Jahrestagung 2000

Japan im Vergleich

(Dezember 2000, Universität Heidelberg)

Zusammenfassung der Beiträge

Sugimoto Yoshio

Sugimoto Yoshio (LaTrobe University, Melbourne) hob in seiner keynote speech„Japan in Comparison“ das Problem hervor, wie ungerechtfertigte Verallgemeinerungen auf intra- und internationaler Ebene in der vergleichenden Forschung vermieden werden können. Wenn man nämlich bei der Analyse die inter-nationalen Variationen betone, blende man tendenziell die Variationen zwischen verschiedenen Gruppierungen innerhalb einer Nation/Gesellschaft aus und fördere somit nationale Stereotypen. Betone man hingegen die intra-nationalen Variationen, sei eine Einebnung der Variationen zwischen nationalen Gesellschaften die Folge. Der zweite Punkt, auf den Sugimoto einging, bezog sich auf mögliche Fallen bei der Verwendung emischer („emic“) und ethischer („ethic“) Begriffe. „Ethische“ – kulturübergreifend anerkannte – Begriffe in den Sozialwissen-schaften hätten sich zwar durch jahrzehntelange Verwendung international bewährt, ihre analytische Nützlichkeit stoße jedoch aufgrund ihrer fast ausschließlich westlichen Wurzeln an Grenzen. Deshalb sei der Versuch, emische – nur innerhalb der jeweiligen Kultur anerkannte – Begriffe bei der Analyse anderer Gesellschaften zu verwenden und sie dadurch in ethische Begriffe zu verwandeln, so wichtig. Als potenziell fruchtbare Beispiele dafür nannte er japanische emische Begriffe wie tate shakai (vertikale Gesellschaft) oder amae (Wunsch nach Geborgenheit in Abhängigkeit). Allerdings müsse man sich stets bewußt sein, daß die mit emischen Begriffen bezeichneten Merkmale nicht notwendigerweise die Angehörigen der Kultur, der sie entstammen, stärker prägen als Angehörige anderer Kulturen. So sei etwa die sog. „kanjin-Orientierung“ der Japaner, die Hamaguchi Eshun so hervorgehoben habe, in Japan selbst niedriger als in anderen Gesellschaften ausgeprägt.

Claudia Weber

Claudia Weber (Tübingen) widmete ihren Vortrag „Der Gesellschaftsvergleich in der Soziologie“ jenen Traditionen und Problemen des Gesellschafts-vergleichs in der Soziologie, die in den zeitgenössischen theoretischen und methodischen Überlegungen zum komparativen Vorgehen nach wie vor virulent sind: Im variablenbasierten Länder-und Nationenvergleich, der sich ausgefeilter Techniken bedient, fungiere der Vergleich als indirektes Experiment und ziele auf objektive Erklärung. Eine andere, eher kultur-wissenschaftliche Tradition der Soziologie betone den Konstrukt-Charakter des Vergleichens als ‚denkende‘ Ordung empirischer Vielfalt, die auf subjektive Typenbildung und Interpretation verwiesen ist. In genuin-soziologischer Perspektive stelle der Gesellschafts- und Kulturvergleich eine universale, jeder Wissenschaft vorausgehende soziale Praxis des Denkens und Handelns dar, die an explizite und implizite Partikularismen und Hegemonialansprüche gebunden bleibt, so sehr sie sich auch im Namen der Wissenschaft davon befreien will. Soziologisch verkürzt wäre es, Globalisierung auf die hegemoniale Angleichung der Denkkategorien und Lebensumstände zu reduzieren und die Vielfalt der Moderne zu ignorieren, die sich auf der Basis wechselseitigen Vergleichens und realer Interpenetration herausbildet. Für die Probleme des Gesellschafts-vergleichs im skizzierten Sinn stelle Japan als einziges nichtwestliches, fortgeschrittenes Industrieland eine besondere Herausforderung dar.

