Jahrestagung 2012
Japan und Südostasien: Spielarten einer intraregionalen Beziehung
Weingarten, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, 23. – 25. November 2012
Tagungsleitung: Dr. Rainer Öhlschläger, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Prof. Dr. Claudia Derichs, Universität Marburg
Die diesjährige Jahrestagung der Vereinigung für sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF) stand im Zeichen der vielschichtigen Beziehungen zwischen Japan und den Staaten Südostasiens. Unter dem Titel „Japan and Southeast Asia: Varieties of an intra-regional relationship“ widmeten sich neun Referentinnen und Referenten aus Japan, Deutschland und den Philippinen diesem Thema in vier Panels. Während Chinas globale und regionale Position in den letzten Jahren publizistisch vielfach bearbeitet wurde, scheint die akademische Auseinandersetzung mit den Beziehungen zwischen Japan und Südostasien auf den ersten Blick weniger gründlich auszufallen. Dabei bietet das Thema eine enorme Fülle an Ansatzpunkten, welche die Tagungsleiterin Claudia Derichs zu Beginn der Konferenz kurz umriss. So stand neben den aktuellen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verflechtungen zwischen Japan und den einzelnen Staaten vor allem die historische Dimension im Mittelpunkt. Ausgehend hiervon zog sich die Frage „Was ist Asien?“ wie ein roter Faden durch die Vorträge, vor allem aber durch die anschließenden Diskussionen.
In der gemeinsamen Geschichte von Südostasien und Japan spielte diese Frage eine große Rolle: Vor dem Hintergrund des japanischen Aufstiegs zur Kolonialmacht entstanden sowohl in Japan als auch in Südostasien verschiedene Konzepte von Panasianismus, deren Bedeutung für die Entstehung dessen, was heute als die „Region Südostasien“ zusammengefasst wird, lebhaft diskutiert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Zugehörigkeit Japans zu dieser Region allerdings eine offene Frage. Mit den Vorträgen und Diskussionen auf der Konferenz verstärkte sich der Eindruck, dass die wissenschaftliche Annäherung an diese Frage kaum auf der Analyseebene „Nationalstaat“ beantwortet werden kann. Die Verflechtungen zwischen Japan und Südostasien sind multidimensional, kontextabhängig und beweglich. So zeigten mehrere Vorträge, dass die japanische Expansion in Südostasien eine Entwicklung war, die an eine Vielzahl von politischen und sozialen Prozessen anknüpfte und deren Verständnis daher eine genaue, kontextualisierte Aufarbeitung erfordert (Vincent Houben, Iwatsuki Jun’ichi, Nawa Katsuo).
Neben der komplexen, häufig problembeladenen historischen Verflechtung sorgen aktuell andere Faktoren für neue Verbindungen: Sowohl Japan als auch große Teile Südostasiens müssen mit dem doppelten Risiko dichter Besiedlung und einer starken Anfälligkeit für Naturkatastrophen zurechtkommen (Ronald Holmes). Aber auch aufkommende internationale Kooperationsmuster können nicht zuletzt eine Basis für einen geteilten Erfahrungsschatz auf der individuellen Ebene sein (Lydia Yu-Jose, Moritz Bälz). Ebenso zeigen wichtige aktuelle Problemfelder, wie beispielsweise Migration (Yoshimura Mako) oder das schwierige Thema der nationalen und kulturellen Identitätskonstruktion, etwa durch Religion (Tosa Keiko) oder des Umgangs mit dem „Fremden“ innerhalb der eigenen Kultur (Patrick Heinrich), wie wichtig eine über nationale Grenzen hinausreichende Perspektive bei der Betrachtung der Region Südostasien ist.
Die Jahrestagung vermittelte so einen interessanten Eindruck davon, auf welch vielfältige Weise Japan mit Südostasien verbunden ist. Die Auseinandersetzung mit diesen Beziehungen erscheint für die sozialwissenschaftliche Japanforschung überaus fruchtbar. Damit wird der häufigen Verknappung der Wahrnehmung der innerasiatischen Beziehungen von Japan auf China bzw. Südkorea entgegengewirkt, und die wissenschaftliche Repräsentation kann der komplexen, sozioökonomischen und politischen Realität dieser eng verbundenen aber ebenso heterogenen Region gerecht werden. Mehr noch: Aus der Breite der angesprochenen Themen und ihrer Verschränkungen wurde in der Abschlussdiskussion letztlich der Vorschlag abgeleitet, die Forschung in der Disziplin „Area Studies“ künftig weniger an Landesgrenzen festzumachen. Für die Umsetzung dieses Vorschlags bot das Thema „Südostasien“ auf der Jahrestagung der Vereinigung der sozialwissenschaftlichen Japanforschung hervorragende Grundlagen.
