Gender Workshop 1999
Konservative Geschlechterkultur und die Suche nach neuen Lebensformen
Die Geschlechterworkshops setzen sich von verschiedenen Zugängen her mit den Entwicklungslinien des Modernisierungsprozesses und seinen Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis in Japan auseinander. Dabei stellte sich immer wieder heraus, dass sich zentrale Aspekte wie z.B. die ungleiche geschlechterpolare Arbeitsteilung und das hegemoniale Leitbild der Frau als Mutter als weitgehend veränderungsresistent erwiesen haben. Deshalb richtete sich die Leitfrage des achten Geschlechterworkshops auf die stabilisierenden Faktoren in der Geschlechterordnung und die Ursachen für die Kontinuität von konservativen geschlechtlichen Leitbildern. Das Programm beinhaltete neben fünf Einzelvorträgen diesmal auch zwei Diskussionsrunden. Besonders freuten sich die Organisatorinnen, mit Frau Prof. Tanaka Kazuko und Prof. Sakai Akiko zwei japanische Geschlechterforscherinnen begrüßen zu können.
In ihrem Beitrag „Männlichkeit und Gesellschaft im modernen Japan“ befaßte sichDr. Annette Schad-Seifert (Universität Leipzig) mit der Entwicklung von „Men’s Studies“ und dem „men’s movement“ in Japan. Zunächst ging sie auf die historische Entwicklung der Konstruktion von Männlichkeit und männlichen Leitbildern im Modernisierungsprozeß ein. In der japanischen Gegenwartsgesellschaft scheint es zu einem Aufbrechen dieser Männerrollen zu kommen. Das soziale Leitbild des „sararii man“ wird zunehmend von jüngeren Männern abgelehnt, da ihm die Attribute von ‚Mannhaftigkeit‘ fehlen. Gleichzeitig findet eine Feminisierung von Männern z.B. in der Werbung statt. Bisher lassen sich jedoch nur Verschiebungen im männlichen Lebenszyklus beobachten, nicht jedoch ein grundlegender Widerstand gegen bestehende Rollenmodelle. Erste Ansätze zur Entwicklung neuer Leitbilder und Lebenslaufmuster sind jedoch in jüngster Zeit bei Gruppen wie z.B. „Dame Ren“ (sinngemäß: ‚Netzwerk der Mißratenen‘) zu beobachten. Nach Einschätzung von Schad-Seifert birgt die gegenwärtige Krise der Männlichkeit und die Feminisierung der Männerrollen die Chance, neue Leitbilder einer positiven Männlichkeit zu entwickeln. Sie wies jedoch auch auf die Gefahr hin, dass es in der Phase der Orientierungslosigkeit auch zu einer Erstarkung bzw. Neukonstruktion von partiarchalen Leitbildern kommen kann. Dieser Prozeß muß sich nicht unbedingt sichtbar im öffentlichen Raum vollziehen, sondern spielt sich z.T. bereits in den virtuellen Welten ab.
In ihrem Vortrag „Selbstgewählte Konstruktion: Ehe, Mutterschaft und Sexualität in der Zeitschrift ONNA EROSU (1973-82)“ stellte Andrea Germer, M.A.(Heidelberg) eine Publikation vor, die sich als Sprachrohr der ’neuen‘ Frauenbewegung uman ribu und als Nachfolgerin von SEITÔ, der Zeitschrift der ‚alten‘ Frauenbewegung definierte. Ihre Aufgabe sahen die Herausgeberinnen zum einen in der Veröffentlichung historischer Materialien der alten Frauenbewegung, zum anderen als kritisches Diskussionsforum für Fragen zur weiblichen Lebensführung und Rollenerfüllung, aber auch als Verbindung zu anderen sozialen Bewegungen und als Informationsforum der Frauenbewegung. Den Schwerpunkt bildete jedoch die kontroverse Auseinandersetzung mit der weiblichen Sexualität, die bereits in dem provokanten Titel angelegt ist. Verbunden mit der subjektiven Entdeckung des weiblichen Körpers und seiner Sexualität spielte auch immer die Diskussion um die Mutterrolle eine wichtige Rolle. Es wurde gefordert, das herrschende Mutterbild abzuschaffen und Mutterschaft neu zu definieren. Die Forderung nach einer Gesellschaft, „in der Frauen gebären können“, beinhaltete auch die Entwicklung neuer Rollenmuster und Lebensmöglichkeiten für Frauen. Diese Forderungen zielten jedoch nicht auf eine grundlegende Aufhebung der geschlechterpolaren Arbeitsteilung und eine gesamtgesellschaftliche Neuverteilung der Geschlechterrollen.