Shimada Shingo

Shimada Shingo (Halle) sprach sich zunächst gegen den Kulturvergleich unter holistischen oder universalhistorischen Prämissen (etwa auf modernisierung-stheoretischer Grundlage) aus, um dann für einen hermeneutsch-interpretativen Ansatz mit Hilfe qualitativer Methoden (hier vor allem das lebensgeschichtliche Interview) zu plädieren. Die Vorstellungen von Zeit und Zeitlichkeit in Japan, deren Untersuchung im Mittelpunkt von Shimadas DFG-Projekt an der Universität Erlangen stand, sind ihm zufolge immer noch nicht adäquat fassbar. Während es in diesem Projekt anfangs um die Erfassung des alltäglichen Zeitempfindens der interviewten Japanerinnen und Japaner gegangen sei, habe sich der Schwerpunkt im weiteren Verlauf auf die Erforschung der Wahrnehmung der verschiedenen Lebensphasen seitens der Interviewten verlagert. Dabei seien Zusammenhänge zwischen dem rasanten sozio-ökonomischen Wandel, der sich während der vergangenen Jahrzehnte am Untersuchungsort vollzogen hatte, und den Veränderungen in den von den Interviewten geschilderten Biographien deutlich zutage getreten. Methodisch unterschied Shimada zwischen der vergleichenden Perspektive auf
1) der Ebene der befragten Akteure,
2) derjenigen des intellektuellen Diskurses in Japan,
3) der Ebene von Analogieschlüssen des Forschers im Feld sowie
4) der Ebene der wissenschaftlichen Reflexion.

Sebastian Conrad

Unter dem Titel „Wie kann man moderne Geschichtsschreibung in Japan und Deutschland vergleichen? Zu Gegenstand und Methode“ beschäftigte sich Sebastian Conrad (Berlin) mit der entscheidenden Rolle der transnationalen Einflüsse bei der Entstehung der Geschichtsschreibung. So sei die moderne Geschichtsschreibung in Japan nicht nur im Hinblick auf ihre am westlichen Vorbild orientierte Epocheneinteilung durch den Einfluß westlicher Geschichts-schreibung geprägt worden. Vielmehr hätten sich die ersten Versuche, die „Geschichte Japans“ als eine sich entlang einer Zeitachse vollziehende, von einem Stadium zum nächsten fortschreitende Entwicklung einer „Nation“ darzustellen, aus der Überlegung ergeben, der so aufgebauten Geschichts-schreibung westlicher Nationen etwas „Eigenes“ entgegenzusetzen. Insofern sei es im Rahmen des Vergleichs in der Geschichtswissenschaft erforderlich, nicht nur die Auswirkungen internationaler Einflüsse auf die historischen Ent-wicklungen einer Nation zu berücksichtigen, sondern auch den Gegenstand des von ihm vorgenommenen Vergleichs selbst, nämlich Geschichtsschreibung, als ein Produkt transnationaler Prozesse zu begreifen.

Nomura Masami

Nomura Masami (Tôhoku-Universität, Sendai) berichtete im nächsten Abschnitt der Tagung unter dem Titel „Declining ‚Total Employment‘ in Japan“ über die Hintergründe der steigenden, bis vor kurzem jedoch auffällig niedrigen Arbeitslosigkeit in Japan. Dabei unterschied er zwischen „Vollbeschäftigung“ (full employment) und dem, was er als „totale Beschäftigung“ (total employment) bezeichnet, wobei der letztere Begriff auf das Vorhandensein von strukturell und systematisch verdeckter Arbeitslosigkeit, wie sie in Japan wesentlich stärker als in Deutschland vorkomme, hinweisen soll. So hätten seit den 50er Jahren Frauen als eine Arbeitskräftereserve gedient: In Zeiten des Konjunkturaufschwungs seien sie als Teilzeitkräfte zahlreich eingestellt worden, um dann bei einer Konjunktur-flaute entlassen zu werden, wobei sie sich in die Familie zurückgezogen und nicht weiter nach Arbeit gesucht hätten, so daß die Arbeitslosigkeit niedrig geblieben sei. Voraussetzung dafür sei einerseits das Vorhandensein zahlreicher Selbständigenhaushalte gewesen, in die Frauen jederzeit als mithelfende Familienangehörige hätten zurückkehren können, andererseits aber auch das relativ hohe Einkommen der männlichen Verdiener der Kernfamilien, in denen das zusätzliche Einkommen der Ehefrau zwar oft willkommen, aber nicht lebens-notwendig gewesen sei. Diese Voraussetzungen seien jedoch seit einigen Jahren immer weniger gegeben: Zum einen nehme die Anzahl der Selbständigen-haushalte parallel zum Rückgang der Anzahl kleiner und kleinster Unternehmen ab; gleichzeitig steige aufgrund der andauernden Rezession der 90er Jahre die Zahl der Ehefrauen, die nach Entlassung weiterhin auf dem Arbeitsmarkt bleiben. Das Ergebnis sei eine für japanische Verhältnisse dramatische Zunahme der Arbeitslosigkeit.

