Jahrestagung 2001
Medien als Gegenstand und Triebfeder des Wandels in Japan und Deutschland
Tagungsbericht
Die Jahrestagung 2001 der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung behandelte die Medien als Gegenstand und Triebfeder des Wandels. Dabei wurde erstmals ein neues Format für die Organisation der Tagung erprobt. Anstatt die Verantwortung für die Konzeption ein oder zwei Einzelpersonen zu übertragen, entstand das Programm der Tagung aus Beiträgen der Fachgruppen der Tagung. Koordiniert wurde diese Gemeinschaftsaufgabe von Hilaria Gössmann (Universität Trier) und Franz Waldenberger (Universität München).
Das neue Format hat sich auch auf den Bericht über die Tagung ausgewirkt. Es ist zusammengefügt aus Berichten der Fachgruppen, jeweils zu der Sektion, für die sie inhaltlich verantwortlich zeichneten.
Aus diesem Gesamtbericht hat die Redaktion des VSJF-Newsletters eine Zusammenfassung erstellt. Sie steht, grau unterlegt, voran. Die ausführlichere Fassung des Berichts wird anschließend wiedergegeben.
Kurzbericht von der Jahrestagung 2001
Vom 13.-16. Dezember 2001 war die Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF) mit ihrer Jahrestagung zu Gast im JDZB. Das Programm war vielfältig gestaltet. Angegliedert an die Jahrestagung waren zwei interdisziplinäre workshops. Der eine untersuchte aus der Perspektive einer vergleichenden Geschlechterforschung Machtkonzepte und Geschlechterverhältnisse in Japan, China und Korea. Der andere thematisierte aus ordnungs- und organisationstheoretischer Sicht den Einfluß von IT-Technologien auf Strukturen und Prozesse in japanischen Unternehmen. Während der Tagung fanden Sitzungen der sechs Fachgruppen in der Vereinigung statt. Die Haupttagung schließlich bot elf Vorträge und eine Podiumsdiskussion zum Thema „Medien als Gegenstand und Triebfeder des Wandels“. Möglich wurde dieses reichhaltige Angebot einerseits durch die umfassende finanzielle, organisatorische und logistische Unterstützung des JDZB, zum anderen durch großzügig und unbürokratisch gewährte Zuwendungen des Fördervereins japanisch-deutscher Kulturbeziehungen e.V. (JADE) und des Unternehmens NTT DoCoMo Europe. Der folgende Beitrag geht nur auf die Haupttagung ein.
Drei Vorträge aus kultur- bzw. medienwissenschaftlicher Perspektive eröffneten die Tagung. Ulrich Apel (Universität Ôsaka) skizzierte zunächst die Rolle der Medien in der Zukunftsplanung in Japan. Besondere Beachtung wurde der Rolle gewidmet, welche Medien durch die Vermittlung von Zukunftsbildern in der quasi spontanen „Planung“ von künftigen gesellschaftlichen Strukturen spielen. Dagegen stellte Marc Löhr (Universität Yamaguchi) die starke macht- und marktpolitische Orientierung von Zeitungsmedien in Japan heraus. Löhr sieht dieses Phänomen besonders in Konzentrationstendenzen auf dem Markt für Tageszeitungen begründet, die wiederum historisch gewachsen sind und die wesentlich auf einer Preisbindung für den Vertrieb von Tageszeitungen beruhen. Diese Preisbindung steht derzeit zur Diskussion. Ihre Aufhebung sieht Löhr als entscheidende Voraussetzung dafür an, daß Tageszeitungen in Japan sich von einem „alten“ zu einem „neuen“ Medium wandeln können. Der dritte Vortrag von Barbara Gatzen (Austalian National University) und Hilaria Gössmann (Universität Trier) untersuchte die Darstellung der asiatischen Nachbarn von Japan in wöchentlich ausgestrahlten Dokumentarsendungen wie auch in Unterhaltungsserien (terebi dorama). Dabei zeichnet sich als übergreifender Trend eine gewisse „nostalgische Haltung“ gegenüber anderen asiatischen Ländern ab. Ihnen wird eine Energie zugeschrieben, die in Japan angeblich verloren gegangen ist.
