Fachgruppensitzung Stadt- und Regionalforschung 2006

Die Sitzung der Fachgruppe Stadt- und Regionalforschung fand leider nicht statt, da es keine Nachfrage gab. Offenbar waren die angekündigten Themen zur Stadt- und Regionalforschung den Teilnehmer(inne)n der Jahrestagung zu wenig attraktiv – jedenfalls im Vergleich zu den Angeboten der anderen Fachgruppen. Die Referenten warteten vergeblich.

Folgende Vorträge standen auf dem Programm:

PD Dr. Ralph LÜTZELER, Forschungsstelle Modernes Japan der Universität Bonn: Aspekte der regionalen Bevölkerungsentwicklung in Japan während der frühindustriellen Phase (1886–1913)

Kurzfassung: Während die gesamtjapanische Bevölkerungsentwicklung von der Meiji-Restauration bis zur ersten modernen Volkszählung 1920 in ihrem Verlauf und den hierfür verantwortlichen Faktoren seit den Arbeiten der Forschergruppe um HAYAMI Akira am Kokusai Nihon Bunka Kenkyû Sentā weitgehend geklärt ist, gibt es bislang kaum Untersuchungen, die demographische Veränderungen während dieser Zeit flächendeckend auf der regionalen Ebene behandeln. Solche erscheinen jedoch als unverzichtbar, um ein vollständiges Bild der Bevölkerungsentwicklung dieser Zeit zu erhalten, da auf gesamtstaatlicher Ebene aggregierte Tendenzen oft nur wenig aussagekräftige Mittelwerte darstellen, was letztlich zu völlig verzerrten Interpretationen der gesamten historischen Epoche führen kann.

Als Auftakt zu einem möglichen mittelfristigen Forschungsprojekt wird im Vortrag die Mortalitäts- und Fertilitätsentwicklung nach Präfekturen zwischen den Jahren 1886/87 (Ende der Matsukata-Deflationspolitik und zugleich Beginn einer verlässlicheren Bevölkerungsstatistik) bis zum Jahr 1913 (letzte umfassende Prä-Zensus-Erhebung und in etwa Ende der frühindustriellen Phase in Japan) analysiert. Dabei geht es um die Frage, ob die regionale Entwicklung den Veränderungen auf der gesamtstaatlichen Ebene weitgehend entspricht oder ob wir insbesondere in den städtischen Regionen schon vor den 1920er Jahren ein signifikantes Absinken von Mortalität und Fertilität beobachten können. Das Vorhaben soll damit einen Beitrag zur Erforschung der Auswirkungen von Industrialisierung auf die gesellschaftliche Entwicklung Japans zu Beginn der Modernisierung leisten.

Prof. Dr. Winfried FLÜCHTER (Universität Duisburg-Essen, Institut für Geographie und Institut für Ostasienwissenschaften): Schrumpfende und alternde Städte: Herausforderungen für die Zukunft Deutschlands und Japans

Kurzfassung: Schrumpfung bedeutet nicht nur Bevölkerungsrückgang (durch natürliche Abnahme und Abwanderung), sondern stellt ein kumulatives Problem dar: Alterung (und dann auch Feminisierung) der Bevölkerung, Arbeitslosigkeit bzw. Rückgang der Arbeitsplätze (oft Auslöser der Bevölkerungsabnahme), Abnahme der Wirtschafts- und Kaufkraft. Städtische Schrumpfungsprozesse sind Anfang des 21. Jahrhunderts ein weltweit zu beobachtendes Phänomen: Ein in der Geschichte der Menschheit beispielloser Vorgang.

Der Vergleich zwischen Japan und Deutschland reizt durch die extremen demographischen Herausforderungen, auf die beide Länder antworten müssen: Außerordentlich niedrige Fruchtbarkeit, hohe Überalterung, Schrumpfung der Bevölkerung in einem langen und vor allem in Japan dramatisch schnellen Prozess. Was im ländlich-peripheren Raum schon seit eh und je zu beobachten ist, gilt längst auch für sehr viele Städte. Was vorerst nur für Städte bestimmter Größe und Regionen zutrifft, droht langfristig landesweit. Am Beispiel der in Japan besonders betroffenen Bergbauregion Sorachi (Hokkaidô) sollen die Probleme der Aufrechterhaltung einer nachhaltigen sozialen Infrastruktur verdeutlicht werden.

Der Vortrag will Ursachen, Anpassungsstrategien und Handlungsoptionen aufzeigen, dies nicht nur pragmatisch, sondern auch im theoretischen Diskurs. „Wandel ohne Wachstum“ war bisher kaum vorstellbar, „Schrumpfung“ ausschließlich negativ konnotiert, politisch-praktisch nicht akzeptabel, in der Theorie erst in Ansätzen erkennbar. Das in den Industrieländern lange vorherrschende fordistische Modell bedeutete für die Stadtentwicklung klassische Wachstumsplanung: Ständige Zunahme der Bevölkerung, der Arbeitsplätze, des Wohnungsneubaus. Dieses Modell ist dabei, durch ein postfordistisches abgelöst zu werden: Nachhaltige Bestandsentwicklung, die Schrumpfung nicht nur als Problem, sondern auch als Chance versteht.

Literatur:
Oswalt, Philipp (Hrsg.): Schrumpfende Städte. Band 1, Internationale Untersuchung. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2004.
Oswalt, Philipp (ed.): Shrinking Cities. Vol. 1, International Research. Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz 2005.
Oswalt, Philipp (Hrsg.): Schrumpfende Städte Band 2 Handlungskonzepte:. Ostfildern: Hatje Cantz 2005.
Oswalt, Philipp und Tim Rieniets (Hrsg.): Atlas der schrumpfenden Städte / Atlas of Shrinking Cities. Ostfildern: Hatje Cantz 2005.

Univ.-Prof. Dr. Winfried Flüchter (Universität Duisburg-Essen)