Gregory Jackson

Gregory Jackson (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln) sprach über„Nicht-liberaler Kapitalismus in Japan und Deutschland im Bereich von Corporate Governance: eine methodische Betrachtung“. Dabei handelt es sich um einen Forschungsabschnitt des Kölner Projekts über verschiedene Erscheinungsformen des Kapitalismus in Japan, USA und Deutschland. Jacksons Fragestellung lautete: Warm haben sich in Deutschland und Japan nicht-liberale corporate-governance-Modelle entwickelt? Und werden diese national organisierten Systeme unter dem Druck der Internationalisierung mit dem anglo-amerikanischen Modell konvergieren? Der Referent gab zunächst einen Überblick über die mit dichotomischen Begriffen arbeitenden Typologien der vergleichenden Methode – z.B. corporate vs. investor capitalism (Okumura), stakeholder- vs. shareholder capitalism (Itami), um danach bisherige Erklärungs-ansätze zu hinterfragen. Er schlug vor, stärker auf eine soziologische Theorie der Institutionen zurückzugreifen. Der Vergleich zwischen Japan und Deutschland ergebe für beide Länder den Befund „nicht-liberal“, da in beiden die Vermarktung von Kapital und Arbeit institutionell stark limitiert sei und eine langfristige Bindung von Kapital und Arbeit existiere. Für letztere sind Jackson zufolge unterschiedliche institutionelle Mechanismen wirksam: in Deutschland führen sie zum „konstitutionellen Unternehmen“, in Japan zur „Unternehmensgemein-schaft“. Dabei handele sich um funktionale Äquivalente im nicht-liberalen Modell.

Patrick Köllner

Patrick Köllner (Hamburg) leitete seinen Vortrag im Programmabschnitt „Japan und Ostasien“ über den Faktionalismus in Japan und Südkorea mit einem frühen Zitat des liberalen Politikers Ozaki Yukio (1859 -1954) über den faktionalistischen Charakter politischer Parteien in Japan ein, wonach diese von „feudalen Relikten“ geprägt seien. Heute würde von niemandem mehr eine solche Charakterisierung vorgenommen. Nach Köllner könne die Kategorie „Faktionalismus“ vielmehr für die Analyse informaler Politik durchaus nützlich sein. Bei der Wertung des Faktionalismus griff er O’Donnells Aussage auf, wonach informale Strukturen dann gefährlich würden, wenn sie die Demokratie dominierten. Anschließend wandte sich Köllner der Beschreibung des Faktionalismus zu, wobei er als Funktionen der habatsu „Beuteverteilung“, „Repräsentation externer Interessen“ sowie Verfolgung politisch-ideologischer Positionen (letztere in den Linksparteien) nannte. In Deutschland würden dieselben Funktionen von anderen Institutionen wahrgenommen. Hinsichtlich des Vergleichs zwischen Japan und Südkorea scheidet für den Referenten die Möglichkeit eines gemeinsamen Modells aus. In der Diskussion zeigte sich allerdings die mangelnde Erklärungsfähigkeit des funktionalistischen Ansatzes, als nach den Gründen für die Existenz von Faktionen in Japan und Südkorea, und für ihr Fehlen in Deutschland und anderen Ländern gefragt wurde.