Der erste Tag wurde gekrönt mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Visions of Society in the New Media Age“. Moderiert von Wolfram Manzenreiter (Universität Wien), stellten Prof. Dr. Thomas Hess (Universität München), Keiichirô Okuda (Japan External Trade Organization Berlin), Oliver Passek (Die Grünen Bundestagsfraktion), Dr. Kohei Satô (NTT DoCoMo Europe Labs, München) und Dr. Thomas Wiemers, (Siemens, München) auf Basis ihrer jeweiligen beruflichen Erfahrung ihre persönliche Sicht über die Entwicklungstendenzen im Bereich der neuen Medien dar.
Der Samstagmorgen war wirtschaftlichen und soziologischen Analysen gewidmet. Dr. Friederike Bosse (BDI) ging in ihrem Vortrag der Frage nach, wie das Internet die Beziehungen zwischen Zulieferbetrieben und Großbetrieben in Japan verändert. Die Zwischenbilanz fällt gemischt aus: Die traditionellen Netzwerke werden einerseits noch verstärkt, andererseits aber auch aufgebrochen. Anschließend bot Dr. Kerstin Teicher (Bertelsmann AG) einen umfassenden Branchenbericht zum japanischen Medienmarkt mit seinen Marktgrößen, wesentlichen Unternehmen und den Besonderheiten der Teilmärkte, den Strukturen sowie den regulatorischen Rahmenbedingungen. Dabei wurden die Entwicklungen der letzten zwei Jahre wie auch künftige Entwicklungstendenzen anhand konkreter Beispiele aufgezeigt. Karen Shire (Universität Duisburg) und Ilse Lenz (Universität Bochum) trugen theoretische und empirische Ergebnisse über die Auswirkungen der neuen Medien auf die Geschlechterverhältnisse in der Arbeitswelt in Japan vor. Den Ausgangspunkt bildete die Frage, ob die neuen Medien dazu beitragen würden, den Trend zu einer weitreichende Segregierung von beruflichen Karrieren je nach Geschlecht (gendering) in der Arbeitswelt Japans abzuschwächen oder gar umzukehren. Zwei aktuelle Fallstudien aus einem Call Center im produzierenden Gewerbe und aus einem Wertpapierhaus zeigten, daß neue Medien auch dazu eingesetzt werden können, traditionelle Arbeitsverhältnisse aufrechtzuerhalten oder sogar noch zu verstärken. In einem weiteren Vortrag ging Wolfram Manzenreiter der Frage nach, inwieweit sich der Alltag in Japan durch neue Kommunikationsmedien verändere. Er skizzierte die Entwicklung dieser Medien seit den 1960er Jahren, stellte Statistiken über ihre aktuelle Verbreitung vor und präsentierte Ergebnisse aus neuesten Umfragen über die Nutzungsgewohnheiten in unterschiedlichen Altersgruppen.
Am Sonntagmorgen schließlich wurden Medien in Japan und Deutschland aus politik- und aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive untersucht. Dr. Patrick Köllner (Institut für Asienkunde, Hamburg) stellte informelle Regeln und Verfahrensweisen in der Personalpolitik der öffentlichen Rundfunkanstalten in Japan und Deutschland dar. Die Einflußnahme der politischen Parteien ist in beiden Systemen deutlich spürbar, obwohl die Auswahlverfahren in Deutschland stärker formalisiert sind als in Japan. Dr. Verena Blechinger (DIJ, Tôkyô) präsentierte Ergebnisse einer Inhaltsanalyse von Internet-Auftritten von Parlamentsabgeordneten in Japan. Dabei nutzt die Mehrheit der Abgeordneten in Japan das Medium Internet weniger kommunikativ als demonstrativ. Offenbar geht es weniger darum, die Distanz zwischen PolitikerInnen und WählerInnen zu verringern, als vielmehr darum, sich selbst als „up to date“ in der Kommunikationsgesellschaft zu präsentieren. Dagegen ging Prof. Dr. IMAI Yasuo (Universität Tôkyô) in seinem Vortrag von der jüngsten erregten Debatte in Japan über den „Zusammenbruch der Schulklassen“ (gakkyû hôkai) und den „Rückgang des Leistungsniveaus“ (gakuryoku teika) japanischer Schülerinnen und Schüler aus. Diese Entwicklungen werden vielfach den Bildungsreformen der letzten Jahre angelastet. Das Dilemma dieser Reformen besteht nun darin, daß die wachsenden Anforderungen der Kommunikationsgesellschaft es nahelegen, den eingeschlagenen Weg der Entlastung von Lerninhalten und hin zu einer Verschiebung auf die Reflexionsebene, also den kritischen Umgang mit Wissen, sogar noch fortzusetzen. Imai hält dieses Dilemma teilweise für hausgemacht. Er kritisierte in seinem Vortrag die bisherige Auseinandersetzung der Pädagogik in Japan mit den neuen Medien als halbherzig. In der Praxis finden sich dagegen auch eindrucksvolle Beispiele dafür, wie aktive Medienarbeit an japanischen Schulen aussehen kann. Abschließend stellte Irene Langer (Universität Witten-Herdecke) den technischen und pädagogischen Stand von Lernen mit dem Internet an japanischen und deutschen Schulen vor. In ihrem Überblick über die Entwicklung der Ausstattung der Schulen mit Computern und Internetzugang und über die entsprechende Schulung von Lehrkräften zeichnete sich ab, dass in beiden Ländern die Bildungspolitik hinter der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung herhinkt. Insgesamt werden entsprechende bildungspolitische Initiativen in Japan allerdings besser pädagogisch begleitet und zielgerichteter umgesetzt. In Deutschland behindern die föderalen Strukturen eine systematische Vernetzung.