Prof. Dr. Ilse Lenz (Ruhr-Universität Bochum) referierte in ihrem Vortrag „Die Veränderungspotentiale der Frauenbewegung in einer konservativen Gesellschaft“ Ergebnisse ihrer Fragebogenuntersuchung, die sie im Sommer 1997 mit Aktivistinnen der sozialen Frauenbewegung durchgeführt hatte. Nach theoretischen Vorüberlegungen zum Wechselverhältnis von konservativen Strukturen und Geschlecht sowie Erläuterungen zum methodischen Vorgehen wandte sie sich dem Profil der Aktivistinnen und ihren Motivstrukturen zu. Bei den Bewegungsfrauen handelt es sich zumeist um berufstägige Frauen mit überdurchschnittlichem Bildungsniveau, die in festen Partnerschaften leben und sich oft in mehreren Initiativen engagieren. Ihr feministisches Bewußtsein bildet sich überwiegend zwischen dem Oberschulabschluß und der Familiengründungsphase heraus. Dabei spielen z.T. auch negative Erfahrungen in der eigenen Sozialisation eine Rolle. Oft geben aber auch positive Vorbilder in der Familie den Anstoß. Die Motive sowohl für den Eintritt in die Frauenbewegung als auch für das Engagement sind meist von persönlichen Erfahrungen und Bedürfnissen geprägt, während der Wunsch nach Einflußnahme auf Politik und Gesellschaft eine untergeordnete Rolle spielt.
Der erste Teil des Workshops wurde mit einer Diskussionsrunde zum Thema„Perspektivwechsel? Zum Umgang mit den Ansätzen der Genderforschung in Japan und anderswo“ abgeschlossen. Prof. Dr. Michiko Mae (Universität Düsseldorf) und Dr. Ingrid Getreuer-Kargl (Universität Wien) eröffneten das Forum mit Impulsstatements. Beide bemängelten die unzureichende gegenseitige Rezeption von Entwicklungen und Forschungsansätzen in den deutschen und den japanischen Gender Studies.
Mae kritisierte, dass sich die Forschung lange Zeit auf die geschlechtliche Arbeitsteilung und das patriarchale System konzentrierte und dabei wichtige Aspekte wie Differenz und Gleichheit oder Privatheit und Öffentlichkeit als Grundbedingungen für die Herausbildung weiblicher Subjektivität und Individualität vernachlässigte. Dadurch wird oft nicht wahrgenommen, dass sich Frauen bereits eine eigene Öffentlichkeit geschaffen haben und den öffentlichen Raum als Handlungsraum für Frauen jenseits von Staat und Politik begreifen und nutzen. Getreuer-Kargl berichtete von ihren Schwierigkeiten, westliche Ansätze der Geschlechterforschung in Forschungsvorhaben in Japan zu integrieren, da z.B. Ansätze zur Auflösung der Geschlechterdichotomie in Japan kaum rezipiert werden. Sehr schwierig ist es auch, zu einer einheitlichen Definition für „gender“ zu kommen, da Geschlechterforschung vielfach mit Frauenforschung gleichgesetzt wird und die Anwendung westlicher „gender“-orientierter Ansätze als nicht anwendbar auf Japan angesehen werden.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass „gender“ zunehmend als ein neutraler Begriff rezipiert wird. Die Definitionsmacht des Begriffes geht von Frauen aus dem feministischen Kontext auf eine Forschergemeinschaft über, die sich als feministisch beeinflußt und/oder ‚objektiv‘ versteht und der auch Männer angehören. Dabei wurde kritisch angemerkt, dass Forschungen mit dem Fokus auf „gender“ an der Realität vieler Menschen mit von der heterosexuellen Norm abweichenden Orientierungen vorbeigeht. Es wurde gefragt, ob die Kritik der Zweigeschlechtlichkeit in Japan auf eine Rezeptionssperre stößt. Mae wies darauf hin, dass die Idee der Gleichstellung (byôdô) in Japan vielfach abgelehnt wird, während das Konzept einer „von beiden Geschlechtern gleichermaßen gestaltete Gesellschaft“ (danjo kyôdô sankaku shakai) bzw. einer „gender free society“ auf Akzeptanz stößt.
