Fachgruppensitzung Soziologie und Sozialanthropologie 2011

Nach einer kurzen Begrüßung durch die Sprecher der Fachgruppe und einer Vorstellungsrunde wurden dieses Jahr vier Forschungsprojekte präsentiert und diskutiert. Als erste Referentin stellte Barbara Holthus vom Deutschen Institut für Japanstudien einige Ergebnisse aus ihrem Forschungsprojekt zur Kinderbetreuung und Elternzufriedenheit vor. In ihrem Vortrag konzentrierte sie sich auf eine Analyse der Rolle der Großeltern in der Kinderbetreuung. Die Auswertung ihrer Befragung von 350 Eltern aus dem Jahr 2008 zeigt, dass in Japan Großeltern ein großer Anteil an der Kinderbetreuung zukommt, auch wenn das Kind gleichzeitig in einer Kindertagesstätte untergebracht ist. Wie die starke Inanspruchnahme familiärer Unterstützung zeigt, reicht das existierende institutionalisierte Betreuungsangebot nicht aus. Holthus kritisierte, dass in der Diskussion um sozialpolitische Maßnahmen, die der extrem niedrigen Geburtenrate entgegenwirken könnten, die Rolle großelterlicher Betreuungsleistungen gegenwärtig nur kaum oder gar keine Rolle spielt.

Zweiter Referent war Daniel Schölzel von der Universität Leipzig, der zum Thema „Subjektivierung von Arbeit“, Ergebnisse seiner im Sommer 2011 abgeschlossenen Magisterarbeit vorstellte. Anhand qualitativer Interviews hatte er den Wandel der japanischen Arbeitsgesellschaft analysiert. Insbesondere konzentrierte er sich dabei auf eine Analyse von Prozessen der Subjektivierung und Entgrenzung von Erwerbsbeziehungen unter Normalbeschäftigten, da deren berufliche Selbstwahrnehmung – anders als die atypischer Beschäftigter – bisher noch kaum untersucht wurde. Dabei zeigte sich, dass junge Japaner in Festanstellung sich ebenso mit Fragen der Selbstdefinition, inhaltlichen Erfüllung, aber auch der finanziellen Absicherung auseinandersetzen wie ihre nicht-regulär beschäftigten Altersgenossen. Der Aspekt inhaltlicher Selbstverwirklichung schien jedoch im Vordergrund zu stehen.

Nach der Kaffeepause stellte Klaus Zehbe, Technische Universität Cottbus, sein Dissertationsprojekt „Praxeologische Untersuchungen von Sozialisationsprozessen im klassischen japanischen Theater auf der Grundlage der Realisierung von Tänzen (komai) im Kyōgen“ vor. Während Vermittlungspraxis und Schauspieltheorie des Kyōgen die Notwendigkeit betonen, dass Kyōgen-Spieler einen individuellen künstlerischen Ausdruck finden, wahrt dieses Genre des klassischen japanischen Theaters eine eigentümliche Kontinuität des theatralischen Ausdrucks. Zehbe schilderte seine Hypothese, dass diese Weitergabe spezifischer Ausdrucksformen auf Sozialisationsprozesse zurückzuführen sei. Im Zentrum seiner Untersuchungen stehen die „kleinen Tänze“ (komai) und die Frage, was diese Form ausmacht und wie Schauspieler zu solchen werden. Hierbei bezog er sich unter anderem auf eigene Erfahrungen aus seiner Feldforschung, aber es kamen auch Konzepte wie die „relative Würde“ (kurai), „Form“ (kata), individueller künstlerischer Ausdruck (kosei) und schlechte Angewohnheiten eines Individuums (kuse) zur Sprache. Bildmaterial aus der empirischen Feldforschung des Vortragenden rundeten den Beitrag ab.

Im vierten und letzten Beitrag berichtete Wolfram Manzenreiter (Universität Wien) von seiner vor kurzem abgeschlossenen dreimonatigen Feldforschung in Argentinien, Bolivien und Paraguay zum Thema „Diaspora in der Krise? Leben im transnationalen Raum“. Diese explorative Studie beschäftigt sich mit japanischen Siedlungen in Südamerika und ihrer Vernetzung mit überregionalen und transnationalen Organisationen. Manzenreiter illustrierte mit zahlreichen Bildern zum einen die Instrumentalisierung von Identität, zum anderen aber auch die Diskrepanz zwischen Projektionen einer ethnischen Identität und der in vielen Fällen zutreffenden Realität der Abnahme des nikkei community life und einer schwindenden Vernetzung unter japanischstämmigen Einwohnern in Südamerika.

Dr. Carola Hommerich (Deutsches Institut für Japanstudien, Tokio)
Dr. Susanne Klien (Deutsches Institut für Japanstudien, Tokio)