Anja Osiander (Redaktion VSJF-Newsletter)
Ausführlicher Bericht von der Jahrestagung 2001
Vorwort im Namen der OrganisatorInnen
Die Jahrestagung 2001 war dem Thema „Medien als Gegenstand und Triebfeder des Wandels“ gewidmet. Der Fortschritt auf dem Gebiet der Informations- und Kommunaktionstechnologien verändert die Medienlandschaft selbst, aber auch die Formen der Kommunikation in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Tagung sollte Einblicke vermitteln, wie sich dieser Wandel am Beispiel Japans darstellt. Ob und wie dies gelungen ist, davon zeugen die folgenden Berichte der einzelnen Sektionen.
Das Besondere an der diesjährigen Tagung war die Form der Organisation. Anders als bei vorangegangenen Tagungen hatten die Organisatoren lediglich das Rahmenthema formuliert. Es war Aufgabe der Fachgruppenleitungen, den thematischen Rahmen in den nach Fachgruppen gegliederten Sektionen mit Beiträgen zu füllen. Das mit dieser Form der Organisation verfolgte Ziel bestand darin, in der Jahrestagung den multi-diziplinären Charakter unserer Vereinigung stärker zur Geltung zu bringen. Die Erfahrung war in dieser Hinsicht sicherlich positiv. Wenn sich diese Art der Organisation auch nicht unbedingt bei jedem Thema auf jeder Jahrestagung eignet, so bietet sie sich doch als gelegentliche Alternative an.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die diesjährige Veranstaltung ohne die großzügige Unterstützung des Japanisch-Deutschen Zentrums Berlin, das als Organisator und Sponsor fungierte, und ohne die Zuwendungen durch den Förderverein japanisch-deutscher Kulturbeziehungen e.V. (JADE) und das Unternehmen NTT DoCoMo Europe Labs in dieser Form nicht möglich gewesen wäre.
Franz Waldenberger, München
Begrüßung und Danksagung durch den VSJF-Vorsitzenden
Die 14. Jahrestagung der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung fand 2001 nach 1990, 1991, 1993 und 1998 zum fünften Mal im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin statt, ein Standort, der – wie die große Zahl von Anmeldungen zeigte – eine hohe Publikumswirksamkeit garantiert. Das professionelle Tagungsmanagement des Zentrums sorgte dafür, dass sich der Vorstand der Vereinigung und das Tagungskommittee (Hilaria Gössmann und Franz Waldenberger) ganz der inhaltlichen Vorbereitung und Gestaltung der Konferenz widmen konnten. Beides stellte im vergangenen Jahr allerdings eine besondere Herausforderung dar: Neben einigen z.T. sehr kurzfristigen Absagen von Referenten bekam die Vereinigung zu spüren, daß Sponsorengelder für japanbezogene Projekte spärlicher fließen. Nur der großzügigen und unbürokratischen finanziellen Unterstützung von NTT DoCoMo Eurolabs (München) und dem Förderverein für japanisch-deutsche Kulturbeziehungen (JaDe, Köln) ist es zu danken, dass dennoch internationale Gäste ihre Forschungen im Plenum präsentieren konnten. Allen an der Vorbereitung Beteiligten sowie den Sponsoren sei an dieser Stelle noch einmal herzlich für ihr großes Engagement gedankt!
