Gender Workshop 2007
Familie in Japan
22. – 23. November 2007 in Berlin zum Thema „Familie in Japan“
In diesem Jahr fand wie auch bereits in den letzten Jahren wieder im Rahmen der VSJF-Jahrestagung der mittlerweile 14. Gender-Workshop
„Geschlechterforschung zu Japan“ statt, der von Prof. Dr. Ilse Lenz (Universität Bochum) und Prof. Dr. Michiko Mae (Universität Düsseldorf) gemeinsam mit Phoebe Holdgrün (Universität Düsseldorf) und Julia Schmitz (Universität Düsseldorf) organisiert wurde. Das Thema „Familie in Japan“ wurde in sieben Vorträgen aus kultur-, sozial- und literaturwissenschaftlicher Perspektive präsentiert.
Eine wichtige Grundlage für die Thematik des Workshops wurde von Annette Schad-Seifert (Universität Düsseldorf) in ihrem einführenden Vortrag gelegt. Schad-Seifert zeigte gegenwärtige Themenfelder auf, in denen Familie in Japan problematisiert wird, wie etwa die sinkende Geburtenrate und die nachlassende Heiratsneigung, und damit zusammenhängend Anforderungen an das Wohlfahrtssystem. Als Grund für das weibliche Gebärverhalten wird in Japan die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesehen, die durch Pläne der Regierung im Rahmen der Geschlechtergleichstellung ausgeglichen werden soll. Gleichzeitig wird die Entscheidung für oder gegen Ehe und Familie auch von strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt beeinflusst, bei denen irreguläre Beschäftigungsformen zunehmen.
Julia Schmitz (Universität Düsseldorf) stellte anschließend in ihrem Vortrag „Familie zwischen Privatheit und Öffentlichkeit – Japan und Deutschland in den 1930er und 1940er Jahren“ familienpolitische Maßnahmen und deren Auswirkungen auf die Grenzziehung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich dar. Sie zeigte exemplarisch anhand von Gesetzen, Richtlinien und darauf basierenden Maßnahmen auf, aufgrund welcher ideologischen Motive die Grenzen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit aufgelöst wurden. Die familialen Strukturen wurden unter den nationalistischen Regimes in beiden Ländern zur Verwirklichung staatlicher Ziele funktionalisiert, was den Umgang mit Familie nach 1945 stark beeinflusste.
In ihrem Vortrag „Die Thematisierung von Familie im Rahmen der Implementation der Partizipationsgesellschaft auf regionaler Ebene“ diskutierte Phoebe Holdgrün (Universität Düsseldorf) die Frage, welche Vorstellungen von Familie durch aktuelle Programme zur Geschlechtergleichstellung (danjo kyôdô sankaku) in Japan transportiert werden und mittels welcher Ausführungsbestimmungen dieses Familienideal erzielt werden soll. Am Fallbeispiel der Präfektur Nagasaki zeigte sich, dass Informationsmaterialien der Präfektur ein Familienleben unabhängig von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung propagieren, Familie dabei aber im Sinne der kinderreichen Dreigenerationenfamilie präsentiert wird. Gleichzeitig beruhen die Maßnahmen der Präfektur zur Erreichung dieser Familien im Sinne der Geschlechtergleichstellung vor allem auf Information und Beratung und scheinen somit wenig konkret.
Abgerundet wurde der erste Tag des Workshops durch eine Diskussionsrunde zu dem Thema „Domestic violence im interkulturellen Vergleich zwischen Japan und Deutschland“. Als Grundlage diente dabei Material zu einer Forschungsinitiative des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf (Stefanie Ritz-Timme, Hildegard Graß) in Kooperation mit dem Lehrstuhl Modernes Japan I der HHU Düsseldorf (Michiko Mae). Besonders sollten während der Diskussion die Fragen nach Unterschieden der gesellschaftlichen und individuellen Wahrnehmung von Gewalt in Japan und Deutschland und möglichen Erklärungen auf der Grundlage kultureller Strukturen in den Blick genommen werden. Als ein wichtiges Ergebnis aus der Diskussionsrunde konnte die Empfehlung festgehalten werden, sich weniger auf Fragen der Kultur festzulegen, sondern vielmehr organisationssoziologische Aspekte einzubeziehen.
