Gender Workshop 2001

Zwischen Dominanz und Empowerment: Machtkonzepte und Geschlechterverhältnisse in Ostasien

Der 10. workshop „Geschlechterforschung zu Japan“
13. bis 14. Dezember 2001 im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin

Der zehnte Workshop gab neun Wissenschaftlerinnen der Sozial- und Kulturwissenschaften die Gelegenheit, das breite Themenfeld Macht und Geschlecht unter verschiedenen Blickwinkeln auszuleuchten. Hierbei wurden erstmals auch über Japan hinaus neue Entwicklungen in China und Korea in die Betrachtung mit einbezogen.

Zunächst nutzten die Gründerinnen des Workshops, Ilse Lenz und Michiko Mae, das Jubiläum, um Konzeption und Entwicklung und das bisher Erreichte Revue passieren zu lassen. Der Workshop, der jährlich im Rahmen der Jahrestagung der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung stattfindet, hat sich als interdisziplinäres Forum für die japanbezogene Geschlechterforschung bewährt und vielen jungen KollegInnen die Möglichkeit gegeben, ihre ersten, oft innovativen Forschungsansätze vorzustellen und Kontakte zu knüpfen. Ein Fokus lag immer auf den Brüchen und Veränderungen im Geschlechterverhältnis. Dabei spielte das Thema Macht auch in den früheren Veranstaltungen implizit schon eine wichtige Rolle.

Eine wichtige Grundlage für die Strukturierung der Frage nach der Macht auf verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Ebenen wurde von Ute Frietsch(Freie Universität Berlin) in ihrem Einführungsvortrag „Macht und Geschlecht – neuere Debatten“ gelegt. Zunächst definierte sie den Begriff Macht als eine soziale Ordnung, die sozusagen alle unterwirft und von der der Aspekt der „Gewalt“, im Gegensatz zum Begriff Herrschaft, zunächst abstrahiert ist. Sie sieht die feministische Theorie in einer doppelten Positioniertheit zwischen Ideologiekritik, die ihre Grundlagen in einer Gesellschaftstheorie hat, die sich historisch von marxistischen oder materialistischen Ansätzen ableitet, und poststrukturalistischen bzw. dekonstruktivistischen Ansätzen. Eine zentrale Aufgabe feministischer Theoretikerinnen ist es, beide theoretische Strömungen wegen ihrer „Geschlechtsblindheit“ zu kritisieren und sie für ihre eigene Macht- und Herrschaftskritik produktiv zu machen, indem sie sie in Hinblick auf die eigenen politischen Interessen transformieren und die zentralen Begriffe „Frau“ bzw. „Gender“ in das Zentrum ihrer Analyse rücken.

Nicola Spakowski (Freie Universität Berlin) führte anschließend in ihrem Vortrag „Der Wandel von Machtkonzepten und Machstrategien in der Frauenbewegung der VR China“ die drei Phasen auf, die die chinesische Frauenbewegung seit Gründung der Volksrepublik im Jahre 1949 bis zur Gegenwart durchlief. In der maoistischen Phase von 1949 bis Mitte der 70er Jahre galt das Grundprinzip der erfolgreichen Frauenbefreiung und der Gleichheit von Männern und Frauen; die Frauenbewegung wurde vom Staat dominiert und Frauen wurden protektioniert, vor allem bei der Förderung der Berufstätigkeit. In der folgenden Phase der Lockerung staatlicher Kontrolle und der marktwirtschaftlichen Reformen bis Anfang der 90er Jahre entstanden „Frauenprobleme“. Frauen wurden als „defizitäre“ Wesen gesehen, deren latente Potentiale entwickelt werden müssen. Ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Benachteiligung erforderte neue Organisationsformen und Strategien und führte zur Entwicklung indigener Ansätze einer neuen Frauenbewegung von unten. Dabei war ein starkes Bedürfnis der Frauen nach Abbau von staatlicher Kontrolle und die Ablehnung von Protektionismus zu beobachten. In der folgenden Phase der internationalen Einbindung Chinas wurde auch die chinesische Frauenbewegung internationalisiert. Ein wichtiges Ereignis war dabei die UN-Frauenkonferenz 1995 in Peking. Die chinesische Frauenbewegung definierte sich als eine NGO und stellte erneut Forderungen nach Protektionismus und staatlicher Einflussnahme. Neue Begriffe wie „gender“ werden übernommen, mit dem Begriff „empowerment“ wird erstmals auch explizit der Begriff Macht verwendet, der in der Volksrepublik bis dahin tabuisiert war. – In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass es zwischen der indigenen Frauenbewegung, deren Vertreterinnen teilweise Restriktionen unterliegen, und den Vertreterinnen des internationalen Feminismus z.T. erhebliche Spannungsverhältnisse gibt.