Anläßlich dieser Jahrestagung war im übrigen ein Jubiläum zu feiern, auf das die Vereinigung mit Recht ein wenig stolz sein darf: Organisiert von Ilse Lenz, Michiko Mae und Karin Klose fand zum 10. Mal der Workshop „Geschlechterforschung zu Japan“ statt, der sich seit 1992 zu einem festen Bestandteil (im Vorfeld) der Jahrestagungen entwickelt hat. In den Workshops der vergangenen Jahre wurde eine Fülle von neuen Themen bearbeitet, die z.T. weit über die sozialwissenschaftliche Japanforschung hinaus relevant sind. Dabei wurde der Mix aus Theoriediskussion und empirischen Untersuchungen zu einem Markenzeichen dieser Veranstaltung, von dem auch die Vereinigung bei der Gestaltung von Jahrestagungen manches lernen konnte. Schon früh orientierte sich der gender-Workshop interdisziplinär und international und weitete jüngst seine Perspektive über Japan hinaus auf Süd-Korea und die VR China aus. Seit Jahren ist der Workshop als die Veranstaltung etabliert, auf der NachwuchswissenschaftlerInnen ihre Arbeiten präsentieren und diskutieren können. An dieser Stelle noch einmal ein herzlicher Glückwunsch vom Vorstand der Vereinigung zum Jubiläum und – auf die nächsten 10 Workshops!
Klaus Vollmer, München
Sektion 1, gestaltet von den Fachgruppen „Kultur“ und „Medien und Populärkultur“
In der Sektion der Fachgruppen „Kultur“ und „Medien und Populärkultur“ stellte Ulrich Apel (Universität Ôsaka) aus einer kürzlich abgeschlossenen Forschungsarbeit, die als Dissertation an der Universiät München eingereicht wurde, Ergebnisse vor. In dem Vortrag „Die Rolle der Medien in der Zukunftsplanung – Gestaltung von Zukunft als durch Kommunikation vermittelter dynamischer Prozess“ präsentierte Apel ein Modell, wie Zukunftsplanung funktioniert, ohne dass die Organisationen, von denen die Planung ausgeführt wird, ein politisches Mandat oder die Macht haben, ihre Vorstellungen durchzusetzen bzw. ihre Befürchtungen abzuwenden.
Mithilfe der Medien kann von den Zukunftsforschern bzw. der Zukunftsforschung nahestehenden Forschern ein dynamischer Prozess angestoßen und am Laufen gehalten werden, der die Erkenntnisse der Forschung ins Bewusstsein der Bevölkerung bringt und Lösungen anregt. Durch die mediale Diskussion von Zukunftsthemen wird darüber hinaus ein gesellschaftlicher Konsens über gesellschaftliche Ziele hergestellt bzw. gefördert. Die Bevölkerung wird frühzeitig mit kommenden Veränderungen vertraut gemacht und kann sich darauf einstellen. Beispiele hierfür finden sich in bezug auf Umweltprobleme, Wirtschaftsprognosen, Bildung, Bevölkerungsentwicklung, Notwendigkeit von Zuwanderung etc.
Doch bilden Medien nicht nur ein Sprachrohr für zukunftsgerichtete Themen, sondern nehmen diese selbst auf. Für Medienverlage gilt es als Prestige, ein Thema, das aktuell wird, als erster ausgemacht zu haben und das Thema zu verfolgen. Insbesondere populärwissenschaftliche Studien der Zukunftsforschung sind ein eigenes Genre innerhalb japanischer Veröffentlichungen und stellen für Verlage einen profitträchtigen Markt dar.
Auch in Deutschland ist Zukunftsforschung bzw. -planung – selbst wenn sie von Seiten der Politik angeregt wurde wie etwa im Fall der „Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen“ – weder mit dem politischen Mandat noch mit den notwendigen Finanzen ausgestattet, um ihre Vorschläge in die Tat umzusetzen. Wie in Japan kann nur versucht werden, die zukunftsweisenden Themen über die Medien in der Diskussion zu halten, und dadurch eine gesellschaftliche Veränderung zu befördern.
Nicht zuletzt wendet die Trendforschung das „Screening“ von Medien als wichtige Methode zur Aufdeckung zukunftsweisender Trends an.
