Fachgruppensitzung Stadt- und Regionalforschung 2017
Die Fachgruppensitzung der Fachgruppe Stadt- und Regionalforschung bei der VSJF Konferenz 2017 in Wien fand am 1. November von 15:30 bis 18:00 Uhr statt und widmete sich dem Thema „Methodik der Feldforschung in ländlichen und urbanen Räumen“. In fünf Beiträgen gaben Promovierende und Lehrende Einblicke in laufende und abgeschlossene Forschungs- und Lehrprojekte.
Florian Pukarthofer von der Universität Wien eröffnete die Fachgruppensitzung mit seinem Vortrag „Space oddity – Fragmented discourses on socially constructed urban spaces in Western Tokyo“. Er stellte Aspekte seines laufenden Promotionsprojekts vor, in dem es um die Wahrnehmung und Kontruktion urbaner Räume in Japan geht. Anhand der Fallbeispiele zweier Stadtviertel in Tokyo (Shimokitazawa und Meidaimae in Setagaya-ku) analysierte er die soziale Konstruktion von Räumen. In beiden Fällen finden Aushandlungsprozesse über die Nutzung öffentlicher Räume und darüber, wer über deren Nutzung bestimmen darf, statt. In seinem Vortrag präsentierte Herr Pukarthofer erste Ergebnisse seiner Diskursanalyse, die er auf Grundlage der Ergebnisse von Interviews und teilnehmender Beobachtung durchführte, die er während einer zweijährigen Feldforschungsphase erhoben hat. Diese erste Analyse zeigte, dass die Kontroversen in den Aushandlungsprozesse über die Nutzung (neuer) öffentlicher Räume weniger durch die Auseinandersetzung über Raum an sich, sondern durch unterschiedliche Konzepte von Raum entstehen. In der anschließenden Diskussion wurden insbesondere die Unterschiede zwischen den beiden Akteursgruppen die Räume verhandeln und zwischen „communication about space and through space“ thematisiert. Möglichkeiten und Limitationen ethnographischer Feldforschung wurden kritisch diskutiert.
Kie Sanada von der Humboldt Universität zu Berlin präsentierte anschließend ihre Erfahrungen mit Feldforschung im ländlichen Japan, die sie für ihr Promotionsprojekt durchführte. In ihrem Vortrag „Sustainable development with ‚regionally unique characteristics:‘ a critique from a socio-cultural perspective“ zeigte sie, wie insbesondere Misserfolge während der eigenen Feldforschung zu einem konstruktiven Perspektivwechsel im Forschungsprozess führen können. Im Gegensatz zur bereits existierenden Literatur zu ländlicher Revitalisierung in Japan, die regionale Entwicklung häufig rein ökonomisch versteht und die soziokulturellen Charakteristika und Differenzen innerhalb von Kommunen im ländlichen Raum vernachlässigt, war für Frau Sanada die soziokulturelle Perspektive maßgeblich. Sie argumentierte, dass nur unter Einbeziehung soziokultureller Aspekte lokal spezifische Konfigurationen von konkreten Stadtgestaltungsprojekten, lokaler Geschichte und spezifischer lokaler sozialer Hierarchien untersucht werden können. Während ihrer Feldforschung hatte sie aber zunächst nur die Perspektive jener lokalen Akteure berücksichtigt, die besonders aktiv in der Stadtgestaltung waren. Durch die Kontaktaufnahme via Schneeball-Sampling gelang es ihr nicht, auch Kontakt zu weniger aktiven Anwohnern aufzubauen. Das Ergebnis war ein methodologischer Bias, der keine ganzheitliche Perspektive auf die sozialen Beziehungen innerhalb der Kommune zuließ. Diese Erkenntnis führte zu einem Perspektivwechsel und mehr methodologischer Offenheit, durch die Frau Sanada Revitalisierungsprojekte auch als Alltagspraktiken der Beteiligung und der Nichtbeteiligung wahrnehmen konnte.
