VSJF-Preis 2013

Carola Hommerich

„Neue Risiken, neues Selbstbild: Japan in verunsichernden Zeiten“, Japan 2011: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. S. 259-294. –> Zum Beitrag im Japan Jahrbuch 2011

Laudatio

Der Aufruf zu Einreichungen für den 2. VSJF-Preis für den besten sozialwissenschaftlichen Nachwuchsaufsatz zu Japan in deutscher Sprache erbrachte insgesamt neun Nominierungen von ansprechender bis sehr guter Qualität. Durchaus anerkennenswerte Beiträge mussten aber aufgrund der fehlenden fachlichen Passung ausgeschieden werden. Eine klare Verankerung von Erkenntnisgegenstand, Fragestellung und Methodik im sozialwissenschaftlichen Feld waren für die Jury eine unabdingbare Voraussetzung.

Die Jury entschied sich nach eingehender Auseinandersetzung für den im Jahrbuch der VSJF 2011 erschienenen Aufsatz „Neue Risiken, neues Selbstbild: Japan in verunsichernden Zeiten“ von Carola Hommerich.

Die promovierte Soziologin (2008, Forschungsinstitut für Soziologie der Universität Köln) Carola Hommerich beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit dem Phänomen der zunehmenden Verunsicherung in der japanischen Gesellschaft. Sie stellt den subjektiven Befindlichkeiten sozioökonomische Verschiebungen gegenüber und analysiert deren Auswirkungen auf soziale Mobilität, gesellschaftliche Kohäsion und Wohlfahrtsinstitutionen.

Ausgangspunkt der Analyse ist die verbreitete Akzeptanz des Modells der Mittelschichtgesellschaft im späteren 20. Jahrhundert, als Normalbiografien von Sicherheit und Planbarkeit charakterisiert waren. Prozesse der Destandardisierung von Arbeit, der Bedeutungsverlust von Bildung als Garant für berufliche Karrieren und die steigende Einkommensungleichheit unterminierten das Selbstbild der egalitären Gesellschaft und schlugen sich in neuen Risiko- und Armutsdebatten nieder. Zusätzliche Nahrung erhielt das Gefühl der Unsicherheit durch Unzulänglichkeit im sozialen Sicherheitsnetz, das Bedürftige nur unzureichend auffängt, wie Hommerich anhand von Regierungsstatistiken darlegt.

Empirisch zugänglich gemacht wird die expandierende Sphäre der Verwundbarkeit anhand von Ergebnissen einer von der Autorin konzipierten repräsentativen Umfrage von 2009. Die Messung des Grads der objektiven Prekarität der Lebenssituation zeigt, dass nur mehr knapp die Hälfte in gesicherten Verhältnissen und ein substantieller Teil unter der Armutsgrenze lebt. Weitaus mehr geben sozioökonomische Abstiegsängste an und die Befürchtung, die Eingebundenheit in die Gesellschaft zu verlieren. Aus der Gegenüberstellung der von Carola Hommerich konstruierten Indizes wird deutlich, dass sich Abstiegsängste und Exklusionsempfinden über alle Lebenslagen hinweg verteilen und das gesellschaftliche Empfinden ohne eindeutigen Bezug zur objektiven Lebenssituation charakterisieren. Für die Diskrepanz verweist die Autorin sowohl auf das mangelhafte Wohlfahrtssystem als auch auf das schwindende Vertrauen in informelle Formen der Unterstützung und des Zusammenhalts.

In ihrem Ausblick schlussfolgert die Autorin, dass für die Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht nur Maßnahmen für die armutsgefährdeten Bevölkerungsteile notwendig sind, sondern auch eine intensivere Auseinandersetzung mit den sozialen Orten, in denen das Bewusstsein der Vulnerabilität zunimmt. Eine Stärkung von institutioneller Wohlfahrt könnte positive Effekte in beiden Problemfeldern hervorbringen.

Die Jury würdigt ausdrücklich den hohen methodischen Aufwand und die solide Vorgangsweise, mit der die Forschung der Autorin in die theoretische und empirische Forschungsliteratur eingebettet wird. Insgesamt ergibt sich dadurch eine hohe Anschlussfähigkeit des Aufsatzes für die sozialwissenschaftlichen Debatten zu neuen Ungleichheiten. Auch der gut lesbar gehaltene Schreibstil, die klare Struktur und die übersichtliche Darstellung zentraler Positionen aus der japanischsprachigen Forschung tragen diesem Umstand der Transferleistung Rechnung.

Dass mit dieser Würdigung zum zweiten Mal ein Beitrag aus dem Jahrbuch der VSJF ausgezeichnet wird, ist Anlass zur Freude, wenn auch nicht ungeteilt. Tatsächlich stammen alle Einreichungen, die in die engere Wahl kamen, aus diesem Publikationsorgan, was die Bedeutung des Jahrbuchs für die Nachwuchsförderung zeigt, aber auch den offensichtlichen Mangel an alternativen deutschsprachigen Foren, aus denen JungwissenschaftlerInnen ein Interesse für sozialwissenschaftliche Japanforschung entgegenschlägt.

Jury: Manzenreiter, Blechinger-Talcott, Vollmer

–> Zum Beitrag im Japan Jahrbuch 2011