Im Unterschied zu Apel, der die medienvermittelte Zukunftsforschung als einen Ort jenseits von politischer Parteilichkeit und Machteinfluß charakterisierte, stellte Marc Löhr (Universität Yamaguchi) in seinem generell sehr medienkritischen Vortrag die starke macht- und marktpolitische Orientierung von Zeitungsmedien in Japan heraus. Löhr sieht dieses Phänomen besonders in den Konzentrationstendenzen des japanischen Tageszeitungsmarktes begründet, die wiederum historisch gewachsen sind. In einem historischen Überblick stellte Löhr dar, wie Japans Zeitungen als ein hochpolitisiertes Medium zu Ende der Edo-Zeit entstanden und sich schon bald restriktiven Maßnahmen der Regierung ausgesetzt sahen, die sich bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzen sollten. Ein logistisch ausgeklügeltes Vertriebsnetz, dessen Pfeiler das Set-System von Morgen- und Abendausgaben bildete, sorgte für den Aufschwung der Tagespresse zu einem modernen Medium insbesondere in den Metropolen. Seither hat sich als zentrales Charakteristikum des japanisches Tageszeitungsmarktes der Wettbewerb zwischen nationalen und regionalen Zeitungen herausgebildet. Zwar weist dieser Markt weniger Konzentrationstendenzen als in anderen westlichen Nationen auf und bietet eine enorme Vielfalt an Arten und Titeln. Doch auch in Japan fällt der Umsatz an Tageszeitungen kontinuierlich. Infolge dieser Entwicklung entsteht eine Tendenz, den Inhalt der Zeitungen mehr und mehr populistisch auszurichten und informativ anspruchsvollen Journalismus zurückzufahren. So stellen etwa sportliche Ereignisse oder Tournaments in den Regionen zunehmend den zentralen Informationsteil dar. Dort sichern Vertriebsagenturen den Absatz, deren Sponsorensystem wiederum ein relativ einheitliches Erscheinungsbild der regionalen Blätter hervorgebracht hat. Für Löhr wird sich an der Frage der Vertriebspreisbindung entscheiden, ob es den japanischen Zeitungen gelingen wird, die Wandlung von einem „alten“ zu einem “ neuen“ Medium vollziehen zu können.
Bei dem folgenden Vortrag von Barbara Gatzen (Austalian National University) und Hilaria Gössmann (Universität Trier) mit dem Titel „Fernsehen als Spiegel und Motor des gesellschaftlichen Wandels – Ein Paradigmenwechsel in der Darstellung der asiatischen Nachbarn?“ handelte es sich um einen Bericht aus dem laufenden DFG-Forschungsprojekt „Die ‚Hin- bzw. Rückwendung nach Asien‘ in Literatur, Medien und Populärkultur Japans“, das z.Zt. an der Japanologie der Universität Trier durchgeführt wird. Als Beispiel dafür, wie im dokumentarischen Bereich des japanischen Fernsehens China und Korea bzw. deren Bevölkerung dargestellt werden, dienten die vom Sender NHK wöchentlich ausgestrahlten Dokumentarsendungen „Shin Ajia hakken“ („Meeting a New Asia“), „Asia Who is Who“, und „Ajia jôhô kôsaten“ („Asia Crossroads“), die im Rahmen des o.g. Projektes von Barbara Gatzen analysiert werden. Aus dem Bereich der Fernsehunterhaltung wurden Fernsehserien (terebi dorama) mit Figuren aus anderen asiatischen Ländern vorgestellt, die Hilaria Gössmann in Zusammenarbeit mit Griseldis Kirsch und Kristina Weickgenannt analysierte. Während bisher im Genre Fernsehserie fast ausschließlich japanische Figuren auftraten, ist hier neuerdings ein gewisser „Asienboom“ zu verzeichnen.
Im Vortrag wurden Gemeinsamkeiten ist der Asien-Darstellung im dokumentarischen Bereich und den Serien herausgearbeitet. Zu beobachten ist eine gewisse „nostalgische Haltung“ gegenüber den anderen asiatischen Ländern, denen man eine Energie zuschreibt, die Japan angeblich verloren gegangen ist. Geschildert wird häufig der „asiatische Traum“, d.h. der berufliche Erfolg junger Menschen aus verschiedenen asiatischen Ländern. Eine besondere Rolle spielen dabei die Bereiche Modedesign und Popmusik. So geht es in den Dokumentarbeiträgen z.B. um eine junge Koreanerin, die sich in Seoul als eigenständige Mode-Designerin zu behaupten versucht, oder um den Erfolg einer beliebten chinesischen Popsängerin. Besonders spektakulär war das Happy-End der NHK-Serie „Mô ichido kisu“ (2001,Noch ein Kuß), in dem sich eine populäre koreanische Popsängerin auf offener Bühne vor applaudierendem koreanischem Publikum zu ihrem japanischen Geliebten bekennt. In „Fighting girl“ (2001, Fuji TV) eröffnen eine Japanerin und eine Koreanerin gemeinsam in Japan eine Modeboutique; in „Uso koi“ (2001, Falsche Liebe, Fuji TV) kämpft eine Chinesin für ihre Aufenthaltsgenehmigung in Japan, um als Designerin tätig sein zu können. In diesen aktuellen Beispielen deutet sich ein Paradigmenwechsel in der Darstellung anderer Asiaten an, die zunehmend zu gleichberechtigten Partnern der japanischen Figuren werden.
