Fachgruppensitzung Stadt-und Regionalforschung 2011
Die Jahrestagung 2011 der Vereinigung für Sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF) zum Thema „Ethics“ fand vom 25. bis 27. November 2011 in Ludwigshafen am Rhein statt. Zu den Folgen der Natur- und Reaktorkatastrophe in Japan vom 11. März 2011 veranstaltete die Fachgruppe Stadt- und Regionalforschung in Kooperation mit der Fachgruppe Politik am 26. November eine Paneldiskussion. Über den Kontrollverlust des Kernkraftwerks Fukushima und die akute Strahlenbelastung hinaus wird die Katastrophe sicher auch langfristige Folgen haben, denn sie hat das Vertrauen der Bevölkerung in eine bisher weithin akzeptierte Großtechnologie erschüttert und berührt Fragen des Naturgefahrenmanagements ebenso wie der langfristigen Energiesicherheit des Landes.
In ihrem Beitrag thematisierten Kerstin Lukner und Alexandra Sakaki (Duisburg-Essen) zunächst das Fukushima-Krisenmanagement der Demokratischen Partei Japans (DPJ) und die wesentlichen Gründe für das schwierige Verhältnis zwischen den verantwortlichen Akteuren. Sie wiesen vor allem auf Blockaden durch Misstrauen und mangelnde Kooperation zwischen den Akteuren hin und beleuchteten, wie sich die problematischen Beziehungen auf das nukleare Krisenmanagement der Kan-Regierung auswirkten. So beklagten japanische Medien die schlechte Kooperation und den mangelnden Informationsaustausch zwischen Premierminister Kan Naoto, verschiedenen Ministerien und dem Kraftwerksbetreiber TEPCO. Ein enger Berater des Premiers verwies zudem darauf, dass Kans Misstrauen gegenüber TEPCO und der Ministerialbürokratie den Umgang mit der Krise entscheidend behindert habe. Kans Rücktritt im August 2011 ist auch Ausdruck dieses nachhaltig gestörten Verhältnisses.
Thomas Feldhoff (Frankfurt am Main) stellte in seinem Beitrag zur Zukunft der japanischen (Kern-)Energiepolitik die Frage nach Kontinuität oder Wandel. Als wesentliche Gründe dafür, dass Japan womöglich trotz der Krisenerfahrung doch nicht aus der Kernenergie aussteigen wird, wurden neben der Energieversorgungssicherheit des Landes und der Herausforderungen des internationalen Klimaschutzes auch energiewirtschaftliche Akteursnetzwerke und auf deren Interessen ruhende Pfadabhängigkeiten thematisiert. Klar ist aber auch, dass die Kernenergie angesichts der im Beitrag aufgezeigten Risiken nicht die einzige Antwort auf künftige Energiefragen sein kann. Deshalb wird Japan stärker als bisher auf eine kombinierte Energie-Strategie setzen müssen: unter Einschluss auch der Nutzung der fossilen Energien, des beschleunigten Ausbaus erneuerbarer Energien, des Energiesparens und der Energieforschung – im Sinne einer nachhaltigen Energieversorgung, die endliche Ressourcen und das Klima schont, die Energiepreise stabil hält, die Energieimportabhängigkeit vom Ausland verringert und Ressourcen- und Territorialkonflikte vermeidet.
In der anschließenden Paneldiskussion, an der auch Christian Tagsold (Düsseldorf) teilnahm, wurden vielfältige Fragen aufgeworfen und lebhaft diskutiert: Fragen der historischen Entwicklung der Kernenergienutzung in Japan, der Rolle der japanischen Stromkonzerne auf dem monopolartigen Energiemarkt sowie der Atomlobby im so genannten „Eisernen Dreieck“ aus Politik, Bürokratie und Wirtschaft, der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der Katastrophenbewältigung sowie bei der Gestaltung der Energiezukunft des Landes. Zu Recht wurde betont, dass bei aller berechtigten Debatte über die Folgen von Fukushima die Opfer und Betroffenen der Naturkatastrophen und die Notwendigkeiten des Wiederaufbaus nicht vergessen werden dürften.
Den zweiten Teil der Fachgruppensitzung bestritt Volker Elis (Tübingen) mit einem Beitrag zu Peripherisierungsprozessen in japanischen Bergdörfern. Hierbei ging es um die Auswirkungen von regionalpolitischen Reformen in den Jahren 2000 bis 2006. Die Koizumi-Regierung hatte bewusst einen Kontrapunkt gesetzt zu den Bemühungen in den vorangegangenen Jahrzehnten, durch eine ausgleichsorientierte Regionalpolitik auf einen Abbau regionaler Disparitäten hinzuarbeiten. Mit einer Dezentralisierungsstrategie und einer Neuausrichtung des interkommunalen Finanzausgleichs wurde das Ziel verfolgt, die Belastungen durch Transfers an regionale Gebietskörperschaften außerhalb der Ballungsräume zu verringern, während gleichzeitig eine groß angelegte kommunale Neugliederung forciert wurde. Die implizite Koppelung der Anreize, die durch die so genannten Trinitätsreformen (sanmi ittai kaikaku) und die kommunalen Gebietsreformen (Heisei dai gappei) vorgegeben wurden, sorgte für eine Verringerung kommunaler Handlungsspielräume insbesondere von Gebietskörperschaften mit weniger als 10.000 Einwohnern. Vor diesem Hintergrund wurde in diesem Beitrag die Frage untersucht, inwieweit die Auswirkungen der genannten Reformen zu einer Verschärfung der Peripherisierungsprozesse speziell in japanischen Bergdörfern (sanson) geführt haben. Methodisch wurde dabei auf Konzeptionalisierungen des neueren Peripherisierungsdiskurses innerhalb der deutschen Regionalforschung und Regionalsoziologie zurückgegriffen. Auf der Grundlage einer Analyse von Ursache-Wirkungs-Beziehungen zeigte Volker Elis, dass in Bezug auf die vier Dimensionen Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und negative Wahrnehmung die regionalpolitischen Reformen sich derart ausgewirkt haben, dass tendenziell von einer Verschärfung der Peripherisierungsprozesse in Bergdörfern auszugehen ist.