde wurden dieses Jahr vier Forschungsprojekte präsentiert und diskutiert. Als erste Referentin stellte Frauke Kempka (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg) einige Ergebnisse ihrer komparativen Studie “Vertraute Fremde. Erkenntnisse aus einer qualitativen Untersuchung individueller Wahrnehmungen von Integrationskonflikten in Japan und Deutschland” vor. In ihrem Vortrag konzentrierte sie sich auf die Auswirkungen der Rahmenbedingungen für Integrationsförderung von Migranten auf den konkreten Umgang ausgewählter Individuen mit Integrationskonflikten. Die Auswertung ihrer auf einer kleinteiligen, symmetrischen Vergleichsanalyse beruhenden Ergebnisse in Beppu (Präfektur Oita) und Halle (Saale) lassen auf einen geringen Einfluss der integrationspolitischen Strukturen auf die individuelle Ebene und auf die Vielfalt biografischer Erfahrungen als essentielle Ressource für die Etablierung konstruktiver Umgangsformen von Individuen mit Integrationskonflikten in den jeweiligen Gesellschaften schließen.

Zweiter Referent war Hanno Jentzsch von der Universität Duisburg-Essen (Risk in East Asia), der sein aktuelles Dissertationsprojekt zum Thema “Dörfliche Institutionen und der landschaftliche Reformprozess in Japan” vorstellte. Angesichts der ausgeprägten Krise des japanischen Agrarsektors vor dem Hintergrund von Überalterung, kleinen Betrieben, hohen Verbraucherpreisen und niedriger Selbstversorgung sowie einer hohen Rate an Teilzeitbauern scheint eine grundlegende Reform unvermeidlich. Nach einer kurzen Darstellung der historischen Entwicklung der japanischen Landwirtschaft beschreibt Jentzsch die Unvereinbarkeit traditioneller Kooperationsmuster mit Professionalisierung und Vermarktung und ging anschließend auf neue Kooperationsformen ein.

Nach der Kaffeepause stellten Katrin Gengenbach, Freie Universität Berlin, und Cornelia Reiher, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, ihr gemeinsames Projekt “Sozialer Protest nach Fukushima: Gegen Atomkraft und für sichere Lebensmittel!” vor. Reiher sprach über zivile Messinitiativen von Lebensmitteln als Kompensation des Mangels an Regierungskontrollen, während Gengenbach auf konsumkritische Gruppen zur Hinterfragung von gesellschaftlichen Werten wie “shiroto no ran” einging. Als gemeinsame Charakteristika der hier vorgestellten recht unterschiedlichen sozialen Bewegungen seit 2011 wurden ihre Pluralität, Heterogenität, Dezentralität und Transnationalität herausgearbeitet.

Im vierten und letzten Beitrag berichtete Kazue Haga (Universität Marburg) von ihrem wirtschaftswissenschaftlichen Projekt zum Thema “Innovationsdynamik in alternden Gesellschaften – Fallstudien aus Japan”. Insbesondere in Kommunen abseits großer Städte sind wirtschaftliche Selbständigkeit, demographisches Altern der Einwohner und kommunale Entwicklung eine ernstzunehmende Herausforderung. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus empirischen Untersuchungen zeigen trotz demographischer Entwicklungen wie Abwanderung und Überalterung eine Erhöhung von körperlichen und geistigen Fähigkeiten in höheren Altersgruppen. Eine Verschiebung von Wissensproduktion und Innovationsleistung in Gruppen höheren Alters ist zu beobachten. Haga ging der Frage nach, ob sich diese erhöhte Innovationsfähigkeit im höheren Alter mit regionaler Entwicklung verknüpfen lässt und ob es in der Empirie Beispiele unternehmerischen Seins in hohem Alter gibt. Weiterhin stellte sie Modelle vor, in deren Rahmen ältere Einwohner durch innovative Ansätze komparative Vorteile bzw. Kernkompetenzen, die Großstädte nicht besitzen, generieren können und dadurch zu einer Wertschöpfung in ihrer lokalen Wirtschaft sogar ohne Subventionen und Regierungsunterstützung beitragen können. Theoretisch bezog sich Haga auf Joseph Schumpeters Begriff des “schöpferischen Antwortens”, wobei sie argumentiert, dass eine (chronologisch) alternde Gesellschaft aus sich selbst heraus, “endogen” (Schumpeter), Entwicklungsimpulse erzeugen kann.

Dr. Susanne Klien (Deutsches Institut für Japanstudien, Tokio)