Hilaria Gössmann, Trier
Podiumsdiskussion:
Visions of Society in the Age of New Media
– German And Japanese Perspectives
Die diesjährige Jahrestagung sah einen öffentlichen Programmteil vor, der dem Thema „Visions of Society in the New Media Age – Japanese and German Perspectives“ gewidmet war und in Form einer Podiumsdiskussion abgehalten wurde. Teilnehmer des Panel waren Prof. Dr. Thomas Hess (Universität München), Keiichirô Okuda (Japan External Trade Organization Berlin), Oliver Passek (Die Grünen Bundestagsfraktion), Dr. Kohei Satô (NTT DoCoMo Europe Labs, München) und Dr. Thomas Wiemers, (Siemens, München). Trotz der spät angesetzten Zeit war das Plenum gut gefüllt. Die Vortragenden referierten auf Basis ihrer jeweiligen beruflichen Erfahrung ihre persönliche Sicht über die Entwicklungstendenzen im Bereich der Neuen Medien, insbesondere unter dem Einfluss des Internet. Daran schloss sich eine lebhafte, gelegentlich kontrovers, aber immer fair geführte Diskussion an, die bei dem abschließenden vom DJZB gesponsorten Stehimbiss noch weiter geführt werden konnte.
Franz Waldenberger, München
Sektion 2, gestaltet von der Fachgruppe „Wirtschaft“
Am Samstagmorgen bestritt die Fachgruppe Wirtschaft die zweite Sektion der diesjährigen VSJF-Jahrestagung, mit zwei Vorträgen von Dr. Friederike Bosse (BDI) und Dr. Kerstin Teicher (Bertelsmann AG).
Friederike Bosse ging in ihrem Vortrag zum „Einfluss des Internet auf die Zulieferbeziehungen in der japanischen Industrie“ explizit der Frage nach, wie das Internet bzw. die Anwendung der neuen Informationstechnologien die bestehenden Zuliefererstrukturen verändern, ob beispielsweise über Kostensenkungen, Effizienzsteigerungen und dem Zugewinn an Transparenz die Position der kleinen Unternehmen tendenziell gestärkt wird. Ausgehend von den potenziellen Effekten des Internets und der damit verbundenen Informationstechnologien auf die Strategie und die Wettbewerbsposition von Unternehmen zog F. Bosse eine erste Zwischenbilanz hinsichtlich der Veränderungen in den traditionellen Produktionsnetzwerken (seisan keiretsu).
Kerstin Teicher gab in ihrem Vortrag „Der japanische Medienmarkt – Strukturen und Entwicklungspotentiale“ einen umfassenden Branchenbericht zum japanischen Medienmarkt (eingegrenzt auf die „sogenannten“ traditionellen Medien, also Buch, Zeitschriften, TV, Musik) mit seinen Marktgrößen, wesentlichen Unternehmen und den Besonderheiten des Marktes, seinen Strukturen sowie den regulatorischen Rahmenbedingungen. Dabei wurden die Entwicklungen der letzten zwei Jahre und künftige Entwicklungstendenzen anhand konkreter Beispiele aufgezeigt. Bemerkenswert sind insbesondere die neuen technologischen Anwendungen (z.B. Breitband), die vermehrte Nutzung neuer Distributionskanäle (Internet, Handy, Konsolen), die Nutzung neuer Medien, die Zunahme von Unternehmensfusionen und Akquisitionen sowie eine gewisse Lockerung in kultureller, aber auch in regulatorischer Hinsicht.