Am zweiten Tag des Workshops hielt David Putnam (Universität Zürich) einen Vortrag zum Thema „Tamura Toshiko – modern oder doch traditionell? Eine biographistische Textanalyse von Tamura Toshikos „Miira no kuchibeni“ (1913)“. Dabei bezog er sich, ausgehend von der aktuellen Diskussion um Entscheidungen japanischer Frauen gegen Ehe und Familie und für die eigene Berufstätigkeit, anhand des Beispiels der erfolgreichen Schriftstellerin Tamura Toshiko auf die Situation während der Taishô-Zeit. Basierend auf der Grundlage von Beispielen aus der semiautobiographischen Erzählung zeigte Putnam die Lebensweise von Tamura auf, die aus der gewohnten Rolle als Ehefrau ausbricht und bei eigener beruflicher Unabhängigkeit nicht vor einer Trennung vom Partner scheut.
Kristina Iwata-Weickgenannt (Universität Trier) gab in ihrem Vortrag „Zwischen Auflösung und Neukonzeption: Familie in der freeter-Literatur“ einen Einblick in die literarische Repräsentation von furîta („free Arbeiter“) und NEET („Not in Education, Employment or Training“) in japanischen Texten. Anhand der Beispiele „Midori no tsuki“ (Kakuta Mitsuyo), „Hachigatsu no rojô ni suteru“ (Itô Takami) und „Nîto“ sowie „2+1“ (beides von Itoyama Akiko) stellte sie dar, dass die ProtagonistInnen eher selten einem herkömmlichen, also einem mindestens zwei Generationen umfassenden Familienverband angehören, sondern stattdessen allein oder gemeinsam mit sich in derselben Situation befindlichen Gleichaltrigen leben. Auch die Ehe als Lebensform beziehungsweise Elternschaft ist eine Ausnahme. Iwata-Weickgenannt diskutierte dabei vor allem die Frage nach der Verteilung der familiären Rollen in solchen Wohngemeinschaften, beziehungsweise. ob das Thema „Familienplanung“ überhaupt eine Rolle spielt.
In dem letzten Beitrag des diesjährigen Gender-Workshops setzte sich Diana Donath mit dem Thema „Familienzerfall, Rudimentärfamilien und Familienersatzmodelle in der modernen japanischen Literatur“ auseinander. Aufgrund einer Erkrankung der Referentin wurde der Vortrag stellvertretend verlesen. Darin beschäftigte sich Donath mit den Ursachen und Auswirkungen des strukturellen Wandels der Familie und dessen Reflexion in der modernen japanischen Literatur. Anhand vieler Beispiele zeigte sie auf, welche unterschiedlichen Familienformen in literarischen Werken seit Mitte der 1970er Jahre abgebildet werden. So führen oftmals zerrüttete Familienverhältnisse zu der Auflösung der herkömmlichen Familie oder auch zu der bewussten Schaffung einer Wahlfamilie. Auch zusammengewürfelte Familien und rudimentäre Familien, bei denen ein Elternteil fehlt, wurden in dem Beitrag thematisiert.
Der nächste Workshop soll aller Voraussicht nach zu „Intersektionalität – Arten von Differenzen“ stattfinden. Kategorien wie Gender, Class, Race, aber auch zum Beispiel Alter und Ethnizität stehen oftmals miteinander in Verbindung und bilden Schnittstellen, die eine Vielzahl von Identitäten und Differenzen schaffen. Es wurde außerdem die Idee angeregt, einen Teil des kommenden Workshops als Panel zu methodischen und wissenschaftstheoretischen Fragen zu gestalten.
Im Frühjahr 2008 wird ein entsprechender Call for Papers für den kommenden Workshop erstellt und versandt werden. Berichte und aktuelle Informationen zum Workshop können auch auf der Homepage des Fachs „Modernes Japan“, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ›› ›› abgerufen werden.
Phoebe Holdgrün und Julia Schmitz (beide Universität Düsseldorf)