Hiromi Tanaka (Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung) widmete sich im folgenden Vortrag dem Thema der „Asiatisierung von japanischen Frauennetzwerken“. Seit den 70er Jahren orientieren sich die japanischen Frauennetzwerke nach Asien. Angestrebt wurde die Entwicklung einer asiatischen Perspektive und eines asiatischen Bewusstseins. Mit den Frauenbewegungen anderer asiatischer Länder wie Korea und den Philippinen wurden gemeinsam die patriarchalen Strukturen analysiert und Aktionen durchgeführt. Transnationale Problematiken wie die Migration von Prostituierten nach Japan als Konsequenz der erfolgreichen Proteste gegen den Sextourismus von Japanern in andere asiatische Länder wurden zunehmend zusammenhängend problematisiert. Die japanische Frauenbewegung sieht die japanischen Frauen im transnationalen Kontext auch als Täterinnen und (Mit-)Verursacherinnen von Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen in anderen asiatischen Ländern. Ihr Bewusstsein für historische Kontinuität in diesem Problemfeld bewies ein Teil der japanischen Frauenbewegung in ihrer Initiative für das Tokyoter Kriegsverbrechertribunal, in dem erstmals symbolische Anklage gegen die Verantwortlichen für die Zwangsprostitution asiatischer Frauen während des II. Weltkrieges erhoben wurde.

In ihrem Vortrag „Frauen- und Gewerkschaftsbewegung in Korea“ gab Hannah Choeinen Einblick in die schwierige Situation koreanischer Frauen auf dem Arbeitsmarkt. Gesetzliche Regelungen zur Gleichstellung und Diskriminierungsverbote greifen in der Realität nicht. Aufgrund der Beschäftigungsstrukturen haben Frauen bei Arbeitslosigkeit meist keinen Anspruch auf Unterstützung, melden sich daher nicht arbeitslos und werden in der amtlichen Erfassung „unsichtbar“. Staatliche Projekte z.B. zur Berufsausbildung sind meist unterfinanziert. Aus Enttäuschung über die Haltung der koreanischen Gewerkschaften zu Frauenbelangen gründeten Frauen in den 80er Jahren die KWWAU (Korean Women Workers Associations United). Die KWWAU ist zumeist auf Spenden von Frauen und eigene Einnahmen angewiesen und leidet unter einer unzureichenden finanziellen und personellen Ausstattung. Ihre Aktivitäten richten sich hauptsächlich auf die Aktivierung von Frauen durch Selbsthilfeprojekte wie selbst verwaltete Unternehmen oder Selbsthilfegruppen für arbeitslose Frauen. Diese Strategie der Aktivierung der unmittelbar Betroffenen zeigt erste Erfolge.

Im zweiten Themenblock des ersten Tages zur medialen Repräsentation von Frauen in Japan stellte Daniela Rechenberger (Universität Trier) zum Thema „Die Medienberichterstattung über die ‚Comfort Women’-Problematik in Japan“ ihr Forschungsszenario vor, in dem sie anhand der Analyse von Berichterstattungen überregionale Tageszeitungen zu den Themen Zwangsprostituierte und Tokyoter Kriegsverbrechertribunal Erkenntnisse darüber erlangen möchte, welche Rolle die Medien bei der Konstruktion von Begriffen und öffentlichen Diskursen spielen, auch in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse und Definitionsmacht. Es zeigte sich jedoch, dass beide Ereignisse von den großen Tageszeitungen weitgehend ignoriert wurden.