Martina Timmermann

Martina Timmermann (Hamburg) berichtete über den theoretischen Rahmen und geplante praktische Schritte für ihr gerade angelaufenes DFG-Forschungsprojekt„Die Menschenrechtspolitik Japans, Indonesiens und der Philippinen – Spiegel einer ‚asiatischen Identität‘?“ Wenn es stimme, daß religiöse Überzeugungen als tief verankerte Werte das Feld der Menschenrechtspolitik prägen, könne gerade der Vergleich dreier religiös sehr verschieden geprägter Länder derselben Region für das Aufspüren von Gemeinsamkeiten weiterführend sein. Zuerst stellte sie Überlegungen dazu an, wie „kollektiver Identität“ überhaupt methodisch beizukommen sei. Drei Fragen sollten die Forschung leiten:
1. Wer ist Träger der kollektiven Identität?,
2. Wer weist sie zu? (hier müsse man zwischen Fremdzuschreibung und Selbstwahrnehmung unterscheiden), und
3. Wann wirkt sie handlungsleitend?
Forschungspraktisch sei geplant, in Experten-Interviews Elemente des Selbst-wahrnehmungsdiskurses herauszufinden. Dabei sei dann zwischen nationalen und regionalen Merkmalen zu unterscheiden. Die Referentin betonte, daß die Erstellung eines Elemente-Kataloges vorab nicht sinnvoll sei. Das zu analysierende Material seien am Ende eines Filterungsprozesses politische Dokumente von Regierungs- und Nichtregierungsseite. In der Diskussion wurden besonders die Schwierigkeiten, Inhalte kollektiver Identität zu belegen, angesprochen.

Angelika Ernst

Im ersten von zwei komplementären soziologischen Vorträgen überManagerkarrieren schilderte Angelika Ernst (München) die Entwicklung der Karrieremuster in japanischen Unternehmen. Im Zentrum standen dabei die Begriffspaare „Berufsanbindung“ versus „Organisationsanbindung“, sowie „Generalistentyp“ versus „Spezialistentum“, wobei gefragt wurde, ob und inwiefern in jüngster Zeit eine Gewichtsverschiebung jeweils vom ersteren zum letzteren stattgefunden hat. Das Ergebnis ihrer Untersuchung, für die die empirischen Daten in den Jahren 1993-1995 gesammelt wurden, zeige, daß im Vergleich zu früheren Zeiten das Spezialistentum sowie eine berufsorientierte Eigensteuerung der Karriere heute stärker gefördert wird. Zugleich bleibe das Generalistentum nach wie vor robust, und die Generalistenkarriere gelte nach wie vor als „Königsweg“. Hinzu komme, daß die Organisationsanbindung weiterhin von vorrangiger Bedeutung sei; „in-Haus“-Titel und Qualifikationsstandards würden den überbetrieblichen klar vorgezogen. Freilich sei nicht außer Acht zu lassen, daß sich kleine und mittelständische Unternehmen im Hinblick auf Karrieresteuerung anders verhalten als Großunternehmen: erstere seien experimentierfreudiger und innovativer als letztere. Die bisherigen Forschungsergebnisse reichten jedoch nicht aus, um definitive Aussagen hierzu zu begründen.

Michael Faust

Im zweiten der beiden Vorträge beleuchtete Michael Faust (Göttingen) die Muster der Karriereentwicklung in deutschen Unternehmen in jüngster Zeit. Seine Darstellung stützte sich auf Aspekte der Ergebnisse einer Untersuchung zu strukturellen Veränderungen in deutschen Unternehmen seit Anfang der 90er Jahre. Im Gegensatz zum japanischen Fall seien die Karrieremuster in Deutschland stark am Spezialistentum orientiert. Die meisten Manager stiegen in einem Funktionsbereich auf, der Übergang in „generalistische“ Führungspositionen erfolge relativ spät. Was jedoch die Organisationsanbindung betrifft, so wiesen deutsche Großunternehmen faktisch bedeutende Ähnlichkeiten zu den japanischen auf, da auch dort ein implizites lebenslanges Beschäftigungsverhältnis für Manager bestehe und die Rekrutierung von Führungskräften in hohem Maße organisationsintern stattfinde. Im Zuge der Krise der 90er Jahre seien jedoch Entwicklungen weg vom obigen, traditionell „rheinischen“ Modell zu beobachten. So erfahre aufgrund der Funktions-integration sowie der Förderung der Mobilität in Unternehmen das Generalistentum eine Aufwertung gegenüber dem Spezialistentum, was eine gegenläufige Entwicklung zum japanischen Fall darstelle. Gleichzeitig werde die implizit lebenslange Beschäftigung aufgekündigt.