Probleme des Zugangs zum Feld und zu Informanden thematisierte auch Susanne Auerbach von der Freien Universität Berlin. Sie berichtete in Ihrem Vortrag „Zufall oder Design? Zur Feldforschung im Bereich der japanischen Fischereigenossenschaften“ von der ersten explorativen Phase ihrer Feldforschung im Rahmen ihres Dissertationsprojekts, das sich mit der japanischen Küstenfischerei beschäftigt. Dabei stellte sie vor allem die Schwierigkeiten beim ersten Zugangs zum Feld und bei der Herstellung von Kontakten dar. Im Zentrum des Vortrags stand die Erfahrung mit dem Aufbau von Kontakten zur Fischereigenossenschaft in Tajiri-chō in der Präfektur Ōsaka. Obwohl der Kontakt zu dieser Genossenschaft unverhofft entstanden war und sich die Kansai-Region im Laufe der weiteren Recherche als sehr interessantes Fallbeispiel erwies, konnten im Rahmen eines zweiten Aufenthalts diese Kontakte nicht erfolgreich vertieft werden. Frau Auerbach diskutierte während des Vortrags mögliche Gründe dafür. In der sehr angeregten anschließenden Diskussion berichteten die anderen Teilnehmer der Fachgruppe ebenfalls von ihren Erfahrungen mit der Kontaktaufnahme mit Informanden. Offenbar hatten nicht nur Promovierende sondern auch erfahrenere Wissenschaftler und die anwesenden Gäste aus dem japanischen Landwirtschaftsministerium bereits ähnliche Erfahrungen mit gescheiterten Kontaktaufnahmen gemacht. Es wurden gemeinsam Lösungen und Alternativen diskutiert, die in den individuellen Fällen zu einem erfolgreichen Feldzugang geführt hatten.
Im zweiten Teil der Fachgruppensitzung stellten Nora Kottmann (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) und Johannes Wilhelm (Keio Universität) laufende Lehr- und Forschungsprojekte mit Bezug zu Feldforschung in ländlichen und urbanen Räumen vor.
Nora Kottmann berichtete von dem gemeinsam mit Cornelia Reiher (Freie Universität Berlin) initiierten Lehrprojekt zur japanischen Küche in Berlin und Düsseldorf, in dem Studierenden grundlegende Methoden der qualitativen Sozialforschung vermittelt werden. Die japanische Küche hat in Deutschland nach dem Sushi-Boom um die Jahrtausendwende wieder neue Popularität gewonnen. In Berlin werden insbesondere junge (japanische) Frauen unternehmerisch tätig oder interpretieren als Angestellte in Restaurants und Bäckereien die japanische Küche neu, während sie in Düsseldorfs japanischer Gastronomie vor allem als Angestellte und Ehefrauen von Besitzern/Gründern auftreten. Auch die Konsumenten neuer japanischer Trendgerichte und -getränke sind hauptsächlich weiblich. In der Forschung zu kulinarischen Globalisierungsprozessen, insbesondere in den Metropolen, kommen Frauen bisher meist nur als mitarbeitende Familienmitglieder vor, selten aber als stil- und trendprägend. In ihrem Vortrag „Japanische Küche in Berlin und Düsseldorf“ diskutierte Nora Kottmann wie vor dem Hintergrund des Booms der japanischen Küche die Themen Gender, Migration und (japanische) Gastronomie Teil einer vergleichenden Stadtforschung werden können und wie in diesem Zusammenhang Studierenden erste Erfahrungen mit eigener Feldforschung vermittelt werden können. Neben einem gemeinsamen Workshop in Berlin im Juni 2017 auf dem Studierende ihre Ergebnisse einander und einem Fachpublikum vorstellten, dokumentierten die Studierende ihre Forschung in Videos, die auf einem Blog online verfügbar gemacht wurden. Ausschnitte aus den Videos wurden während der Fachgruppensitzung gezeigt.
Johannes Wilhelm stellte in seinem Vortrag zunächst den aktuellen Stand des Wiener Forschungsprojekts Aso 2.0 vor und sprach dann in seinem Vortrag „Institutional aspects of village organizations in Aso“ auch über Ergebnisse seiner Feldforschung im Juli 2017 in Teno in der Präfektur Kumamoto wo er am Onda Fest teilnahm, um institutionelle Aspekte dörflicher Gemeinschaften zu untersuchen. Auch diese Feldforschung steht im Bezug zum Forschungsprojekts Aso 2.0, dass sich u.a. der Untersuchung von Zusammenhängen natürlicher Ressourcen und Nachbarschaftsorganisationen im ländlichen Japan widmet. Gemeinsam mit Wolfram Manzenreiter (Universität Wien) nahm Johannes Wilhelm in Teno an Vorbereitungstreffen für das Onda Fest der “Jugendgruppe” des Dorfes teil, bei denen die Lieder die beim Festival aufgeführt wurden, geübt wurden. Ähnliche Feldforschung während des Onda Festes wurde in Miyaji durchgeführt. Die verschiedenen Feldbeobachtungen zeigten, dass zunächst eine fallspezifische Definition von Gemeinschaft erforderlich ist, anstatt das Konzept als gegeben vorauszusetzen.
Insgesamt zeigten sowohl Vorträge als auch Diskussionen während der Fachgruppensitzung, dass Feldforschung und Methoden eine wichtige Rolle in Forschung und Lehre mit Bezug zu ländlichen und urbanen Räumen spielen und in Zukunft noch stärker reflektiert werden müssen.