Am Freitag Vormittag ging Cornelia Kriesel, M.A. (Universität Halle) einer Teilfrage ihres Dissertationsprojektes nach: „Warum hat es ‚gendering‘ so schwer in der Entwicklungspolitik Japans? Versuch einer Erklärung“. Zunächst definierte sie den Begriff gendering als die Schaffung von Bewußtsein von geschlechtsspezifischen Bedürfnissen. Eine nachhaltige Integration dieses Konzeptes in die japanische Entwicklungspolitik wird ihren Untersuchungen zufolge vor allem durch drei Faktoren behindert. Ein Faktor ist die in den Entscheidungsgremien herrschende, von der geschlechterpolaren Arbeitsteilung und konservativen Lebensentwürfen geprägte Geschlechterideologie. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Struktur der japanischen Entwicklungspolitik. Die Zuständigkeit verteilt sich auf mehrere Ministerien, die weitestgehend abgeschirmt von äußeren Einflußmöglichkeiten ihre Ziele auf die wirtschaftliche Stabilisierung der Entwicklungsregionen ausrichten. Trotz der Übernahme des Begriffes gender (der nur gegen den Begriff „josei“ ausgetauscht wurde) ab 1998 finden geschlechtsspezifische Bedürfnisse weiterhin keine Berücksichtigung. Eine wesentliche Rolle bei der unzureichenden Implementierung des „gender“-Konzeptes spielt als dritter Faktor nach Kriesels Auffassung aber auch die Frauenbewegung, die sich auf der NGO-Ebene in vielen kleinen praktischen Initiativen und auch auf der Weltfrauenkonferenz in Peking vor allem auf die „practical gender needs“ (nach Moser 1993) konzentrierte und den wichtigen Bereich der „strategical gender needs“ ausblendete. In Peking wurde darüber hinaus deutlich, dass die fehlende Verknüpfung von Forschung und Praxis eine Umsetzung theoretischer Ansätze in die Praxis behindern.
Dr. Makiko Hamaguchi-Klenner (Ruhr-Universität Bochum) gab in ihrem Vortrag„Japans alternde Gesellschaft – Wandeln sich die ‚Rollen‘ der Frauen?“ einen Einblick in den gegenwärtigen Diskussionsstand zur Einführung einer Pflegeversicherung in Japan und ihre Auswirkungen auf die weibliche Lebensführung. Nach einer umfangreichen Auflistung von gesellschaftlichen Einflüssen auf die Entwicklung von Rollenmodellen kam sie zu dem Schluß, dass Frauen durch die demographische Entwicklung einer immer stärkeren Überalterung der japanischen Gesellschaft zunehmend durch Pflegetätigkeiten beansprucht werden. Während in den Großstädten die Infrastruktur zur Versorgung alter Menschen bereits ausgebaut ist, bestehen im ländlichen Raum weiterhin große Lücken, die durch den Rückgriff auf traditionelle Rollenmuster gedeckt werden. Die Modelle zur Pflegeversicherung lehnen sich stark an das deutsche Modell an und sehen eine Kombination von Finanz- und Sachmittelleistungen vor. Vor allem gegen die Geldleistungen regt sich jedoch auf politischer Ebene Widerstand, da befürchtet wird, dass sich durch sie der Druck auf die (Schwieger)Töchter erhöhen würde, individuelle Lebensentwürfe zugunsten einer, dann ja schließlich bezahlten, Pflegetätigkeit aufzugeben.