Manuel Metzler

Im Mittelpunkt des Vortrags „Zur Vergleichbarkeit quantitativer Daten in Deutschland und Japan: das Beispiel schulischen Problemverhaltens“ von Manuel Metzler (Halle) stand die Bestätigung bzw. Widerlegung der in Japan verbreiteten Vorstellung, Gewalt an japanischen Schulen habe ein katastrophales Ausmaß erreicht und sei auch im internationalen Vergleich beinahe beispiellos, durch den Vergleich mit Deutschland. Dabei erwies sich die Beschaffung von Daten über deutsche Schulen, die den reichlich vorhandenen japanischen gegenübergestellt werden könnten, aufgrund der dezentralen Verwaltungs-struktur, aber auch des geringeren Interesses an der Thematik in Deutschland als besonders schwierig. Fast immer trete beim sozialwissenschaftlichen Ländervergleich das Problem auf, daß die Datensätze nicht direkt vergleichbar seien. Es bleibe nichts anderes übrig, als die Schlußfolgerungen in ihrem Präzisionsanspruch zu reduzieren. Inhaltlich lautete das Fazit, daß das Ausmaß der Gewalt an deutschen Schulen auch unter Berücksichtigung der begrenzten Vergleichbarkeit der Daten in beiden Ländern auf ungefähr das Zehnfache des Ausmaßes an japanischen Schulen geschätzt werden kann.

Anne Metzler

Anne Metzler (Halle) hielt ihren Vortrag zum Thema „Was ist ein Erziehungsauftrag? Merkmale freiheitsentziehender Maßnahmen in Japan und Deutschland – über die unterschiedlichen Muster des Umgangs mit jugendlichen Straftätern in Japan und Deutschland“. In modernen Industriegesellschaften sei der staatliche Umgang mit delinquenten Jugendlichen heutzutage weniger vom Strafgedanken geprägt, sondern von der Intention, die Jugendlichen zu erziehen. Dies gelte auch für jugendliche Wiederholungs- und Intensivtäter, gegenüber denen freiheits-entziehende Maßnahmen in Einrichtungen der Justiz angeordnet werden. Der Vergleich zwischen Japan und Deutschland zeige, daß zwar in beiden Ländern vorrangig der Erziehungs-gedanke postuliert wird, sich dieser aber bei freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Praxis unterschiedlich niederschlägt. In Japan lasse sich eine eher erzieherisch-rehabilitative, in Deutschland eine eher punitiv-kustodiale Ausrich-tung erkennen. Die Unterschiede wurzeln Metzler zufolge in einer jeweils anderen Auffassung darüber, worauf Erziehung abzielen darf bzw. soll. Die Erziehung in deutschen Jugendstrafanstalten beschränke sich auf die sog. „Legal-bewährung“, weil eine normativ-moralische Beeinflussung als illegitime Zwangserziehung aufgefaßt wird. Die japanischen Besserungsanstalten zielten dagegen über eine lediglich straffreie Lebensführung hinaus: Sie hätten die charakterliche Formung des Jugendlichen zum Wohl der Gemeinschaft zum Ziel. Zwar sei eine direkte Übertragung der japanischen Praktiken auf Deutschland weder möglich noch wünschenswert. Dennoch biete die Erkenntnis, daß der durch individualistisches Denken begründete, fast vollkommene Verzicht auf Beeinflussung des Innen-lebens der minderjährigen Straftäter, wie er in Deutschland praktiziert wird, mit der viel niedrigeren Erfolgsquote der hiesigen Resozialisationsmaßnahmen zusammenhängen mag, Stoff zum Nachdenken.