Panel I: Regional History and Regional Relations
Gleich zu Beginn des Konferenzprogramms beleuchtete Yoshimura Mako (Hosei Universität, Japan) mit ihrem Vortrag „Migration between Japan and Southeast Asia – Past and Present“ eines der momentan prominentesten Themen zwischen Japan und Südostasien. Die heutigen Staaten Südostasiens und Japan verbindet eine Jahrhunderte alte Beziehung des Austauschs – von den „Japan Towns“ in südostasiatischen Metropolen über die Besatzungszeit und den Wiederaufstieg Japans in der Nachkriegszeit als wirtschaftliche „Leitgans“ bis zur Arbeitsmigration von heute. Mit Beginn des neuen Jahrtausends hat Japan begonnen, mit mehreren südostasiatischen Staaten wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen abzuschließen. Ein wichtiger Teil dieser Abkommen ist die Verrechtlichung von Arbeitsmigration, vor allem im Pflegebereich. Bereits seit den 1980er Jahren sorgte der Mangel an Pflegepersonal in Japan für den Anstieg illegaler Migration aus Südostasien. Bis heute tut sich der japanische Staat schwer damit, einen geeigneten rechtlichen Rahmen für die Situation dieser MigrantInnen zu finden. Die Hürden für die Migration von südostasiatischen ArbeiterInnen nach Japan bleiben auch unter den neuen Regelungen im Rahmen der wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen hoch. In der Folge nehmen nur wenige MigrantInnen teil, obwohl der Bedarf an Pflegepersonal in Japan erheblich ist. Eine kohärente und umfassende Reaktion der japanischen Regierung auf diese Situation stehe bisher aus, so Yoshimuras Fazit.
Vincent Houben (HU Berlin, Deutschland) beschäftigte sich anschließend mit der Verschränkung der japanischen und indonesischen Geschichte am Beispiel der eurasischen Minderheit in Niederländisch-Indien. Sein Vortrag „Eurasians and Japan“ zeigte, wie sich die im Wandel begriffenen internationalen Beziehungen in Ostasien zwischen 1910 und 1940 im politischen und sozialen Kräftespiel um die zukünftige Nation Indonesien niederschlugen.
Der japanische Aufstieg, das Aufkommen des indonesischen Nationalismus und die Veränderung der gesellschaftlichen Stellung der eurasischen Bevölkerung sind laut Houben eng miteinander verbunden. EurasierInnen bildeten in Niederländisch-Indien eine Art gesellschaftliche Vermittlerrolle zwischen Europa und Asien. Als die Spannungen zwischen dem expandierenden Japan und den Niederländern stiegen, wurde aus dieser Position der Nährboden für einen Identitätskonflikt: Der gesellschaftliche Diskurs über die Zukunft dessen, was einmal der Staat Indonesien werden sollte, zwang die EurasierInnen gewissermaßen dazu, sich zu positionieren. Eine Minderheit der EurasierInnen nahm in der Folge eine tendenziell japanfreundliche, antikoloniale Haltung ein. Die Mehrheit hielt jedoch zur niederländischen Besatzungsmacht. Japan hatte somit einen Einfluss auf die Selbstdefinition der eurasischen Bevölkerung. Das Beispiel zeigte anschaulich, wie der historische Komplex des japanischen Aufstiegs im beginnenden 20. Jahrhundert analytisch aufgebrochen und in neue Zusammenhänge gestellt werden kann.
