Fachgruppensitzung Bildung und Erziehung 2020

 

Leitung:

Dr. Vincent B. Lesch

Dr. Stephanie Osawa (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)

 

Die Jahrestagung der Vereinigung für Sozialwissenschaftliche Japanforschung (VSJF) konnte im Jahr 2020 aufgrund der Corona-Pandemie nicht stattfinden. Die Fachgruppen tagten allerdings im online-Format. Die Fachgruppe Bildung und Erziehung konnte sich einer hohen Teilnehmer*innenzahl sowie einer durchweg positiven Resonanz erfreuen. Der folgende Bericht beinhaltet kurze Zusammenfassungen der gehaltenen Vorträge sowie Informationen zu den Referent*innen. Außerdem geben wir den Referent*innen die Möglichkeit, ihre Eindrücke von dem Treffen zu schildern.

Bei Nachfragen zu den Vorträgen oder dem Wunsch, mit einem der Vortragenden Kontakt aufzunehmen, können sich Interessierte gerne an die Fachgruppenleitung wenden (education@vsjf.net).

Wir möchten schon an dieser Stelle darauf hinweisen, dass es auch im Jahr 2021 die Möglichkeit geben wird, eigene Projekte auf dem Fachgruppentreffen vorzustellen. Die Fachgruppe versteht sich als Forum, das insbesondere den Austausch zwischen Nachwuchs (auch Studierenden), erfahrenen Wissenschaftler*innen und einer interessierten Öffentlichkeit fördert. Es ist zudem unser Ziel, den Austausch und Dialog über die Jahrestagung der VSJF hinaus zu ermöglichen bzw. aufrechtzuerhalten. Bei Interesse wenden Sie sich an die Leitung der Fachgruppe.

 

Maria Blödel

Erziehung und Kultur: Kōtō gakkō – normales Gymnasium, berufliches Gymnasium oder Einrichtung für Schüler mit besonderen Bedürfnissen – ein Erfahrungsbericht

Kōtō gakkō stellen einen festen Bestandteil des japanischen Schulsystems dar. Viele von ihnen, darunter insbesondere Privatschulen, unterliegen dem Vorurteil, hauptsächlich Schüler*innen aufzunehmen, die als Problemfälle gelten. Schulverweigerer, Schüler*innen mit Mobbingerfahrung oder mental labile Schüler*innen zählen dazu. Sucht man den Begriff kōtō gakkō im Wörterbuch, findet man häufig die Übersetzung „Gymnasium“, treffender ist die Übersetzung „Oberschule“. Dass einige Schulen, wie eben dargestellt, als Sammelbecken für „Problemschüler*innen“ gelten, lässt sich hieraus nicht erschließen. Worum handelt es sich also wirklich bei kōtō gakkō?

Mit dieser Frage hat sich Maria Blödel in ihrem Vortrag beschäftigt. Dies tat sie am Beispiel der Clark Memorial International High School, an der sie zurzeit eine Lehrtätigkeit ausübt. Die Clark Memorial International High School ist die größte kōtō gakkō in Japan. Mit japanweit 47 Campussen weist sie auch die größte Schüler*innenzahl auf. Zusätzlich zum normalen Gymnasialunterricht bietet sie beruflich orientierten Unterricht an, so dass sie universitäts- und berufsvorbereitend zugleich ist. Maria Blödel hat in ihrem Vortrag das Profil der Schule genauer vorgestellt, um anschließend gemeinsam mit den Teilnehmer*innen der Fachgruppe deren charakteristischen Stellenwert im japanischen System der Oberschulen zu diskutieren.

Gedanken nach dem Fachgruppentreffen:

„Vielen Dank für die Möglichkeit meine Projektidee vorstellen zu können. Es war mein erster Vortrag auf einer Tagung wie dieser und ich war mir nicht sicher, ob mein Niveau dem entsprach was erwartet wurde. Da mein Projekt aber noch in den Kinderschuhen steckt, habe ich es als Möglichkeit angesehen herauszufinden, wie viel man damit machen kann. Und das Feedback hat mir sehr weitergeholfen, sodass ich nun weiß, worauf ich achten muss und was in meiner Arbeit definitiv noch mit Erwähnung finden muss. Alles in Allem war es ein voller Erfolg und ich würde mich freuen beim nächsten Treffen wieder dabei sein zu dürfen. Vielen Dank noch einmal für diesen schönen und interessanten Abend. Aus der Fachgruppe nehme ich demnach viele neue Ideen, Verbesserungsmöglichkeiten, erweiterte Forschungsansätze und noch mehr Motivation mit, mein Projekt ins Rollen und dann zu Papier zu bringen.“

Maria Blödel (MA) arbeitet derzeit an der Clark Memorial International High School in Japan. Sie hat ihren Masterabschluss an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg in Anglistik und Japanologie gemacht und ihre Forschungsgebiete umfassen u.a. Diskriminierung von Minderheiten in Japan, Motivationsforschung, das japanische Bildungssystem sowie Hierarchiestrukturen in der japanischen Gesellschaft.