Hilaria Gössmann

Hilaria Gössmann (Trier) befaßte sich in ihrem Vortrag „Interkulturelle Begegnungen im Spiegel von Literatur und (Fernseh-) Film – ein japanisch-deutscher Vergleich“ mit der Darstellung des Anderen bzw. Fremden – Angehörige ethnischer Minderheiten sowie Ausländer – in ausgewählten japanischen und deutschen Filmen. Besonderes Gewicht erhalten hier die Werke japankoreanischer und deutschtürkischer Autorinnen und Autoren. Die Referentin teilte die von ihr und ihren MitarbeiterInnen untersuchten Filme nach Grundmustern der Handlung in vier Kategorien ein, die auch eine zeitliche Abfolge der Entwicklungsphasen bilden. Es wurde verdeutlicht, daß den Fremden zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Rollen zugewiesen wurden, seien sie nun Verkörperung von Bedrohung oder Rückständigkeit, Träger glücklicher Verheißungen, Objekte der Belehrung oder Quellen von Weisheiten. Im Laufe der letzten Jahre sei jedoch eine Tendenz, die Fremden nicht länger als Projektionsflächen für diverse Bedürfnisse der Einheimischen einzusetzen, sondern sie als selbständig denkende und handelnde Subjekte darzustellen, insbesondere in Deutschland deutlich erkennbar. Ziel dieses interkulturellen Vergleichs sei es, über kulturspezifische Komponenten hinaus allgemeine Muster des Umgangs mit dem Fremden herauszuarbeiten.

Tagungsprogramm

Konzept

Die sozialwissenschaftliche Japanforschung (die historische eingeschlossen) im deutschsprachigen Bereich hat sich, ebenso wie die Japanologie(n), unseres Erachtens zunächst einmal zu wenig mit den theoretischen und methodischen Problemen des Vergleichs beschäftigt. Das ist erstaunlich, wenn wir bedenken, daß der Vergleich implizit bereits in jeder wissenschaftlichen Beschäftigung eines ausländischen Forschers mit einem Phänomen der japanischen Gesellschaft oder Geschichte enthalten ist. In Wirklichkeit findet er statt, nur wird das selten ausgesprochen, und noch seltener werden die Prämissen der eigenen Lage als ausländischer, d.h. nicht-japanischer Forscher deutlich gemacht, obgleich diese doch die Herangehensweise und häufig auch die Schlußfolgerungen aus der eigenen Untersuchung nicht wenig beeinflussen dürften. Die diversen Defizite möchten wir auf der Tagung bestimmen, erörtern und Wege zu einer Lösung aufzeigen. Der Schwerpunkt der Beiträge soll daher klar auf theoretisch-methodischen Problemen des Vergleichs der japanischen mit anderen Gesellschaften liegen. Allerdings müssen diese Probleme und Lösungsansätze unbedingt am Beispiel konkreter Forschungen (eigenen oder fremden) aufgezeigt werden.

1. Tag – Einführung

Prof. SUGIMOTO Yoshio: Japan in Comparison
Dr. Claudia WEBER: Der Gesellschaftsvergleich in der Soziologie

2. Tag

Zeitbewußtsein und Geschichtsbewußtsein

Dr. SHIMADA Shingo: Methoden des Vergleichs bei der Erforschung von Zeitbewußtsein in Deutschland und Japan
Dr. Sebastian CONRAD: Wie kann man moderne Geschichtsschreibung in Japan und Deutschland vergleichen? Zu Gegenstand und Methode

Does Nation Matter? Vergleiche des politisch-ökonomischen Systems

Prof. NOMURA Masami: Arbeitslosigkeit und Gegenmaßnahmen in Japan – Bemerkungen zum Vergleich mit der deutschen Situation
Dr. Gregory JACKSON: Nicht-liberaler Kapitalismus in Japan und Deutschland im Bereich von Corporate Governance

3. Tag

Japan im Vergleich mit Ostasien

Dr. Patrick KÖLLNER: Faktionalismus in japanischen Parteien in
komparativer Perspektive
Dr. Martina TIMMERMANN: Die Menschenrechtspolitik Japans, Indonesiens und der Philippinen – Spiegel einer „asiatischen Identität“?

Wirtschaftsunternehmen und ihre Führungskräfte

Dr. Angelika ERNST: Der Fall Japan
Dr. Michael FAUST: Der Fall Deutschland

Gesellschaft und Medien

Prof. Dr. Gesine FOLJANTY-JOST: Die Bedeutung vergleichender Perspektiven für die sozialwissenschaftliche Japanforschung am Beispiel des Hallenser „Gewalt-Projekts“
Dr. Manuel METZLER: Zur Vergleichbarkeit quantitativer Daten in Deutschland und Japan: das Beispiel schulischen Problemverhaltens
Prof. Dr. Hilaria GÖSSMANN: Interkulturelle Begegnung im Spiegel von Literatur und Fernsehfilm