Panel 2: Japan and Southeast Asia: Historical and Cultural Reflections
Tosa Keiko (Tokyo University of Foreign Studies, Japan) stellte sich in ihrem Vortrag “Researching History, Culture and Religion in Southeast Asia” der Frage, in welchem Zusammenhang Religion und Politik in Südostasien zueinanderstehen. Als Fallbeispiel zog sie die Demonstrationen von buddhistischen Mönchen in Burma im Jahr 2007 heran. Das Spannungsfeld von Religion und Politik wird an diesem Beispiel besonders gut offenbar. Burma ist eine buddhistisch dominierte Gesellschaft. Mit rund 540.000 Mitgliedern gibt es in Burma mehr buddhistische Mönche als Soldaten. Die Mönche haben großen sozialen und politischen Einfluss. Folglich war das burmesische Regime seit den 1980er Jahren darauf bedacht, die Kontrolle über die Mönchsorden aufrecht zu erhalten, ohne dabei zu deutlich auf Repressionskurs zu gehen – eine Strategie, die Tosa mit dem Bild von „Zuckerbrot und Peitsche“ beschreibt. Bis zum überraschenden Beginn der Demokratisierung in Burma im Jahr 2010 hatten die Mönche eine eigentümliche Position zwischen Sonderrechten in Form von Titeln und finanziellen Zuwendungen auf der einen Seite und der Verweigerung von gesellschaftlicher Partizipation auf der anderen Seite inne. Bereits 2007 entluden sich die Spannungen dann in pro-demokratischen Massendemonstrationen von Mönchen, die vom Regime vorläufig gewaltsam niedergeschlagen wurden. Die Rolle der Mönchsorden im seit 2010 laufenden Demokratisierungsprozess ist zwar noch nicht abschließend zu beurteilen – der Vortrag zeigte jedoch, dass das buddhistische Mönchtum in Burma eine entscheidende politische und gesellschaftliche Größe ist. Diese politische Rolle kommt dem Buddhismus in Japan weitaus weniger zugute. Tosas Vortrag gab damit auch Anstöße, die Rolle der buddhistischen Religion in verschiedenen Staaten Asiens vergleichend zu untersuchen.
„Japan and the ‚ASEAN Way‘: Reflections on the Role of Ideology and Culture on Japan’s Potential as a Regional Leader“ lautete der Titel des Vortrags von Lydia Yu-Jose (Universität Ateneo de Manila, Philippinen). Sie vertrat die These, dass Japans außenpolitische Grundprinzipien Ähnlichkeiten mit denen der ASEAN aufweisen: Sowohl Japan als auch die ASEAN lehnen Interventionen ab, respektieren grundsätzlich die staatliche Souveränität und fällen Entscheidungen nach dem Prinzip, über Vorab-Konsultation aller Beteiligten einen Konsens zu erzielen. Diese Art der Entscheidungsfindung sei in Japan generell verbreitet und auch in Verhandlungen innerhalb der ASEAN maßgeblich – nicht zuletzt, weil es die Einigung zwischen autokratisch und demokratisch geführten Nationen erleichtere. Auch das japanische Prinzip der außenpolitischen Trennung von politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten (seikei bunri) findet sich laut Yu-Jose in der ASEAN wieder, wo ebenfalls praktische (d.h. wirtschaftliche) Kooperation über der Herstellung ideologischer Einigkeit steht. Japan vertritt auf dem langen Weg zur ostasiatischen Integration das Konzept des „offenen Regionalismus“, also einer unverbindlicheren Form der regionalen Kooperation. Im Gegensatz dazu ist die Volksrepublik China eher dem engeren „ASEAN Plus 3“ zugeneigt. Sollte Japan künftig eine Führungsrolle im ostasiatischen Integrationsprozess übernehmen, wäre dies somit ebenfalls eher mit einer vorsichtigeren Form der Annäherung verbunden, aufbauend auf der Erhaltung der außenpolitischen Grundprinzipien, die Japan und die ASEAN teilen.
Panel 3: Crisis management and contemporary regional issues
In seinem Vortag „State Capacity and Inter-state Cooperation on Disaster Management in East Asia“ beschäftigte sich Ronald Holmes (Universität De La Salle, Philippinen) mit dem Krisen- und Katastrophenmanagement in Japan, Thailand und den Philippinen. Alle drei Nationen erlitten 2011 schwere Naturkatastrophen und hatten anschließend mit gravierenden Problemen bei deren Bewältigung zu kämpfen. So traten in allen drei Ländern institutionelle Schwächen hervor, die eine rasche und effektive Reaktion auf die Naturkatastrophen erschwerten. Insbesondere zu schwache lokale Institutionen wurden als wunder Punkt identifiziert. Dazu kamen noch Fälle von ungenügendem Informationsmanagement (Japan), operative Probleme bei der Katastrophenhilfe (Thailand) und ungenügende Präventionsmaßnahmen (Philippinen). Auf internationaler Ebene kommt es vermehrt zu einer Zusammenarbeit bei der Katastrophenhilfe. Als positive Entwicklung bemerkte Holmes, dass es innerhalb des organisatorischen Rahmens der ASEAN vermehrt gegenseitige Unterstützungserklärungen gibt und auch an Initiativen zur gemeinsamen Nutzung von Informationen gearbeitet wird.