 

Matthias Hennings

Graduate Employability in Japan – A Comparison of Future Work Selves and Proactive Career Behaviours

The shift from organisational to self-managed careers has led to an increasing need for graduates to make investments in their own skills and proactively manage their individual employability. In Japan, however, a significant mismatch exists between the skills new graduates possess and the skills employers expect, with Japanese employers reporting an average satisfaction score of only 39 points for graduate skills, compared to a global average of 66 (QS 2019). By drawing on the concepts of ‘future work self’ and ‘proactive career behaviour’, Matthias Hennings explored the different career behaviours of Japanese and international students at a private university in Japan and showed why such a big gap in skills exists among Japanese students. In his presentation he demonstrated, that due to contextual factors like the unique Japanese recruiting system and firm-level training, fewer Japanese students develop the knowledge and skills important to their futures in comparison with international students, making them largely reliant on the concept of an organisational career rather than a self-managed one.

Gedanken nach dem Fachgruppentreffen:

„Die VSJF-Fachgruppe Bildung und Erziehung ist eine hervorragende Plattform, um Forschungsprojekte, Abschlussarbeiten oder Erfahrungsberichte vorzustellen und in der anschließenden Diskussion erhält man wertvolle Tipps und Anregungen anderer Fachgruppenteilnehmer. Zudem schätze ich sehr die überaus freundliche und kollegiale Atmosphäre der Treffen, die jedem Vortragenden schon zu Beginn die Anspannung nimmt und zu neuen Kontakten in Deutschland, Japan und anderen Teilen der Welt führt.“

Prof. Dr. Matthias Hennings ist Associate Professor und Direktor des Contemporary Japan Programms an der Kwansei Gakuin University. Prof. Hennings forscht im Bereich des japanischen Arbeitsmarktes, zur Internationalisierung der Bildung in Japan sowie dem Zusammenhang zwischen Arbeitsmarkt und tertiärer Bildung.

 

Susanne Kreitz–Sandberg

School attendance problems in international comparison – Statistics, risk groups and prevention in Sweden, Germany, Japan and the UK

In this presentation Susanne Kreitz-Sandberg introduced an international comparative project that investigates national, organisational and individual dimensions of school attendance problems of 15-17-year old school students. The project is financed by the Swedish Research Agency (2019-2022) and uses a mixed method approach combining quantitative analysis of large-scale data on the national level with qualitative case studies on the organisational and individual level. The following research questions will be answered in the project:

  1. What can national and international comparative statistics contribute to our understanding of SAP among adolescents in Sweden, the UK, Germany and Japan?
  2. What can we understand about SAP and its prevention from the perspective of professionals working with student health in these countries?
  3. How can we understand the situation of individuals who belong to certain risk groups and the adolescents´ perspectives on schooling and (lack of) social support in these countries?

The study consists of three sub-studies. In the presentation for the VSJF Section Education Susanne Kreitz-Sandberg provided an overview of this international comparative study and shared some results from the first sub-study. Possibilities and challenges of this kind of studies between different education and social systems as Germany, Japan, Sweden and the UK were discussed.

More information about the project and actively engaging researchers is available on: https://www.edu.su.se/english/research/international-comparative-perspectives-on-school-attendance-problems

Gedanken nach dem Fachgruppentreffen:

„Wie können wir die nationale Statistik zum Schulabsentismus (futōkō) und Daten der PISA-Studie zum Schulversäumnis interpretieren? Seit 2012 steigen die Zahlen zu langfristigem Schulversäumnis in Japan. Ca. 4% den Schüler*innen im Mittelschulalter fehlen mehr als 30 Tage pro Schuljahr. Dabei liegt die Definition mit 30 Tagen Fehlzeit pro Jahr höher als in anderen Ländern mit amtlicher Statistik zum Schulversäumnis. In Großbritannien liegt die Grenze zum Beispiel bei 18 Tagen. Dort sind es allerdings auch noch mehr Schüler*innen, die so viel fehlen. Für Deutschland oder Schweden gibt es keine vergleichbare nationale Statistik. Entsprechend von Daten der PISA-Studien von 2012-2018 liegt der Anteil der Jugendlichen in Japan, die nach eigenen Angaben mindestens eine Tag während der vergangenen 2 Wochen gefehlt haben oder die zu spät zum Unterricht gekommen sind, deutlich niedriger als in Deutschland, England oder Schweden. Doch wie sollen wir das verstehen? Ist der Anteil der Jugendlichen, die viel von ihrer Schulpflicht verpassen, in anderen Ländern (ohne vergleichbare Statistik) noch höher als in Japan? Oder spielt das Antwortverhalten oder die Teilnahme am Test eine Rolle? Diese und weitere Fragen werden wir weiter im Projekt untersuchen, wie auch andere interessante Fragen von Fachgruppenteilnehmerinnen, die z.B. dem Verständnis der jeweiligen Wohlfahrtsstaats- und Schulsystemen galten.“

Dr. Susanne Kreitz-Sandberg ist Associate Professor in International and Comparative Education an der Universität Stockholm. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Schulabsentismus im Ländervergleich und Gender im erziehungswissenschaftlichen Kontext. Sie hat in der Vergangenheit auch die Fachgruppe Bildung und Erziehung der VSJF geleitet.

 

Vincent B. Lesch

Social media as a tool for independence: New engagement strategies of NPOs in the Japanese education sector

Using social media to stay competitive in a globalized society or operational during times of crisis can be considered highly valuable for NPOs. Not only low–cost benefits are appealing for the financially strained NPOs in Japan but also the overall low level of technical expertise needed to make use of this outlet. Early studies have shown that many NPOs equate their mere presence on Facebook and Twitter as enhanced dialogic communication. Providing this form of outlet for communication is, however, far removed from actual strategic engagement with their perceived audience.

The Corona pandemic has confronted not only educational institutions but also the NPO sector with severe challenges. In the education system Information and communication technology (ICT) tools are being used to adapt to the crisis and the importance of digitalization has now more than ever become apparent to civil society actors. In his presentation Vincent Lesch introduced his project regarding social media engagement and ICT use of NPOs which are active in the Japanese education sector. Focus of his study are the analysis of the Facebook and Twitter engagement of NPOs in the Greater Tokyo Area as well as data from a smaller number of in–depth explorative case studies. NPOs which are active in the education sector provide an excellent example for the need to embrace the changing educational reality in terms of ICT use and the trend towards digitalization in the Japanese civil society.

Working together as equal partners with the government and further empowering the Japanese civil society can be achieved by more independence from the government and an increased communication with society by means of social media to improve NPO literacy among the public. SNS and ICT are bound to play a crucial role in the future of NPO engagement and fundraising.

With his study he aims to set new impulses regarding the impact of SNS engagement on NPOs in the education sector, empowerment of the Japanese civil society through digitalization as well as NPO longevity and independence.

Gedanken nach dem Fachgruppentreffen:

„Die Fachgruppen der VSJF wurden dieses Jahr aus gegebenem Anlass nur online abgehalten. Dies hat sich aber weder auf die Qualität der Vorträge noch auf die Teilnehmerzahl ausgewirkt. Studentische Zuhörer waren dieses Jahr besonders stark vertreten. Das digitale Format hat in unsere Fachgruppe hervorragend funktioniert und wir würden in Zukunft sehr gerne ein hybrides Format anbieten, damit auch Personen teilnehmen können, für die eine Anreise zur Jahrestagung aus welchen Gründen auch immer nicht möglich ist. Durch die Möglichkeit, auch digital an der Fachgruppe teilzunehmen, würden wir nicht nur die Reichweite der Fachgruppe erhöhen, sondern auch eine digitale Plattform für den Austausch zu erziehungswissenschaftlichen Themen in der Japanforschung schaffen. “

Dr. Vincent B. Lesch leitet zusammen mit Dr. Stephanie Osawa die Fachgruppe Bildung und Erziehung der VSJF. Seine Forschungsschwerpunkte sind zivilgesellschaftliches Engagement im japanischen Erziehungssystem, der Übergang von Schule in den Arbeitsmarkt, sowie Schulabsentismus und soziale Ungleichheit in der Bildung.