Zum Abschluß des Workshops wurde die zweite Diskussionsrunde zu dem Themenkomplex „Konservierender Effekt geschlechtsspezifischer Management-Konzepte in bezug auf ‚Männerrollen‘ und ‚Frauenrollen‘ auf dem japanischen Arbeitsmarkt“ durch Impulsstatements von Prof. Dr. Karen Shire (Universität Duisburg) und Dr. Claudia Weber (Tübingen) eingeleitet. Anhand ihrer Ausführungen wurde deutlich, dass die Verabschiedung des Gleichstellungsgesetzes und die Einführung neuer nominell geschlechtsneutraler Ausbildungsgänge in den Unternehmen keine grundlegenden Verbesserungen für die Beschäftigungssituation von Frauen gebracht haben. Weber wies darauf hin, dass für die Frauen weiterhin die Austauschrelation zwischen der von ihnen eingebrachten Qualifikation und ihrer Position in den Unternehmen sehr schlecht ist. Nach Shire sehen sich Frauen symbolischer und realer Gewalt am Arbeitsplatz ausgesetzt. Vor allem große Firmen sind aufgrund ihrer konservativen Management-Konzepte zunehmend unattraktiv für karriereorientierte Frauen. Veränderungen deuten sich eher unterschwellig und langfirstig an. Neue Bürotechnologien erfordern neue Qualifikationen, über die meist Frauen verfügen. Es läßt sich, wenn zunächst auch nur in den Massenmedien, eine subversive Dekonstruktion der sozialen Rollenstereotype der „office lady“ beobachten. Die Novellierung des Gleichstellungsgesetzes kam in einem rein innerjapanischen Prozeß auf Druck der Frauen zustande. Von dieser Novellierung, in der erstmalig auch Sanktionen für Nichteinhaltung der Bestimmungen vorgesehen sind, werden nachhaltige Verbesserungen für die Beschäftigungsbedingungen von Frauen erwartet. In der Diskussion wurde nach den Auswirkungen von geänderten Lebensentwürfen und sozialem Wandel gefragt. Weber räumte ein, dass sich die Situation von karriereorientierten Frauen, die eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit anstreben, bereits verbessert hat. Gleichzeitig ist eine Zunahme der Mobilität zu beobachten, wobei oft Kündigungen aus Unzufriedenheit mit Klischeebegründungen verschleiert werden (Rückzug in die Familienarbeit u.ä.). Shire wies jedoch darauf hin, dass die große Gruppe der Frauen in Teilzeitbeschäftigung nicht unter den Schutz des Gleichstellungsgesetzes fällt. Ihr Widerstand gegen diskriminierende Arbeitsverhältnisse ist lokal begrenzt und hat keine Wirkungen nach außen. Eine Chance zur Verbesserung sieht sie in dem Widerstand auf breiter Ebene durch die Gewerkschaften.
Insgesamt konnten in den Referaten und Diskussionsbeiträgen einige Faktoren herausgearbeitet werden, die die konservativen Geschlechterkultur in Japan stabilisieren. Bemerkenswert war dabei die in vielen Beiträgen zu beobachtende kritische Einschätzung der Rolle der Frauenbewegung in diesem Prozeß. Es zeigte sich, dass zwischen der Politisierung des Alltags und der Professionalisierung durch die Bewegungsarbeit und der gleichzeitigen Definition der eigenen Rolle nach konservativen Rollenmustern als Hausfrau und Mutter eine Diskrepanz besteht. Frau Sakai stellte zum Schluß die provokante Frage, warum die Frauen in Japan ihre gegebenen Chancen nicht richtig nutzen und sich immer wieder freiwillig auf die Familienarbeit und auf Aktivitäten im Zusammenhang mit ihren Reproduktionsaufgaben zurückziehen und damit selbst einen entscheidenden Beitrag zur konservative Geschlechterkultur leisten.
In der Abschlußdiskussion haben sich für den nächsten Workshop die Themenschwerpunkte Internationalisierung, Globalisierung und Frauennetzwerke herausgebildet. Dabei soll es u.a. um eine Analyse der Entwicklung fünf Jahre nach Peking gehen. Wir möchten schon jetzt alle Interessierten zu diesem Workshop, der vom 12.-13. Oktober in Heidelberg stattfinden wird, einladen.