Gender Workshop 2014

Vertrauen und Vertrauensverlust in Japan

20.-21. November 2014 im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin

Bereits zum 21. Mal fand der Gender-Workshop „Geschlechterforschung zu Japan“ – wie immer im Rahmen der Jahrestagung der VSJF – statt. Der Workshop schloss sich in seinem themengebundenen Teil an das Thema der Jahrestagung „Trust and Mistrust in Contemporary Japan“ an und diskutierte Fragen zu Vertrauen und Vertrauensverlust in der japanischen Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven der Genderforschung. Prof. Dr. Ilse Lenz (Universität Bochum) und Prof. Dr. Dr. h.c. Michiko Mae (Universität Düsseldorf) leiteten auch diesen Workshop; Koordination und Moderation lagen bei Dr. Phoebe Holdgrün (DIJ Tokyo) und Dr. Julia Siep (Universität Düsseldorf).

Nach einer kurzen Begrüßung sowie einer Vorstellungsrunde aller Teilnehmer/innen begann der erste Workshop-Tag mit Vorträgen zum Schwerpunktthema. Einen einführenden Überblick über die Thematik des Workshops gab Ilse Lenz (Ruhr-Universität Bochum). Sie diskutierte theoretische Ansätze zum Konzept Vertrauen wie Kollektivbewusstsein (Durkheim), Sozialkapital (Putnam) oder deliberative Ansätze (Habermas) und zog Schlussfolgerungen zur möglichen Übertragbarkeit auf Japan und Genderbezüge. Lenz stellte dabei die Bedeutung von Distanz in gemischtgeschlechtlichen Gruppen außerhalb der Familie sowie die Bedeutung der Positionszugehörigkeit durch gemeinsame Sozialisation in Japan heraus. Während Frauen in vielen gesellschaftlichen Zusammenhängen eher als Außenstehende wahrgenommen werden, spielt hohes Sozialkapital eine nicht zu unterschätzende Rolle bei japanischen Frauenbewegungen. Die zwei folgenden Vorträge von Carola Hommerich und Phoebe Holdgrün (beide DIJ) beschäftigten sich aus verschiedenen Perspektiven mit Vertrauen, Gender und bürgerschaftlichem Engagement in Japan. Dabei zeigten die gemeinsam diskutierten Projekte durchaus unterschiedliche Ergebnisse. Hommerich untersuchte die Frage, inwiefern sich eine mögliche Abnahme von Sozialvertrauen negativ auf die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement auswirkt. Dabei wurden die Ergebnisse einer japanweiten Befragung von 2009 auf geschlechterspezifische Effekte hin reevaluiert, allerdings ließen sich im Großen und Ganzen keine signifikanten Unterschiede für Männer und Frauen zeigen; eben diese Gemeinsamkeit ist angesichts sonst bedeutender Geschlechtsunterschiede durchaus interessant, wie in der Diskussion festgestellt wurde. Ein geschlechtsspezifisches Ergebnis war, dass soziale Geborgenheit sich besonders für Frauen als wichtig erwies. Holdgrün analysierte die Determinanten der Teilnahme an in Japan nach wie vor weit verbreiteten Nachbarschaftsorganisationen an sich und des politischen Engagements im Rahmen dieser Organisationen jeweils für Männer und Frauen. Die Präsentation berücksichtigte dabei insbesondere Vertrauen als unabhängige Variable. Die Ergebnisse zeigten deutliche Unterschiede bei Männern und Frauen auf, etwa dass vertikales Vertrauen ein signifikanter Faktor für die grundsätzliche und die politische Beteiligung im Fall von Frauen ist.

Der zweite Workshop-Tag war nicht thematisch gebunden und diente der Präsentation aktueller Projekte zu verschiedenen Aspekten von Gender und Japan. Sandra Beyer (Universität Frankfurt) stellte ihr Dissertationsprojekt mit einem Vortrag zu Reiseaufzeichnungen von Japanerinnen nach London am Ende der Taishô-Demokratie vor. Im Zentrum standen die Beispiele der Schriftstellerinnen Hayashi Fumiko und Yoshiya Nobuko. Beyer fragte insbesondere, wie Geschlecht und Politik in den Aufzeichnungen thematisiert werden. Aline Henniger (Inalco Paris) präsentierte erste Ergebnisse ihrer Feldforschung zur geschlechtsspezifischen Sozialisation an japanischen Grundschulen. Ziel ihrer Forschung ist, zu analysieren, wie weit sich die Reproduktion von Geschlechterrollen bei Kindern im Klassenzimmer und während der Schulpausen vollzieht. Henninger zeigt dabei, dass einerseits zwar binäre Rollenmuster beispielsweise durch versteckte Lehrinhalte Einzug halten, andererseits aber die Kinder selbst hochflexibel sind, was ihr Gender in verschiedenen Situationen betrifft. Stefanie Reitzig (Universität Bochum) diskutierte in ihrer Präsentation die Herausforderungen und Bewältigungsstrategien der familialen Ernährungsversorgung von erwerbstätigen Müttern. Für ihre Untersuchung verwendet Reitzig das Konzept der „Work-Food-Balance“, um damit die Herausforderung der Vereinbarkeit von Ernährungsidealen und dem Arbeits- und Familienleben zu verdeutlichen. Als vorläufige Ergebnisse der Studie stellte Reitzig eine Typologisierung verschiedener Strategien vor. Der Vortrag von Andrea Germer (Kyushu Universität) bildete den Abschluss der Open Session am zweiten Workshop-Tag. Das Thema der Präsentation lautete „Chronopolitik, Nation und Geschlecht in den Zeitschriften Nippon Fujin und NIPPON“. Dabei ging es darum, wie sich das Verständnis von Zeit in visuellen Repräsentationen von Kleidung widerspiegelt. Kleidung dient als eine Fläche, auf der Zeitpolitik produziert und verhandelt wird. Ausgewähltes Beispiel dieser Präsentation war die Darstellung von Frauenkleidung, insbesondere des Kimono, die während der 1930er und 1940er Jahre in Japan als Repräsentationssymbole eng mit den Interessen von Inlands- und Auslandspropaganda verknüpft war.

Nach einer intensiven Abschlussdiskussion überlegten die Teilnehmer/innen gemeinsam, welches Thema im Mittelpunkt des nächsten Gender-Workshops stehen könnte, der 2015 in Leipzig stattfinden wird. Ein entsprechender Call for Papers wird voraussichtlich im Frühsommer 2015 verschickt.

Phoebe Holdgrün
Julia Siep