Hanns Günther Hilpert, Tôkyô
Sektion 3, gestaltet von der Fachgruppe „Soziologie“
Karen Shire (Universität Duisburg) und Ilse Lenz (Universität Bochum) trugen theoretische und empirische Ergebnisse über „Neue Medien in der Arbeitswelt: Geschlechterverhältnisse im Wandel“ vor. Den Ausgangspunkt bildete die Frage, ob die neuen Medien dazu beitragen würden, den Trend zu einer weitreichende Segregierung von beruflichen Karrieren je nach Geschlecht (gendering) in der Arbeitswelt Japans abzuschwächen oder gar umzukehren. Während Ilse Lenz konzeptionelle Überlegungen und die Entwicklung des gendering in den 1970er und 1980er Jahren vorstellte, präsentierte Karen Shire die Ergebnisse zweier aktueller Fallstudien. Untersucht worden waren ein call center eines Automobilherstellers und eine Abteilung für Kundenbetreuung in einem Wertpapierhaus. In beiden Fällen waren die Arbeitsabläufe durch die Einführung neuer Datenbanksysteme stark verändert worden. In beiden Fällen wurden Frauen durch die Umstrukturierung jedoch benachteiligt, indem sie nur eingeschränkten Zugang zu personal computers erhielten oder die Anforderungen an ihre Tätigkeit verringert statt erhöht wurden.
In einem weiteren Vortrag ging Wolfram Manzenreiter (Universität Wien) der Frage nach, inwieweit sich der Alltag in Japan durch neue Kommunikationsmedien verändere. In einem Vortrag mit dem Titel „PHS, keitai, i-mode: Die Informatisierung des Alltags“ skizzierte Manzenreiter kurz die Entwicklung dieser Medien seit den 1960er Jahren, stellte Statistiken über ihre aktelle Verbreitung vor und präsentierte Ergebnisse aus neuesten Umfragen über die Nutzungsgewohnheiten in unterschiedlichen Altersgruppen. Dabei lassen sich zwei gegenläufige Trends erkennen. Zum einen dienen die neuen Medien dazu, die Kontakte zwischen einander nahe stehenden Individuen zu intensivieren. Der Trend zur Abschottung in der unmittelbaren Bezugsgruppe wird dadurch verstärkt. Zum anderen eröffnen die neuen Medien aber tatsächlich neue Wege der Kontaktaufnahme zwischen bis dahin einander unbekannten Personen.
Anja Osiander (Redaktion VSJF-Newsletter)
Sektion 4, gestaltet von der Fachgruppe „Politik“
Die beiden Plenumsbeiträge aus der Fachgruppe Politik stellten die Verbindung zum Tagungsthema „Medien als Gegenstand und Motor des Wandels“ aus zwei verschiedenen Perspektiven dar. Zum einen referierte Patrick Köllner (Institut für Asienkunde, Hamburg) über informelle Regeln und Verfahrensweisen in der Personalpolitik der öffentlichen Rundfunkanstalten in Japan und Deutschland. Die politischen Parteien als Bindeglied zwischen Medien und Politik einordnend, verdeutlichte P. Köllner am Beispiel der Personalpolitiken die Unterschiede in den Versuchen der politischen Einflussnahme auf die Medien, aber auch die Gemeinsamkeiten. Beide Verfahrensweisen zeigen unabhängig davon, ob sie durch ein formales (Deutschland) oder durch ein informelles (Japan) Regelwerk institutionalisiert worden sind, dass die Politik den Einfluss des Mediums Rundfunk nicht gering schätzt und bemüht ist, zumindest eine ideelle Kontrolle über seine programmatische und inhaltliche Ausgestaltung zu behalten.
Den zweiten Beitrag präsentierte Dr. Verena Blechinger vom Deutschen Institut für Japanstudien in Tôkyô. Er beschäftigte sich mit der Internet-Präsenz japanischer Unterhausabgeordneter. Die teilweise sehr erheiternden Web-Auftritten der Politiker lassen den Schluss zu, dass eine bahnbrechende Veränderung der demokratischen Systeme durch die Entwicklung der Informationsgesellschaft bislang noch nicht eingetreten ist. Wie V. Blechinger in ihrer Untersuchung herausstellte, nutzt die Mehrheit der Abgeordneten in Japan das Medium Internet keineswegs, um die Distanz zwischen PolitikerInnen und WählerInnen zu verringern, sondern vielmehr, um sich selbst als „up to date“ in der Kommunikationsgesellschaft zu präsentieren. Das Internet wird eher demonstrativ als interaktiv benutzt; politisch-programmatische Inhalte auf den Websites treten häufig zugunsten persönlicher Darstellung (Hobby; menschliche Charakteristika) zurück.