Im zweiten Vortrag zu diesem Themenbereich mit dem Titel „enjo kôsai – Schülerinnenprostitution“ setzte sich Ryuko Woirgardt (Universität des Saarlandes) mit einem auch in westlichen Medien stark beachteten Phänomen auseinander. Sie wandte sich entschieden gegen eine verengte Beurteilung der „Rendezvous gegen Bezahlung“ (eine mögliche Übersetzung des Begriffs enjo kôsai), wie sie von PublizistInnen wie Miyadai Shinji vertreten wird. Dieser geht davon aus, dass Mädchen sich ihren sexuellen Wert nicht mehr zuschreiben lassen und in der Lage sind, Körper und Geist zu trennen. Dagegen führte Frau Woirgardt die steigenden Zahlen von Geschlechtskrankheiten und Abtreibungen bei jungen Mädchen an. Außerdem sieht sie die Gefahr der unbewussten Missbrauchserfahrung und vor allem eine Werteverschiebung und einen Realitätsverlust in Hinblick auf die weitere Lebensplanung. In ihrem Vortrag wurde deutlich, dass es auch in der Strafverfolgung meist nur die Mädchen sind, die sich strafbar machen und mit Sanktionen zu rechnen haben, während die männlichen Kunden nichts zu befürchten haben.

Vor der für den Abend anberaumten Podiumsdiskussion überbrachte Anja Osiander Grußworte vom Vorstand der VSJF zum zehnjährigen Bestehen des Workshops.

Die Podiumsdiskussion „Macht und Geschlechterverhältnisse in Ostasien“ eröffneten anschließend Hannah Cho, Sabine Frühstück, Ilse Lenz, Michiko Mae und Nicola Spakowski mit Kurzstatements zu Fragen der Macht in ihren eigenen Forschungen und zu Forschungsansätzen und Diskursen über „Macht“ in der Forschung zur Region Ostasien. Für alle Diskutantinnen zeigte sich, dass Macht, und damit auch Partizipations- und Gestaltungsmöglichkeiten, in verschiedenen Bereichen weiterhin sehr ungleich verteilt sind. Vor allem im Arbeitsbereich sehen sich Frauen weiterhin Ausgrenzung und Diskriminierung ausgesetzt. Dagegen stehen ihnen andere Einflusssphären zur Verfügung. Eine große Chance für das Aufbrechen alter Strukturen und die Neuordnung von Machtverhältnissen sahen alle in transnationalen und transkulturellen Einflüssen und einer erfolgreichen Implementierung des „empowerment“-Konzeptes. Aus dem Publikum wurde kritisch angemerkt, dass der Begriff „empowerment“ auch zur Verschleierung und Uminterpretation vorhandener Verhältnisse benutzt werden kann und in gesamtgesellschaftliche Konzepte eingebunden werden muss, um zu greifen.

Den letzten Teil des Workshops am Freitagvormittag eröffnete Sabine Frühstück(University of California) mit einem mit umfangreichem Bildmaterial bereicherten Bericht „Schwaches Militär – Starke Frauen?“ über ihre Feldforschungen bei den japanischen Selbstverteidigungsstreitkräften („jieitai“ – ein umschreibender Begriff für das japanische Militär, da Japan gemäß Verfassung keine eigene Armee unterhalten darf). In der Selbstdarstellung der „jieitai“ spielen die Frauen eine bedeutende Rolle bei der Imageverbesserung und werden in den für die Allgemeinheit konzipierten Werbematerialien auf allen Posten und in verschiedenen professionellen Tätigkeiten gezeigt. Von der Armee seit den 60er Jahren aktiv umworben, liegt ihr Anteil jedoch nur bei 4%. Die Erwartungen der Frauen richten sich vor allem auf eine gender-neutrale Behandlung ohne geschlechtsspezifische Benachteiligung und ein Bewertung nach ihren Fähigkeiten. In von Sabine Frühstück durchgeführten Interviews berichteten die Frauen über positive Erfahrungen in ihrem Arbeitsumfeld; sie sehen sich jedoch in hohem Maße sexueller Belästigung ausgesetzt.