Im zweiten Vortrag dieses Panels mit dem Titel „Multicultural Japan? Southeast Asia and tabunka kyōsei“ schlug Patrick Heinrich (Universität Dokkyo, Japan) vor, die Frage nach Japans Multikulturalität aus einem neuen Blickwinkel heraus zu betrachten. Japan sei, so argumentierte Heinrich, schon immer multikulturell, multilingual und ethisch heterogen gewesen und wird es auch zukünftig sein. Die Vorstellung einer homogenen Gesellschaft (und dadurch die Auffassung von Multikulturalität als zu bewältigendes Problem) sei eine moderne Idee, welche sich aber in vielerlei Hinsicht politisch, institutionell und auch wissenschaftlich verfestigt hat. Aus diesem Blickwinkel betrachtete Heinrich die japanischen Immigrationsdebatten seit den 1980er Jahren: Diese wurden und werden noch immer nach dem Gesichtspunkt der Einheit der Gesellschaft geführt. Dennoch ist seit einiger Zeit durchaus eine Tendenz in Richtung multikulturellem Gesellschaftsentwurf erkennbar. So werden auch in aktuellen Programmen und Initiativen der japanischen Regierung neue Realitäten in Bezug auf Immigration anerkannt, aber ebenso werden auch interne Differenzierungen in der japanischen Gesellschaft stärker wahrgenommen.
Panel 4: Development cooperation, modernity and social integration: Japan’s contribution to development in Southeast Asia
In seinem Vortag „Japan’s Legal Technical Assistence in Southeast Asia“ befasste sich Moritz Bälz (Universität Frankfurt/Main) mit einem Teilbereich der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit, der „Legal Technical Assistance“ (LTA). Dies bezeichnet die Unterstützung von Entwicklungsländern beim Aufbau oder bei der Verbesserung ihres rechtlichen Systems. Bälz vertrat dabei die These, dass Japan aufgrund seiner historischen Erfahrung mit der Adaption auswärtigen Rechts einen anderen Zugang zur LTA als andere Länder habe.
Japans LTA kommt vor allem in ASEAN-Ländern zum Einsatz und ist im Vergleich zu anderen Geber-Ländern stärker zentral geleitet. Als die drei Säulen der japanischen LTA beschrieb Bälz: (1) Unterstützung beim Entwurf von Rechtstexten, (2) Unterstützung beim Aufbau von Institutionen und (3) Unterstützung bei der Ausbildung von Rechtsexperten. So werden beispielsweise in Kambodscha seit 1999 grundlegende Gesetzestexte von einem japanisch-kambodschanischem Team ausgearbeitet. Weiter hilft Japan auch bei der Ausbildung von Experten. Bei diesem Beispiel handelt es sich laut Bälz ausdrücklich nicht um eine bloße Übertragung des japanischen Systems, sondern um eine auf den Kontext des Empfängerstaates angepasste Adaption. Des weiteren sei Japans LTA gründlich vorbereitet und langfristig gedacht. Grund für diese Charakteristika, so Bälz, könnten Japans eigene Erfahrungen im Modernisierungsprozess sein, sprich: das Bewusstsein um die Notwendigkeit der Anpassung von rechtlichen Konzepten auf spezifische kulturelle Kontexte.
Der zweite Vortrag des Panels, „Modernities in Japanese and Vietnamese“ von Iwatsuki Jun’ichi (Universität Tokyo, Japan) befasste sich ebenfalls mit Übertragungprozessen von modernen Konzepten in Südostasien. Iwatsuki schilderte die Übersetzung von modernen, westlichen Ideen (z.B. Sozialdarwinismus) in asiatische Sprachen im späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert. Am Beispiel von Vietnam zeichnete er ein komplexes Bild von der gegenseitigen historischen und semantischen Einflussnahme von klassischem Chinesisch, Französisch, Vietnamesisch (in romanisierter Umschrift) und Japanisch. Die Frage nach der Verwendung oder Nichtverwendung chinesischer Schriftzeichen war Iwatsuki zufolge eine politische Frage, aber auch die französisch-vietnamesischen Übersetzungen von modernen Konzepten wie etwa „Freiheit“ führten zu starken semantischen Verschiebungen. Iwatsuki stellte die These auf, dass auch japanische Übersetzungen moderner Begriffe nach Vietnam gelangt sein könnten, aber generell beschrieb er die Entwicklungen dieser Zeit als eine Zeit der Übernahme westlicher Konzepte auf Basis chinesischer Vokabeln innerhalb des Spannungsfeldes der Kolonialisierung Südostasiens und der Entwicklung eigener regionaler Nationalsprachen. Um diesem komplexen Thema gerecht zu werden forderte Iwatsuki, dass man die Informationszirkulation in ganz Ostasien zu dieser Zeit mitberücksichtigen müsse.