Claudia Derichs, Duisburg
Sektion 5, gestaltet von der Fachgruppe „Erziehung“
Den inhaltlichen Teil der Jahrestagung beschloss die Sektion der Fachgruppe Erziehung mit zwei Vorträgen, die einerseits auf die theoretische Diskussion zu neuen Medien in der japanischen Erziehungswissenschaft und andererseits auf praktische Beispiele des Internet-Lernens in japanischen und deutschen Schulen fokussierten. Nur selten passte der Ausdruck ‚last but not least‘ so gut, denn die Vorträge bestachen durch ihre dichte Beschreibung und Analyse der neuesten Entwicklungen (1996-2001) und den kritischen Nachweis der Tatsache, dass die pädagogische Auseinandersetzung und die konkreten Maßnahmen sich der veränderten Realität noch nicht ausreichend gestellt haben.
Prof. Dr. IMAI Yasuo (Universität Tôkyô) stellte Überlegungen an „Zum Verhältnis von (Neuen) Medien und Pädagogik der Stand der Diskussion“. In seinem Vortrag ging Prof. Imai auf die jüngste erregte Debatte über den „Zusammenbruch der Schulklassen“ (gakkyû hôkai) und den „Rückgang des Leistungsniveaus“ (gakuryoku teika) japanischer Schülerinnen und Schüler ein, die vielfach den Bildungsreformen der letzten Jahre angelastet werden. Er zeigte das Dilemma auf, in dem die japanische Bildungspolitik sich befindet, die vor diesem Hintergrund weiter den Weg der Entlastung von Lerninhalten und hin zu einer Verschiebung auf die Reflexionsebene, also den kritischen Umgang mit Wissen, gehen will. In diesem Sinne sei auch in der Schule nicht nur der Umgang mit dem Computer zu lernen, sondern vielmehr der Erwerb von „Informationsverwertungskompetenz“ (jôhô shori nôryoku) angestrebt. Mit Hinblick auf die häufig sehr medienskeptischen Einstellungen auch von Pädagogen, die das Virtuelle als deutlich minderwertig gegenüber dem Realen und dem Imaginären bewerten, kritisierte der Redner die bisherige Auseinandersetzung von Medienpädagogik und Pädagogik mit den neuen Medien und der von ihnen geschaffenen gesellschaftlichen Realität als halbherzig. Er stellte jedoch auch positive Ansätze und eindrucksvolle Beispiele vor, wie aktive Medienarbeit an japanischen Schulen aussehen kann. Lernen wird hier als Teilnahme an einem Netzwerk verstanden, die die Einbahnstraße zwischen Lehrender und Lernenden verlasse, beispielsweise wenn Schulklassen per E-mail und Internet im Austausch mit NaturwissenschaftlerInnen oder Expeditionsteams stehen.
Dass die neuen Medien und die Kompetenz Jugendlicher in diesem Bereich den scheinbar selbstverständlichen Wissensvorsprung der Erwachsenen/Lehrer auf den Kopf zu stellen vermögen, die Lehrer gar in die Situation geraten, von ihren Schülern lernen zu können oder auch zu müssen, konstatierte auch die nächste Sprecherin. Irene Langner von der Universität Witten-Herdecke referierte über das „Lernen mit dem Internet an japanischen und deutschen Schulen“. In einem Überblick über die Entwicklung der Ausstattung der Schulen mit Computern zwecks Internetzugangs und entsprechender Schulung von Lehrkräften zeichnete sich ab, dass in beiden Ländern die Bildungspolitik hinter der Entwicklung herhinkte und auf die Anforderungen der Wirtschaft lediglich reagierte. Im Falle Japans sei aber insgesamt von einer besseren pädagogischen Begleitung und einer besser gesteuerten Umsetzung zu sprechen, oder umgekehrt: In Deutschland sei die systematische Vernetzung der Schulen durch die föderalen Strukturen im Bildungswesen zusätzlich behindert worden. In ihrer Analyse der verschiedenen Konzepte zur Integration neuer Medien in den Unterricht strich I. Langner u.a. heraus, dass in Japan mehr Wert auf Informationsmanagement und -verarbeitung gelegt werde, in Deutschland hingegen auf die kritische Analyse von Informationen; insgesamt aber hierzulande ein passiveres Bild des Lernenden zugrunde liege.
Annette Erbe, Berlin