In ihrem Vortrag „(Ehe-)Paarinstitution als Auslaufmodell? – die Debatte um die Single-Gesellschaft in Japan“ analysierte Annette Schad-Seifert (Universität Leipzig) die komplexen Hintergründe des in Japan viel beachteten Phänomens der starken Zunahme von noch nie verheirateten Menschen, die zu einem großen Teil noch bei ihren Eltern leben. In der öffentlichen Meinung hat dieses Singledasein einen Bedeutungswandel vom Symptom gesellschaftlichen Versagens zu einem wohlsituierten Lebensstil mit gesellschaftlicher Anerkennung erfahren. Von dem Soziologen Masahiro Yamada wurde der Begriff des „parasitären Single“ geprägt, der ohne eigene Verpflichtungen und zu Lasten seiner Eltern einen hedonistischen Lebensstil pflegen kann und sich damit den gesellschaftlichen (Rollen-)Erwartungen entzieht. Schad-Seifert sieht die Ursachen für diese Entwicklung jedoch nicht in der Herausbildung neuer, eventuell sogar emanzipatorischer Rollenmodelle, sondern in der wirtschaftlichen Unsicherheit, die eine Familiengründung mit sich bringen kann, und vor allem gerade in dem Festhalten an konventionellen Rollenerwartungen, obwohl man glaubt, sie nicht mehr erfüllen zu können. Diese schließen auch weiterhin eine klare Trennung der Lebensbereiche der Geschlechter mit ein.

In dem letzten Beitrag des Workshops „Zwischen Empowerment und Kooptation: Maternalistische Konzepte in Japan“, stellte Andrea Germer (Deutsches Institut für Japanstudien Tokyo) Maternalismus als ein zentrales Machtkonzept mit gesellschaftlicher und politischer Dimension vor. Bereits in den Anfängen der japanischen Frauenbewegung zu Beginn des 20. Jhd. war die Auseinandersetzung um Mutterschaft und um das Verhältnis von Mutterschaft und Staat ein zentrales Thema der feministischen Diskurse. In ihrem Wunsch, in ihrer Rolle als Mütter ihre Teilhabe an gesellschaftlicher und politischer Macht auch während der militaristischen Phase in den 30er und 40er Jahren zu bewahren, ließen sich auch große Teile der Frauenbewegung vom Staat für die Kriegsvorbereitungen vereinnahmen. In der Nachkriegszeit entstand aus dem Widerstand gegen Wasserstoff- und Atomwaffen der „hahaoyataikai“ (Mütterkongress, erstmals 1955) , der sich auch kritisch mit den ehemaligen Kriegsunterstützerinnen auseinandersetzte. In die Kritik geriet dabei auch die Historikerin Takamure Itsue, die bereits in der Vorkriegszeit die Maternalismusdebatte mitbestimmt hatte. Mit ihren Forderungen nach einer selbstbestimmten Mutterschaft bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Integration, politischer Partizipation und Erwerbstätigkeit der Mütter und der Vergesellschaftung der Kindererziehung blieb sie jedoch auch für die „women’s lib“ der 70er Jahre ein Vorbild. Andrea Germer zog aus ihren Untersuchungen den Schluss, das die maternalistische Position neben der Chance zum empowerment auch, wie die Geschichte gezeigt hat, die Gefahr der Kooptation beinhalten kann.

In der Abschlussdiskussion wurde die Öffnung des Workshops auf Asien positiv bewertet; es wurde jedoch als problematisch angesehen, bei den begrenzten Ressourcen eine zu große regionale Ausdehnung vorzunehmen. Als eine Option wurde von Anja Osiander vorgeschlagen, gezielt eine Regionalexpertin einzuladen; dies könnte auch durch die VSJF gefördert werden. Weiterhin wurde vorgeschlagen, dass die TeilnehmerInnen eigene Netzwerke nutzen und KollegInnen aus ihrem Umfeld zur Mitarbeit einladen. Besonders bei den Grundlagenreferaten sollten ExpertInnen mit Regionalkenntnissen gewonnen werden, die am gesamten Workshop teilnehmen. Aus den Vorschlägen für den nächsten Workshop kristallisierte sich ein starkes Interesse an dem Thema „Reproduktion von Geschlecht im Vergleich“ heraus. Zu diesem Bereich wird im Frühjahr 2002 wieder ein call for papers an alle Interessierten versandt werden.

Berichte und aktuelle Informationen zum Workshop können auch auf der Homepage des Fachs Modernes Japan, Universität Düsseldorf, unter http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/oasien/oasien/japan/ ›› abgerufen werden.