Abschlussdiskussion: Finding „Asia“
Die Abschlussdiskussion der Tagung fand unter dem Titel „Finding ‚Asia’“ statt und wurde von zwei Vorträgen eingeleitet. Das erste Referat von Nawa Katsuo (Universität Toyko, Japan) befasste sich mit verschiedenen Konzeptionsmöglichkeiten der Räume „Asien“, „Ostasien“ und „Südostasien“. Nawa betonte die historischen Kontingenzen, die zur Entstehung dieser geographischen Zuordnungen führten. Ebenso erinnerte er auch daran, dass Südostasien als multilingual, multireligiös und von verschiedenen Schriftsystemen geprägt zu denken sei und dass die Grenzen je nach Perspektive unterschiedlich ausfallen. Dies führt, so das Plädoyer von Nawa, zur Notwendigkeit der Vernetzung und der Schaffung von pluralen Forschungsansätzen, welche interdisziplinär, transregional und nicht auf den „anglophonen Bereich“ zentriert sein sollen.
Der zweite Vortrag von Ronald Holmes (Universität De La Salle, Philippinen) gab abschließend noch einmal einen Überblick über die Probleme und Herausforderungen, welche sich die Staaten und Gesellschaften in (Süd-) Ostasien derzeit und in Zukunft stellen müssen. Dies sind große Fragen wie die nach nachhaltiger, wirtschaftlicher Entwicklung oder der “Democratic Governance“. Dazu kommen aber auch viele weitere konkrete Problempunkte, welche auch im Laufe der Tagung besprochen wurden: Migration, Alterung der Gesellschaften, Katastrophenbewältigung und die Entwicklung von intraregionaler Zusammenarbeit. In allen Fällen, so Holmes abschließende Bemerkung, sei es wichtig die konkreten historischen, politischen und sozialen Kontexte der verschiedenen Länder zu verstehen und dabei aber auch die Souveränität der einzelnen Staaten zu respektieren.
Ein Schwerpunkt der anschließenden Diskussion war das Problem der Konzeption von regionalen Räumen wie „Südostasien“. Innerhalb der Regionalwissenschaften gibt es verschiedene historische und zeitgenössische Konstruktionen, welche alle unter Berücksichtigung der historischen Kontingenz betrachtet werden müssen (so wurde auch darauf hingewiesen, dass die „Area Studies“ selbst aus der konkreten zeitgeschichtlichen Situation des kalten Krieges heraus entstanden). Die Regionalwissenschaften haben aber auch die Fähigkeit, neue Konzepte (wie beispielsweise das „Zomia“-Konzept von Willem van Schendel) für sich zu vereinnahmen und als neuen Forschungsgegenstand innerhalb ihrer klassischen disziplinären Strukturen zu inkorporieren. Um dieser „Falle“ zu entgehen, wurde offen über neue Möglichkeiten der Konstruktion von geographischen Räumen nachgedacht, über die Notwendigkeit, Grenzen nicht mehr als strikte Größen zu sehen, den Fokus auf intraregionale, interregionale und internationale Verbindungen zu legen und von der Konzentration auf einzelne Staaten abzukehren. Es wurde daran anschließend auch das Verhältnis von Japan und Asien diskutiert und angemerkt, dass in derartigen Diskursen „Asien“ (als Singular) keinem geographischen Raum entspreche, sondern eine Vorstellung/Projektion innerhalb des japanischen Kontextes darstelle und als solches auch in der (zukünftigen) Betrachtung des Problemfeldes „Japan und Asien“ verstanden werde müsse.
Hanno Jentzsch (Universität Duisburg-Essen) und Peter Mühleder (Universität Wien)